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17.04.20 / Endlich Zeit für Lektüre / Was tun in den Wochen des Nichtstuns? Vielleicht einmal ein paar alte englische Klassiker ausgraben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16 vom 17. April 2020

Endlich Zeit für Lektüre
Was tun in den Wochen des Nichtstuns? Vielleicht einmal ein paar alte englische Klassiker ausgraben
Dagmar Jestrzemski

Der weitgereiste britische Schriftsteller William Somerset Maugham (1874–1965) beginnt seine Erzählung „Honolulu“ mit dem Satz: „Der kluge Mensch reist nur in Gedanken.“ Man sollte darin kein Paradoxon sehen, denn jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten. Es lohnt sich, diesen Hinweis wörtlich zu nehmen und in Zeiten geschlossener Buchhandlungen und Bibliotheken die – sofern noch vorhanden  – verstaubten Bücher von Somerset Maugham sowie anderer großartiger englischer Erzähler des Zeitraums spätes 19. bis Mitte 20. Jahrhundert aus dem eigenen Bücherregal zu holen und wieder zu lesen oder neu zu entdecken. 

Für diese alten Meister gilt, was man bei der Gegenwartsliteratur oft vermisst: Es öffnet sich ein weiter Raum – die Reise kann beginnen. Einige Namen seien an dieser Stelle genannt: „Dschungelbuch“-Autor Rudyard Kipling (1865–1936), John Galsworthy (1867–1933), Schöpfer der monumentalen „Forsyte-Saga“, die neuseeländische Erzählerin Katherine Mansfield (1888–1923) sowie der durch den Roman „Wiedersehen mit Brideshead“ noch heute bekannte Arthur Evelyn Waugh (1903–1966). Die wichtigsten der ins Deutsche übersetzten Werke dieser Autoren sind im Internet bei Ebay, Amazon oder Booklooker bestellbar.

Nutzen wir also die verordnete Häuslichkeit und blicken mit den englischen Klassikern zurück in eine untergegangene Epoche, die noch vom Gentleman-Ideal und der Wahrung von Standesunterschieden geprägt war, während sich die Globalisierung bereits unaufhaltsam ihren Weg bis in die entlegensten Winkel der Erde bahnte. Die Berichte der Literaten über menschliche Verhaltensweisen wurden nicht nur zur puren Unterhaltung verfasst. Mit ihrer Gesellschaftskritik, der Behandlung existenzieller Fragen und einer bisweilen bitteren Ironie oder Satire ergeben sich Parallelen zu zeitgenössischen Texten. Vertreten sind auch rein humoristische Darstellungen mit ihrem typisch englischen Humor.  

Manches erinnert an heutige Verhältnisse. Feinsinnig schildert Daphne du Maurier (1907–1989) in ihrem Roman „Die Parasiten“ von 1949 die Entwicklung einer Patchwork-Familie. Drei Halbgeschwister, zwei Schwestern und ein Bruder, begleiten ihre Eltern, ein berühmtes Künstlerehepaar, auf ihren jährlichen Tourneen durch viele Länder und Kontinente. Der gefeierte Sänger und seine Ehefrau, eine begnadete Tänzerin, sind tragischerweise außerstande, ihren Kindern emotionalen Rückhalt zu bieten.

Ersatzweise bilden die Geschwister 

– künstlerisch ebenfalls hochbegabt – eine unverbrüchliche Einheit, die sie bis in die mittleren Jahre ihres Erwachsenenalters durchträgt. In dem Moment, als die Handlung einsetzt, wird die Gemeinschaft der Geschwister durch eine Intervention gestört, und es muss sich nun zeigen, wer von den Dreien sich als „echte“ Persönlichkeit und stark genug für ein autarkes Leben erweist. 

Subtile Katastrophen

Die subtil psychologisierende Handlung wird in Rückblenden erzählt. Anders als in ihren unter anderem von Alfred Hitchcock verfilmten Werken mit schauerromantischen Effekten („Rebecca“, „Die Vögel“ und „Dreh dich nicht um“, Filmtitel in der Regie von Nicolas Roeg: „Wenn die Gondeln Trauer tragen“) zeigt die Autorin in diesem Familiendrama ihre modernen, zeitbezogenen Anliegen. 

Wie du Maurier war auch William Somerset Maugham bis ins hohe Alter als Romancier, Erzähler und Dramatiker überaus produktiv. Zu seiner Zeit zählte er zu den bedeutendsten Schriftstellern der Welt. Insgesamt veröffentlichte er 

78 Bücher, darunter etliche Erzählungen, in denen er seine Reiserlebnisse verwertete. In seinen faszinierenden Südsee-Geschichten sind Engländer und Amerikaner als Kolonialverwalter und Geschäftsleute die Hauptfiguren, während die einheimischen Menschen nur als Statisten in einer traumhaften Landschaft in Erscheinung treten. 

In „Regen“ entlarvt der Autor einen fundamentalistischen Missionar als fanatische Persönlichkeit. Gespannt verfolgt man dessen wachsende Einflussnahme auf eine Frau, die zufällig mit ihm in einem Küstenort zusammentrifft. 

„Auf vorgeschobenem Posten“ handelt von einem englischen Snob, der sein Erbe verprasst hat und notgedrungen einen Posten als Kolonialverwalter in Malaysia angenommen hat. Der einzige Landsmann in der kleinen Siedlung an der Lagune verachtet ihn wegen seiner steifen Förmlichkeit. Jedoch hat der Protagonist in der neuen Umgebung Eigenschaften entwickelt, die den Leser immer mehr für ihn einnehmen. Indessen beschwört sein Gegenpart durch sein brutales Verhalten gegenüber den Einheimischen eine Katastrophe herauf. 

In der englischsprachigen Welt ist er mindestens ebenso berühmt wie Charles Dickens: Thomas Hardy (1840–1928), dessen bekannteste Werke wie „Tess von den d’Urbervilles“ oder „Herzen in Aufruhr“ zum festen Kanon der britischen Literatur gehören. Auch Hardy war ein moderner Typus, dem es um das Aufbrechen von Konventionen in einer Zeit des Umbruchs ging. Wer jetzt Aufmunterung braucht, sollte sich seinen frühen, weniger bekannten Romanen zuwenden. Empfohlen sei der 2015 verfilmte, herrlich detailreiche Roman „Am grünen Rand der Welt“ aus dem Jahr 1874.