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27.03.20 / Technikgeschichte / Der „erste und wahre Erfinder“ des Telefons / Wolfram Weimer hat den Lebens- und Berufsweg des wie er selbst aus Gelnhausen stammenden Technikbegabten Philipp Reis nachgezeichnet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13 vom 27. März 2020

Technikgeschichte
Der „erste und wahre Erfinder“ des Telefons
Wolfram Weimer hat den Lebens- und Berufsweg des wie er selbst aus Gelnhausen stammenden Technikbegabten Philipp Reis nachgezeichnet
Silvia Friedrich

Aus einer Geige, einer Stricknadel und einer Hasenblase bastelte Philipp Reis Mitte des 19. Jahrhunderts in einer hessischen Scheune ein Gerät, das die Welt revolutionierte: das erste Telefon. Doch gut meinte es das Leben mit dem genialen Erfinder nicht. 

Wolfram Weimer stammt genau wie Reis aus Gelnhausen. Der Historiker und Publizist nimmt sich seines Landsmannes in beinahe liebevoll-väterlicher Weise an und setzt ihm mit dem Buch „Der vergessene Erfinder. Wie Philipp Reis das Telefon erfand“ ein würdiges Denkmal. 

Vormund verhinderte Studium

Das Waisenkind Reis, das zuerst seine Mutter verlor, dann den Vater, schließlich auch die geliebte Großmutter, wuchs bei seiner Tante und deren Ehemann auf. Dieser als Vormund eingesetzte Erziehungsbevollmächtigte verhinderte die universitäre Karriere des in den Naturwissenschaften so begabten Jungen und drängte ihn zu einer Lehre, obwohl ihm von der Großmutter ein ausreichendes Erbe für ein Studium zur Verfügung gestanden hätte. 

Doch den wachen Geist konnte niemand aufhalten. Er betrieb wissenschaftliche Privatstudien, bekam in Professor Boettger einen akademischen Lehrmeister und wurde so schon mit 17 Jahren in den Physikalischen Verein in Frankfurt am Main eingeführt. Reis beschäftigte sich eingehend mit Sprachübermittlung durch elektrischen Strom und träumte früh davon, Töne in die Ferne zu übertragen. Als er Lehrer wurde, verhalf er seinen Schülern oft zu anschaulichem Unterricht. So baute er eine Ohrmuschel aus Holz nach mit Wursthaut als Trommelfell und einem Platinstreifen als „Gehörknöchelchen“. Die Idee des Telefons, dessen Name Reis ebenfalls erfand, nahm ihren Lauf. Als er 1861 seine Erfindung dem Physikalischen Verein Frankfurt vorstellte, erregte er Erstaunen und Bewunderung. 

Warum Reis dennoch in Vergessenheit geriet und der clevere Schotte Alexander Graham Bell in den USA alle Lorbeeren für diese Erfindung einheimste, liest sich spannend wie ein Roman.

Reis nannte es „Telefon“

Am Ende wartet für Technikinteressierte noch ein Leckerbissen. Zunächst folgt im Abschnitt „Dokumentation“ ein von Philipp Reis 1868 selbst verfasster Lebenslauf, in dem der Leser Einblicke in dessen Fortschritte auf technikwissenschaftlichem Gebiet bekommt. Gleich danach schließt sich eine Abhandlung an, ebenfalls von Reis verfasst, „Über Telefonie durch den galvanischen Strom“. Hier beschreibt Reis den technischen Hintergrund seiner Erfindung. Das Kapitel setzt sich fort mit einer Besprechung und bebilderten Darlegung der Erfindung Philipp Reis' durch den englischen Physiker Silvanus Thompson, der am Ende ausdrücklich darauf hinweist, dass Reis „der erste und wahre Erfinder“ des Telefons sei. Kurz vor Schluss folgt noch ein Schaubild mit der Entwicklung dieser Jahrtausenderfindung von 1861 bis 2020, um am Ende mit einem tabellarischen Lebenslauf des Entwicklers abzuschließen.

Dieses Buch fesselt von Beginn an. Durch die anschauliche Darstellung mittels zahlreicher Fotos und Abbildungen wird der Leser entführt in einen „Film“ aus dem 19. Jahrhundert, dessen Ende jeder kennt und das dennoch überrascht. 

Wie ungerecht kann das Leben sein? Philipp Reis ist sicher nicht der Einzige, dem die ihm zustehenden Lorbeeren vorenthalten wurden. Oft ist die Zeit noch nicht reif, um geniale Ideen entsprechend zu würdigen.

Wolfram Weimer: „Der vergessene Erfinder. Wie Philipp Reis das Telefon erfand“, Ch. Goetz Verlag, Tegernsee 2019, gebunden, 144 Seiten, 20 Euro