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03.04.20 / Leitartikel / Wo bleibt Brüssel?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14 vom 03. April 2020

Leitartikel
Wo bleibt Brüssel?
René Nehring

Wie schlecht muss es um eine Politikerin stehen, wenn wohlwollende Medien inmitten einer Krise anfangen, Jubelartikel über sie zu schreiben? So geschehen am vergangenen Sonntag, als die „FAS“ den scheinbar übermenschlichen Kampf der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der gegenwärtigen Lage beschrieb. „Den Sturm nutzen“ stand dort in großen Lettern, und in der Unterzeile war zu lesen: „Ursula von der Leyen kämpft dafür, dass die EU in der Corona-Krise zusammenbleibt. Sie schläft neben ihrem Büro, ihre Familie hat sie seit Wochen nicht mehr gesehen.“ Geht es noch heldenhafter? 

Auch im Artikel selbst ging das peinliche Lob der großen Vorsitzenden weiter: „Von der Leyen zeigt mitunter sogar mütterliche Instinkte, etwa, wenn sie ausgehungerte Mitarbeiter mit Sandwiches versorgt.“ Und natürlich wird auch die EU-Kommission gewürdigt: „Ihre Innenkommissarin erarbeitete Leitlinien für Grenzkontrollen, inklusive Vorfahrtspuren für Lastwagen. Ihre Gesundheitskommissarin leitete die gemeinsame Beschaffung von Schutzkleidung ein. Ihr Kommissar für Krisenmanagement baut eine strategische Reserve für alles auf, was zur Behandlung von Corona-Patienten benötigt wird.“ 

Dummerweise nur enthüllen gerade derlei Jubelworte die Behäbigkeit von der Leyens und ihrer Kommission. Denn wo täglich tausende Menschen sterben, gilt es nicht, Reserven anzulegen, sondern schnell und unbürokratisch zu handeln. 

Nicht nur in jenem Artikel erklang in den letzten Tagen die Klage über eine Rückkehr der Nationalstaaten. Der Politologe Wolfgang Merkel etwa sprach im „Europamagazin“ der ARD gar davon, dass diese „fröhliche Urständ“ feierten. Ganz abgesehen von der Frage, was schlimm daran sein soll, wenn souveräne Staaten zum Schutze ihrer Bürger handeln, fallen derlei Vorwürfe umgehend auf von der Leyen und ihre Mannschaft zurück. 

Denn niemand hat Frau von der Leyen daran gehindert, frühzeitig die Aktivitäten der Mitgliedsländer zu koordinieren und Vorschläge für eine gemeinsame Abwehr des Virus zu unterbreiten. Und niemand hat Brüssel daran gehindert, von bürokratischen Vorschriften abzuweichen, damit Hilfsgelder schnell fließen können. 

Am Sonntagabend erklärte Bundeswirtschaftsminister Altmaier in der Sendung „Anne Will“, dass der Bund derzeit Haftungszusagen für KfW-Kredite nur zu 90 Prozent übernehmen könne, weil die EU-Kommission derzeit nicht mehr genehmige. Dadurch verzögert sich jedoch das Antragsverfahren um etliche Wochen. Was wäre passiert, wenn die EU-Kommission unter von der Leyen gesagt hätte, „Ihr dürft aufgrund der Krise befristet auch zu 100 Prozent garantieren“? Ob dann irgendjemand gewagt hätte, dagegen zu klagen? 

In der Sturmflut des Jahres 1962 kümmerte sich der Hamburger Polizeisenator Helmut Schmidt nicht um die Grenzen seines Kompetenzbereichs, als es darum ging, Menschenleben zu retten. Sondern er handelte – und spannte dazu alle Kräfte ein, die er damals bekommen konnte (einschließlich der britischen Besatzungsstreitkräfte). 

Im Falle von der Leyen rächt sich nun, dass die Politikerin bis dato von den Medien immer äußerst wohlwollend behandelt worden ist. Ihr Scheitern bei der groß angekündigten Verbesserung der Ausrüstung der Bundeswehr wurde ebenso wenig problematisiert wie ihre stillosen Aussagen über die Truppe, der sie angesichts einiger weniger rechtsradikaler Vorfälle in Gänze ein „Haltungsproblem“ unterstellte. Wo andere Politiker längst ihren Hut hätten nehmen müssen, konnte von der Leyen an die Spitze der EU wechseln. 

Die Corona-Krise wäre für sie die Chance gewesen zu zeigen, dass sie eine echte Anführerin und „Macherin“ ist. Dass sie diese Chance nicht nutzt, kann niemand den Nationalstaaten zuschreiben.