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17.04.20 / Medizingeschichte Wenn sich Geschichte auch nicht wiederholt, so bieten historische Erfahrungen mit Pandemien doch interessante Lehren für den Kampf gegen COVID-19 / „Lieber lächerlich aussehen, als tot sein!“ / Womit in den USA beim Kampf gegen die Spanische Grippe gute Erfahrungen gemacht wurden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16 vom 17. April 2020

Medizingeschichte Wenn sich Geschichte auch nicht wiederholt, so bieten historische Erfahrungen mit Pandemien doch interessante Lehren für den Kampf gegen COVID-19
„Lieber lächerlich aussehen, als tot sein!“
Womit in den USA beim Kampf gegen die Spanische Grippe gute Erfahrungen gemacht wurden
Wolfgang Kaufmann

Als in der Antike die ersten großen Pandemien ausbrachen, glaubte man, sie seien die Folge giftiger Ausdünstungen des Bodens und deren Verbreitung durch Luftströme. So hatte es der berühmteste Arzt des Altertums Hippokrates von Kos in seiner Miasmen-Theorie gelehrt. Dementsprechend ineffektiv fielen dann auch die hierauf aufbauenden Maßnahmen zur Seucheneindämmung aus, wie sie noch im 1348 vom französischen König Philipp VI. in Auftrag gegebenen „Pariser Pest-Gutachten“ genannt wurden: Als probatestes Mittel überhaupt galt das Verbrennen aromatischer Substanzen.

Strikte Kontaktsperren

Instinktiv unternahm man aber weitere Schritte, die sich bald als sehr viel wirksamer erweisen sollten und im Prinzip heute noch genauso zielführend sind, was zum sukzessiven Siegeszug der Theorie der Ansteckung durch Krankheitskeime im Zuge von Mensch-zu-Mensch-Kontakten beitrug. Die hatte der italienische Arzt Girolamo Fracastoro zu Beginn des 16. Jahrhunderts formuliert.

So sorgte die rigide Schließung aller Grenzen Polens durch König Kasimir I. dafür, dass sein Reich von der verheerenden Pest-Pandemie des 14. Jahrhunderts weitestgehend verschont blieb. Zeitgleich begannen Hafenstädte wie Venedig und Ragusa, die Besatzungen einlaufender Schiffe für 40 Tage (italienisch: quaranta giorni) in speziellen Lazaretten zu isolieren. Daraus entstanden der Begriff und die dann bald überall geübte Praxis der Quarantäne.

Allerdings kam es während der eine Million Tote kostenden Influenza-Pandemie von 1889 bis 1895, der sogenannten Russischen Grippe, zur Rückbesinnung auf die Miasmen-Theorie. So versuchten die Engländer der Krankheit Herr zu werden, indem sie ihre Häuser mit Schwefel und Kampfer ausräucherten. Verantwortlich hierfür war der Glaube, die Krankheit resultiere daraus, dass der Ostwind den Staub getrockneter Leichen von Asien bis zu den britischen Inseln geweht habe.

Während der darauffolgenden Spanischen Grippe, die vor 100 Jahren an die 50 Millionen Menschen tötete, wurde dann erneut auf Quarantäne und Kontaktverbote gesetzt – Maßnahmen, die sich jedoch unter den Bedingungen des Ersten Weltkriegs vielfach nicht umsetzen ließen. Wo das aber möglich war, zeigten sie ihre enorme Wirksamkeit. Das veranschaulicht sehr schön ein inneramerikanischer Vergleich. In der US-amerikanischen Stadt Philadelphia gab es noch zu Beginn der Pandemie eine große Militärparade, die 200 000 Menschen anlockte. In der Woche darauf starben 5000 an der Grippe. Dahingegen verhängte St. Louis beizeiten strikte Kontaktsperren. Dort lag die Zahl der Grippetoten nur bei der Hälfte des amerikanischen Durchschnittswertes. Andere Metropolen in den USA erzielten Erfolge mit Aufrufen zum vermehrten Händewaschen und Tragen von Mundschutzmasken. Die New Yorker Gesundheitsbehörde prägte dazu den Slogan: „Lieber lächerlich aussehen, als tot sein!“

Tragen von Mundschutzmasken

Das Wissen um die Effektivität vieler Maßnahmen von 1918 bis 1920 ging indes wieder verloren, wie der Ausbruch der Asiatischen Grippe 1957/58 zeigt. Diese forderte allein in Deutschland 30 000 Menschenleben. Dennoch gab es kaum Schulschließungen, und die Radiosender empfahlen statt banalster Hygienemaßnahmen das „Gurgeln mit Wasserstoffsuperoxid“ und die Einnahme „formalinfreisetzender Tabletten“.





Kurzporträts

Der berühmte griechische Arzt Hippokrates von Kos (ca. 460–370 v. Chr.) erklärte die Entstehung von Seuchen mit giftigen Ausdünstungen des Bodens

König Philipp VI. von Frankreich (1293–1350) gab 1348 ein Gutachten bei der Medizinischen Fakultät von Paris über den Umgang mit der Pest in Auftrag

Girolamo Fracastoro (1477–1553) publizierte 1546 in „De Contagione“ seine Theorie über die Krankheitsübertragung durch unsichtbare Keime (Seminaria)