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03.04.20 / Pest in Ostpreussen / Als der „Schwarze Tod“ zurückkehrte / Die große Pest-Epidemie raffte in Ostpreußen 241 171 Menschen dahin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14 vom 03. April 2020

Pest in Ostpreussen
Als der „Schwarze Tod“ zurückkehrte
Die große Pest-Epidemie raffte in Ostpreußen 241 171 Menschen dahin
Bettina Müller

Die Bilder der Militärkonvois in Italien, die dieser Tage die vielen Toten der Corona-Seuche abtransportieren, sind extrem verstörend. Ein Virus, das man nicht sehen kann, das aber schlimmstenfalls den Tod bringt, lähmt überall das öffentliche Leben. Vielerorts ist der „Krieg“ gegen den „Feind“, die unbarmherzige Furie „Corona“, ausgerufen worden. Man hätte es eigentlich nicht mehr für möglich gehalten in dieser hoch technologisierten, digitalisierten, angeblich allwissenden und aufgeklärten Welt. 

Auch Anfang 1709 wähnten sich die Menschen zunächst in Sicherheit. Die Pest galt damals in Ostpreußen als gerade erst erloschen, ein kollektives Aufatmen durchfuhr das Land; das Leben ging also doch noch weiter. Doch am 3. Juli 1709 kehrte sie zurück, brach zunächst im benachbarten Danzig aus und verbreitete sich so rasant, dass Königsberg schließlich rund ein Viertel seiner Einwohner verlor.

Düsteres Szenario in Königsberg 

Ein Schneidergeselle aus Danzig hatte die Seuche eingeschleppt. Augenzeugen beschrieben ein düsteres Horrorszenario, das Richard Arnstedt in seiner Königsberg-Chronik 1899 wiedergab: „Jeder Umgang mit den Kranken war bei Todesstrafe verboten, keine liebende Hand durfte Linderung bringen, schon die Krankheit zerriss die Familienbande. Erst wenn die Schatten der Nacht Straßen und Plätze deckten und nur die Pestfeuer ihren lodernden Schein zum Himmel warfen, begannen Menschenpflicht und Nächstenliebe ihre Tätigkeit. Pestträger, Pestärzte und Pestprediger walteten ihres schweren Amtes, bekleidet mit wachsleinenen und durch Pestessig gereinigten Gewändern, in der Hand die Glocke, um die Gesunden vor der verderblichen Begegnung zu warnen. Die Pestträger durchsuchten die infizierten Häuser und nahmen die Toten mit. War ein Haus ausgestorben, wurde es vernagelt und mit großen weißen Kreuzen versehen, alle getragenen Sachen wurden verbrannt.“ Noch im November wütete die Pest in der Stadt so verheerend, dass innerhalb von acht Tagen 700 Menschen starben. Die Namen der Verstorbenen wurden während der Epidemie von „Pestschreibern“ aufgezeichnet und fanden so auch Eingang in kirchliche Totenbücher. So kann man zum Beispiel im Kirchenbuch des Königsberger Stadtteils Haberberg diesen verzweifelten Hilferuf des Pfarrers lesen: „Gott wende doch die Plage und solche Unordnung einmal ab!“

Nicht nur die Pest wütete

Augenzeugen berichteten auch davon, dass weniger Menschen als vermutet an der „Echten Pest“ gestorben seien, die sich mit Eiterbeulen, punktförmigen Haut- oder Schleimhautblutungen (Petechien) oder Pestbeulen (Bubonen) äußerte und die die bedauernswerten Opfer in Kürze dahinraffte, sondern viele auch an Fleckfieber, Pocken, roter Ruhr und „Durchlauf“ (Durchfall) dahingesiecht waren. Diese Toten hatte man als Pesttote mitgezählt. 

Es überrascht dabei mit dem heutigen Wissen nicht, dass die Tragödie ganz besonders die Wohnviertel traf, in denen arme Leute und Handwerker in sehr beengten Verhältnissen lebten. Wer es sich leisten konnte – und das waren wohl die Wenigsten –, flüchtete auf seine Landgüter. Für „social distancing“ benötigte man damals zwingend das nötige Kleingeld. Sind heutzutage vor allem renitente Menschen, die sich zum Beispiel zu perfiden „Corona-Parties“ treffen, ein Problem, so zeigte sich damals recht schnell auch die Schattenseite der Menschheit, bei der die Losung eigentlich „Zusammenhalt“ hätte heißen müssen. „Mein armes Königsberg, komm her, hier ist dein Spiegel, der deine Scheußlichkeit dir vor die Augen stellt!“, hieß es unter anderem in einem Gedicht des damaligen Königsberger Bürgermeisters Derschau, der darin den Verfall der Sitten und der Moral durch die chaotischen Zustände in der Stadt anprangerte. Nicht nur Diebstähle und Überfälle häuften sich, sondern auch ganz besonders skrupellose Fälle wie beispielsweise das Verbergen von Toten aus Profitgier. So fand man im Königsberger „Haberkrug“ im Keller unter den Dielen elf Pestleichen. Man hatte sie dort heimlich verscharrt, um den Betrieb der Gaststätte nicht zu gefährden. Der Königsberger Magistrat reagierte mit entsprechender Härte. Die Verbrecher wurden ins Pesthaus gebracht und dort mit der Verrichtung von „unflätigen Arbeiten“, wie dem „Wegbringen der Exkremente“, bestraft. 

Der Erreger der Pest, das Bakterium Yersinia pestis, war damals noch völlig unbekannt. Die Menschen glaubten damals an eine Materie namens „Miasma“ als Krankmacher. Das aus dem Altgriechischen stammende Wort bedeutet „übler Dunst, Verunreinigung, Befleckung, Ansteckung“. So stemmte man sich dem vermeintlichen Übeltäter vor allem mit dem (sinnlosen) „Räuchern“, also mit Feuer, entgegen. Dass man grundsätzlich etwas an den Lebensumständen der Bevölkerung ändern und gleichzeitig deren Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein wecken musste, wurde erst wesentlich später erkannt. 

Gegenwart erinnert an die Tragödie

Die Krankheit ging nicht nur vom Menschen selber aus, sondern auch von einer Leiche, von Kleidung, Hausrat, Tieren und so weiter. Im 19. Jahrhundert war es unter anderem der Chemiker und Physiker Max von Pettenkofer, der sich aufgrund der schweren Cholera-Epidemien des 19. Jahrhunderts mit der Wissenschaft der Hygiene und der Epidemiologie befasste. Nach einem Streit mit Robert Koch über die Ursache der Cholera ging er sogar so weit, in einem Selbstversuch eine Kultur von Cholera-Bakterien zu verschlucken um zu beweisen, dass Umweltbedingungen wesentlich mehr zu einer möglichen Erkrankung beitragen als die Erreger selber. Er erkrankte tatsächlich nicht.

Die Pestwelle in Ostpreußen erreichte im Laufe des Jahres 1710 ihren Höhepunkt, bis sie dann Anfang 1711 endgültig erlosch. 

Den Namen „Große Pest“ erhielt sie später völlig zu Recht. Sie gilt bis heute als die schlimmste Epidemie der Vergangenheit: In Ostpreußen starben damals von ungefähr 600 000 Einwohnern 241 171 Menschen. Ein zeitgenössisches Pestlied resümierte diese Tragödie, an die man in diesen Zeiten wieder erinnert wird, sehr makaber mit diesen Zeilen: „Die wilde Pest heert weit und breit, mit Leichen ist die Welt bestreut. Schon manchen Toten deckt sein Grab, der’s graben wollt, sank selbst hinab.“