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10.04.20 / Kolumne / Was Solidarität ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15 vom 10. April 2020

Kolumne
Was Solidarität ist
Florian Stumfall

Wenn das Haus eines Nachbarn in Flammen steht, so erfordern es Anstand und Mitmenschlichkeit zu helfen, so gut man kann. Das Prinzip, das so etwas befiehlt, heißt Solidarität. Diese allerdings befiehlt nicht, dass man in so einem Falle auch das eigene Haus anzünde, die Solidarität drängt auf Hilfe, nicht auf Gleichheit. So wird sich meist der Geschädigte in minderen Umständen wiederfinden, als er sie zuvor gehabt hat und im Nachteil gegenüber dem Nachbarn, dessen Haus unbehelligt geblieben ist. Solidarität also ist Hilfe nach Kräften, aber nicht bis zum totalen Ausgleich. Und ein zweites Merkmal ist ihr eigen. Sie beruht auf Freiwilligkeit und ist nicht gesetzlich einzufordern.

Ein Weiteres kennzeichnet die Solidarität. Sie leitet sich keineswegs aus einem Katalog der Menschenrechte her, sondern aus der katholischen Moraltheologie. Das mag überraschen, denn in weiten Kreisen vor allem einer selbstbewussten Linken gilt der Terminus als zentrales Merkmal sozialistischer Lebenswirklichkeit. Dieser Widerspruch ist schnell behoben. Denn hinter dem einen Wort „Solidarität“ verbergen sich zwei Begriffe.

Die Solidarität im sozialistischen Sinne gilt jedem, welcher der Arbeiterklasse angehört. Menschen anderer Herkunft haben daran keinen Anteil. Es handelt sich dabei um eine Art von Gruppenegoismus derer, die einer gemeinsamen Klasse oder Rasse, Kaste oder Gewerkschaft angehören. Es erinnert an die Solidarität der Räuberbanden, an die sich die Mitglieder letztlich aus Eigennutz gebunden fühlen.

Die Solidarität im christlichen Sinne dagegen gilt jedem Menschen vor dem Hintergrund des Glaubens an die gemeinsame Gotteskindschaft, bis hin zum Gebot der Feindesliebe.

Solidarität beruht auf Freiwilligkeit

Es schweres Feld ist also zu beackern, wenn man mit dem Begriff der Solidarität umgeht, und wenn dies so oft – und so oft gedankenlos – geschieht wie im Zusammenhang mit Corona und der Frage nach der ethischen Beschaffenheit der EU, dann ist es unausweichlich, dass die Dinge durcheinandergeraten.

Denn in der Tat: Der Ruf nach einer wie immer verstandenen Solidarität in der Stunde der Not wird immer lauter. Doch wie soll diese aussehen? Wenn Deutschland französische oder italienische Schwerkranke in eigene Krankenhäuser übernimmt und dort pflegt, so ist das solidarisch. Dies geschieht ohne einen Rechtsanspruch auf der Basis der Freiwilligkeit angesichts einer gegenwärtigen Bedrohung. 

Dasselbe, wenn Russland weit über ein Dutzend Flugzeugladungen an Hilfsgütern nach Italien schickt oder andere in die USA. Auch dies geschieht freiwillig angesichts der aktuellen Lage und ist nicht einklagbar. Hilfe einer solchen Art ist nicht hoch genug einzuschätzen und ziert jeden, der sie leistet.

Der deutschen Hilfe ungeachtet fordern aber vor allem Spanien und Italien von Deutschland und weiteren nordeuropäischen Ländern finanzielle Unterstützung, und sie tun das unter Berufung auf die Solidarität. Das allerdings geschieht ganz zu Unrecht. Denn in dem Moment, da eine Finanzhilfe festgeschrieben wird, rechtlich bindend und damit einklagbar, egal ob unter dem Namen Euro-Bonds oder Corona-Bonds, geschieht ein Geldfluss nicht mehr namens und im Sinne der Solidarität, sondern er ist zum Rechtsanspruch geworden. Das Moment der Freiwilligkeit, das dem solidarischen Handeln den ethischen Wert verleiht, fällt weg.

So erweist sich hier der Ruf nach Solidarität als ein propagandistisch moralisierendes Druckmittel, mit dem ein abseitiger Zweck verfolgt wird, nämlich, ausgehend von einer aktuellen Lage, einen Rechtsanspruch auf Dauer zu etablieren.

Aus dem Hintergrund wirken obendrein Gegebenheiten, die mit einem Virus ganz und gar nichts zu tun haben. Gerade Italien und Spanien befinden sich in finanziellen Verhältnissen, die nicht geeignet sind, den Belastungen durch die derzeitige Drosselung auch der Wirtschaft standzuhalten. Der Grund dafür ist ein viele Jahre anhaltender unbekümmerter Umgang mit dem Geld, das durch die Gemeinschafts­währung Euro leicht zu bekommen war, und zu enormen Schuldenbergen geführt hat. Jetzt also soll eine Schieflage, die durch Verschwendung entstanden und durch die Epidemie verschärft worden ist, durch noch mehr Geld beigelegt werden. Man versucht, den Säufer mit Schnaps zu heilen.

Kein Schnaps für den Säufer

Die Scheu vor Heuchelei gebietet es auch, von den Grenzen der Solidarität zu sprechen. Angenommen, zwei Kinder wären in einen Brunnen gefallen, so täte der herbeieilende Vater recht, wenn er zuerst das eigene Kind rettete, und dann das fremde. Die umgekehrte Reihenfolge einzuhalten ist ihm nicht zuzumuten. Dieses einfache Bild hat auch eine politische Dimension. Hoch oben auf dem Reichstag zu Berlin steht zu lesen: „Dem deutschen Volke“ 

– seit Langem ein Ärgernis für mancherlei politische Exzentriker. 

Doch diese Widmung gibt den Politikern, die in dem Hause Gesetze beschließen, die Pflicht auf, dabei als erstes an das Wohl der Deutschen, also des eigenen Volkes zu denken, und dann zuzusehen, dass dieses keinem anderen widerspricht. Dieselbe Pflicht übernimmt ein jedes Mitglied einer Regierung, das einen Amtseid leistet, wobei in Deutschland der Bundeskanzler gelobt, dass er seine „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“ werde. Das schließt Solidarität mit anderen nicht aus, aber auch hier ist die Reihenfolge zu bedenken, genau wie bei den Kindern im Brunnen.

Ein bekanntes Hamburger Magazin hat bereits Betrachtungen darüber angestellt, was mit den Südländern der EU sein mag, wenn das medizinische Problem der Corona-Krise beigelegt sein und ihre wirtschaftliche erst zutage treten wird. Man darf getrost annehmen, dass dann der Ruf nach deutscher Solidarität noch lauter ertönen wird. Doch ebenso sicher stellt sich eine weitere Frage. Wird Berlin dann dazu in der Lage sein? 

Eines ist sicher: Je mehr sich Deutschland in einem weiteren EU-Umverteilungs-Mechanismus gefangen sieht, in dem es nicht einmal möglich ist, Einfluss auf die Verwendung der eigenen Gelder zu nehmen, umso wirkungsloser wird eine deutsche Hilfe sein.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.