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10.04.20 / „Nacht von Potsdam“ / Vor 75 Jahren traf der letzte Großangriff des britischen Bomberkommandos die wohl preußischste aller Städte. Der Krieg war entschieden. Die majestätisch-barocke Nachbarstadt Berlins war eher von symbolischer denn militärischer Bedeutung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15 vom 10. April 2020

„Nacht von Potsdam“
Vor 75 Jahren traf der letzte Großangriff des britischen Bomberkommandos die wohl preußischste aller Städte. Der Krieg war entschieden. Die majestätisch-barocke Nachbarstadt Berlins war eher von symbolischer denn militärischer Bedeutung
Björn Schumacher

Keinen Monat vor Ende des Zweiten Weltkrieges, am 14. April 1945 ab 22.16 Uhr,  schlugen Großbritanniens Premierminister Winston Churchill, Pionier einer menschenverachtenden Luftkriegsstrategie, und sein Kriegskabinett noch einmal zu. Churchills Entsetzen über die Apokalypse von Dresden im Februar 1945 war längst erloschen, seine Mahnung an die Royal Air Force (RAF), einen Strategiewechsel zu erwägen, zurückgezogen worden. „Sind wir Tiere, treiben wir es zu weit?“, soll er in einem seltenen Moment des Innehaltens ausgerufen haben. 

In der „Nacht von Potsdam“ starben wohl 3578 (Statistisches Jahrbuch Potsdam 1966), mindestens aber 1800 Zivilisten (Historiker Hans-Werner Mihan nach Durchsicht amtlicher Sterberegister), meist unschuldige Frauen, Kinder und alte Männer, die mit dem alliierten Popanz des „preußisch-deutschen Militarismus“ absolut nichts zu tun hatten. 60 000 wurden obdachlos. An eine „Skelettlandschaft“ und „verkohlte Leichen, so klein wie Puppen“ erinnert sich Zeitzeugin Luise Lunow. Angesichts täglicher Horrormeldungen vom Krieg regten solche Zahlen und Details niemanden mehr auf.

Demoralisierung war ein RAF-Ziel

Warum wurde das bislang unversehrte Potsdam so massiv angegriffen? Warum warfen 490 viermotorige Avro 683 „Lancaster“ 1780 Tonnen Minen sowie Spreng- und Brandbomben ab? Potsdam besaß keine militärisch wichtigen Ziele. Die Behauptung der Briten, man habe den Stadtbahnhof angegriffen, diente der Verschleierung, gehörte also - im Jargon des digitalen Zeitalters – zu den propagandistischen „Fake News“. Auch die Luftstreitkräfte der USA nutzten dieses zynische Instrument, als sie die Zerstörung des Ostseehafens Swinemünde als „Angriff auf Rangierbahnhöfe“ beschrieben. Dort starben am 12. März 1945 zwischen 4500 und 23 000 Zivilisten, vor allem Flüchtlinge aus dem deutschen Osten

Später veröffentlichte Dokumente der RAF mit den Markierungen des Zielgebiets lassen keinen Zweifel mehr, dass der Angriff unterschiedslos war und vor allem der Potsdamer Altstadt galt. Der Bahnhof befand sich am äußersten Rand des Zielgebiets. Offenbar nahmen die Briten in Kauf, ihn gar nicht zu treffen. Schwerste Schäden erlitten die südliche und östliche Altstadt und das Gebiet nordöstlich des Brauhausbergs. Weite Teile der Berliner Vorstadt gingen in Flammen auf, auch Teile von Babelsberg wurden getroffen. Die Gebäude in der Potsdamer Innenstadt und der Berliner Vorstadt wurden bis zu 97 Prozent zerstört oder beschädigt. Babelsberg kam mit einer Schadensquote von 23 Prozent vergleichsweise glimpflich davon.

Die Suche nach den Hintergründen der „Nacht von Potsdam“ führt zur Area Bombing Directive vom 14. Februar 1942. Mit Angriffen auf die Wohnviertel von Industriearbeitern, was de facto sämtliche Wohngebiete betraf, wollten Churchill, RAF-Stabschef Charles Portal und Luftmarschall Arthur Harris die Durchhaltemoral deutscher Zivilisten und in der Konsequenz die Kampfmoral der Wehrmacht schwächen. Dass es am Ende eines längst entschiedenen Krieges nichts mehr zu demoralisieren gab, spielte keine Rolle.

„Nächtliche Massenmorde an der Zivilbevölkerung, die zeigten, welchen Tiefstand die öffentliche Moral nun überall erreicht hatte“ (Golo Mann), gehörten längst zur Routine westalliierter Luftkriegführung. Harris verfiel 1947 in absurde Selbstrechtfertigung: Flächenbombardements seien völkerrechtskonform und „trotz allem, was in Hamburg geschah, eine vergleichsweise humane Methode“ gewesen. 

Vermutlich wollte Churchill, dessen Weitblick längst der europäischen Nachkriegsordnung galt, die Rote Armee mit der Schlagkraft seines Bomberkommandos beeindrucken. Bereits die Vernichtung Dresdens ließ sich (auch) als Signal an Josef Stalin deuten. Tatsächlich begann jetzt der Endkampf um Potsdam. In der mittlerweile zur „Festung“ erklärten Stadt besetzten Spähposten die höchsten Aussichtspunkte. Diese wurden von sowjetischer Artillerie schwer getroffen. Bislang erhaltene Bauwerke gingen in Flammen auf. Allein den Potsdamer Parks und ihren Schlössern blieben größere Zerstörungen erspart.

Ein weiteres Motiv kam dazu. Wie in Dresden wollte die RAF „Symbolpolitik“ betreiben und historische Architektur vernichten, die neben ihrer Ästhetik auch als Ausdruck deutscher Identität verstanden wurde. Passende Worte fand Jörg Friedrich, sprachgewaltiger Chronist kriegerischer Geschichte des 20. Jahrhunderts: „Das mythische Gestein von Potsdam wurde triumphal gekippt. Die Hof- und Garnisonkirche, Grablege Friedrich II., verbrannte wie das Potsdamer Stadtschloss, Modell des preußischen Barocks. In die strenge Vornehmheit ganzer Straßenzüge und Ensembles schlug der Bombenhammer, weil der Stein beseelt war. Die Baugestalt war ein Erzieher, der stumm belehrte über Schönheit und Form, Maß und Zweck. Auch die Bombe war Erzieher und richtete über Macht und Ohnmacht.“

Signal an Josef Stalin

Das Angriffsdatum 14. April 1945 haben die RAF-Strategen wohl nicht zufällig ausgewählt. Exakt 200 Jahre zuvor, am 14. April 1745, war der Grundstein zum Bau von Schloss Sanssouci gelegt worden. Hundert Jahre vor dem Bombardement, am 14. April 1845, erfolgte die Grundsteinlegung der Friedenskirche im Schlosspark.

Symbolpolitik betrieb auch Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender der DDR, auf dessen Veranlassung die Ruine der Garnisonkirche im Mai/Juni 1968 gesprengt und beseitigt wurde. Ihn störte, dass im weitgehend erhaltenen und hergerichteten Turm der Kirche Gottesdienste stattfanden. Im eingeübten Ideologendeutsch schwadronierte Ulbricht vom Ausbau eines „sich sozialistisch wandelnden Stadtkerns“. 

Auch heutige Gegner der Garnisonkirche bemühen die Symbolik. Parallel zum „Historikerstreit“ von Dresden, der sich um Todesopferzahlen, den von Zeitzeugen bekundeten Tieffliegerbeschuss und den Opferstatus deutscher Zivilisten dreht - man denke an die antifaschistische Sottise „Deutsche Täter können keine Opfer sein“ -, gibt es in Potsdam einen Streit zwischen Kirchenfunktionären, Bauplanern, Historikern und an Stadtbildästhetik interessierten Bürgern. Dieser wächst sich zum Kulturkampf um die Deutungshoheit über preußische und deutsche Geschichte aus. 

Daran hat der längst beschlossene Wiederaufbau des Kirchturms wenig geändert. Kritiker ereifern sich über Verbindungen von Kirche, Staat und Militär in Preußen. Die wichtigsten Impulse zur Errichtung dieses Barockgebäudes seien von Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. ausgegangen. Ins Visier geraten auch deutschnationale Kundgebungen und Gedenkfeiern der Jahre 1919 folgende sowie die Verbeugung Adolf Hitlers vor Reichspräsident Paul von Hindenburg am 21. März 1933. Ständig sei die Garnisonkirche für „eine dumpfe Mischung aus Demokratiefeindlichkeit, großdeutschen Machtansprüchen und Antisemitismus“ missbraucht worden, so der Journalist und Buchautor Matthias Grünzig in der „Frankfurter Allgemeinen“.

Vernichtung historischer Architektur

Diese Kritiker blenden aus, dass Preußen eine sehr kunstsinnige Seite hatte und für unverzichtbare Tugenden, für Aufklärung und Religionsfreiheit stand. Zahllose Menschen nutzten die Garnisonkirche als Stätte des Gebets, des Gottesdienstes und der Seelsorge; zur Gemeinde gehörten auch Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Warum werden konstruierte antipreußische und antideutsche Affekte über Ästhetik, Schönheit und die Wünsche der Gläubigen gestellt? Wie will ein Volk im internationalen Wettbewerb bestehen, wenn es sich nie von historischen Selbstanklagen mitsamt ihren Schuld- und Sühnekomplexen lösen und ein positives Selbstbild entwickeln kann? 

Das Erinnern an die „Nacht von Potsdam“ ist würdevoll. Am 14. April 2013 fand in der Nikolaikirche die Uraufführung des von Kantor Björn Wiede komponierten „Potsdam Requiems“ statt. Auf dem Neuen Friedhof wurden zwei Ehrenfelder mit Einzel- und Massengräbern angelegt; die Granitkreuze kamen 1993 dazu. Neben den Opfern des großen Fliegerangriffs ruhen hier auch Tote aus den Kämpfen der letzten Kriegstage: Zivilisten, Soldaten, Zwangsarbeiter. Ein wuchtiges Mahnmal beeindruckt in Verbindung mit seiner schlichten Inschrift: „Dem Gedenken der Opfer des Bombenangriffs auf Potsdam am 14. April 1945.“ 

b Dr. Björn Schumacher ist Jurist und Publizist mit den Schwerpunkten Völkerrecht, neuere Geschichte sowie Rechts- und Staatsphilosophie.