26.04.2024

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17.04.20 / Kommentar / Verkehrte Fronten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16 vom 17. April 2020

Kommentar
Verkehrte Fronten
Erik Lommatzsch

Krisen treiben oft seltsame Blüten. Dies gilt auch für Corona. Auffällig ist in diesen Tagen und Wochen eine gewisse Anzahl von Stimmen, deren Tonlage so gar nicht zu dem passt, was noch kurz zuvor von ihnen zu vernehmen war. 

Da wäre beispielsweise Heribert Prantl, studierter Jurist, langjährig tonangebend bei der „Süddeutschen Zeitung“ und nicht bekannt dafür, gegen die rot-grüne Gesinnungslage anzuschreiben. In einer Videokolumne zu den Vorgängen um die Wahl von Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten im Februar äußerte er etwa: „Am Tag von Erfurt ist aus der wehrhaften eine ehrlose Demokratie geworden.“ Oder: „Der Rücktritt war bitterlich notwendig. CDU und FDP hatten sich in das dreckige Spiel der AfD hineinziehen lassen, vielleicht hatten sie es auch aktiv mitgespielt.“ 

Bezüglich des Begriffs der Demokratie oder gar der Verfassung hat der Kommentator hier offenbar das eine oder andere durcheinandergebracht. 

Aus unerwarteter Richtung 

Die Corona-Krise, landläufig eher verbunden mit gesundheitlichen Problemen, scheint bei Herrn Prantl nun eine Art geistige Heilung bewirkt zu haben. Ganz neue Linien finden sich da in einem Anfang April veröffentlichten NDR-Kommentar. So beklagt er, die „Bürgerrechte, die Grundrechte, die Freiheitsrechte wurden und werden in einem hohen Tempo und beispiellos umfassend ausgesetzt“. Schulen, Kirchen, Gaststätten, Geschäfte seien geschlossen, die Bewegungsfreiheit aufgehoben, das Recht auf Eigentum suspendiert, es gebe Kontaktverbote und Kommunikationssperren. 

Prantl stellt fest: „Und es gibt kaum Protest dagegen und keine Demonstrationen; Letztere sind ja verboten. Es ist schlimmer, als man sich das in der noch jungen Bundesrepublik ausmalte, in der Zeit als … gegen die Notstandsgesetze demonstriert wurde. Demonstrieren – das konnte man damals, das tat man damals.“ Hier habe sich eine Streitkultur entwickelt, jetzt passiere das Gegenteil, nun „verschwinden Kritik und Protest“. 

Völlig zu Recht sagt Prantl: „Was eigentlich Irrsinn ist, gilt nun, wegen Corona, als sinnhaft, als alternativlos, als absolut geboten. Das Virus hat nicht nur Menschen befallen, sondern auch den Rechtsstaat. Der Ausnahmezustand, der Notstand lugt nicht mehr nur um die Ecke, er ist da.“ Man nenne ihn eben nur „Shutdown“, das klinge gefälliger. Und dies alles auf „schwacher rechtlicher Grundlage“. Verwundert zeigt er sich, wie dies alles hingenommen wird. 

All diese Feststellungen sind nicht wirklich originell, sie wurden auch schon andernorts getroffen. Originell ist aber, dass sie der Feder beziehungsweise dem Mund von Prantl entströmen. Bis vor Kurzem wollte er doch selbst gern noch festlegen, für wen bestehende Gesetze gelten und wer trotz Verfassungskonformität ein „dreckiges Spiel“ betreibt.

Der Sinneswandel ist nicht auf Prantl beschränkt. Juli Zeh, Bestsellerautorin, ebenfalls Juristin, ehrenamtliche Richterin am Brandenburger Verfassungsgericht, die selbst gern politisch Stellung nimmt, äußerte sich unter anderem im Jahr 2019 zu der „Erklärung 2018“. Der Aufruf wandte sich gegen illegale Masseneinwanderung und rief zur Wiederherstellung der rechtsstaatlichen Ordnung auf. In den Augen von Juli Zeh hatten sich hier allerdings lediglich „rechte Intellektuelle“ zusammengeschlossen, „eine weitere Radikalisierung“ sei eingeleitet worden. 

In der gegenwärtigen „Krise“ ruft die Autorin nun plötzlich selbst nach der Wiederherstellung von rechtsstaatlicher Ordnung – einer Ordnung, die offenbar doch einen gewissen Wert hat. Der Deutschlandfunk zitiert aus einem Interview, in dem die Schriftstellerin beklagte, bedenklich finde sie derzeit Tendenzen, die Bürger durch eine „Bestrafungstaktik“ einzuschüchtern. Zudem habe sie gesagt, „zurzeit werde tief in die Grundrechte der Bürger eingegriffen, ohne dass die Rechtsgrundlage geklärt wäre.“

Erstaunliches auch von ganz anderer Seite. Die „JUNGE FREIHEIT“ redet neuerdings Strafverschärfungen für „Corona-Sünder“ das Wort. Ende März hieß es: „So müssen nun alle die Konsequenzen tragen, weil einige wenige nicht in der Lage sind, drei Wochen nicht auszugehen.“ Selbst aus der AfD kommt Kontrollunterstützung. Denn um nichts anderes als Staatsüberwachung würde es sich bei einem „Corona-Immunitätsregister“ handeln, für das sich der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Leif-Erik Holm ausgesprochen hat. 

Rufe zur Freiheit, Rufe zur Einschränkung – im Zeichen von Corona aus unerwarteten Richtungen.