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17.04.20 / Corona / In der Krise zeigt sich, was die Nachbarn am Rhein einander wert sind / Auch ohne EU-Bürokratie: Im Elsass hat die deutsch-französische Freundschaft durch die Aufnahme Dutzender erkrankter Elsässer in deutschen Intensivstationen eine Bewährungsprobe bestanden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16 vom 17. April 2020

Corona
In der Krise zeigt sich, was die Nachbarn am Rhein einander wert sind
Auch ohne EU-Bürokratie: Im Elsass hat die deutsch-französische Freundschaft durch die Aufnahme Dutzender erkrankter Elsässer in deutschen Intensivstationen eine Bewährungsprobe bestanden
Bodo Bost

Der Franzose Louis Pasteur und der Deutsche Robert Koch haben bahnbrechende Leistungen in der Virenbekämpfung erzielt. Ab 1881 waren beide erbitterte Konkurrenten. Die Tragödie des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870 hatte bei dem zunächst deutschfreundlichen Pasteur starke Ressentiments gegenüber dem Erbfeind hinterlassen. Als 1885 der neunjährige elsässische Junge Joseph Meister als erster Mensch von Louis Pasteur in Paris vollständig gegen Tollwut geimpft wurde, war dies eine klare Kampfansage an Robert Koch in Berlin, der seinen französischen Kollegen, der zwar um einiges älter war als er, gerade durch die Entdeckung des Tuberkulin überholt hatte. 

Es war zwar Zufall, dass der Junge aus dem Sundgau im Elsass stammte, wo ein tollwütiger Hund mehrere Menschen gebissen hatte. Aber in Deutschland wurde das damals so aufgefasst, als ob Pasteur sich absichtlich einen Jungen aus dem Elsass ausgesucht hätte, um seine Impfung auszuprobieren, die noch bei keinem Menschen getestet war und es bei dem Jungen noch nicht einmal sicher war, dass er die Tollwut auch wirklich hatte. 

Das Elsass, das jahrhundertelang zur deutschen Kultur und zum Reich gehört hatte, war 1660 an Frankreich gefallen und seit 1871 wieder deutsch geworden. Zum Zeitpunkt des Impfwettlaufs zwischen Pasteur und Koch gehörte es also zu Deutschland. Zweimal sollte es in Zukunft noch seinen Besitzer wechseln und zum Pfand der deutsch-französischen Erbfeindschaft werden. 

Im Wetteifer um neue Entdeckungen in der Virusbekämpfung baute in Paris und Berlin jeder sein eigenes Institut und seine eigene Forschungsgruppe auf. In wenigen Jahren gelangen bahnbrechende Entdeckungen, die halfen, Seuchen wie Milzbrand, Tuberkulose, Tollwut, Diphterie, Cholera und Pest einzudämmen. So katapultierte das Duell zwischen Pasteur und Koch die Medizin in ein neues Zeitalter. 

Fastenaktion wurde zum Virusherd

Das Oberelsass ist jetzt zu einem Hauptkrisenherd des Virusproblems in Frankreich geworden. Im März verdreifachte sich hier die Todesrate gegenüber dem März des Vorjahres. Es starben über 1000 Menschen mehr. In Mülhausen, der Hauptstadt des Oberelsass, hatte eine Freikirche mit Namen „Porte Ouverte“ in einer Fastenwoche vom 17. bis 24. Februar die Corona-Welle ausgelöst. Mindestens 20 Mitglieder der etwa 2000 Teilnehmer umfassenden Fastenaktion sollen sich in den Reihen der überregional bekannten Freikirche infiziert haben. Sie kamen aus verschiedenen Regionen Frankreichs, dazu aus Belgien, Deutschland und der Schweiz. 

Der leitende Pastor Samuel Peterschmitt und sein Sohn Jonathan, Arzt von Beruf, waren ebenfalls betroffen. Die Fastenwoche ist für Porte Ouverte einer der Höhepunkte im Kirchenjahr. Leider kam das Virus auch durch zwei Teilnehmer aus Burkina Faso erstmals in dieses sehr arme Land Westafrikas, wo auch der erste Todesfall in Schwarzafrika zu beklagen war.

Es kam nach der Fastenwoche zu einer exponentiellen Verbreitung des Virus im Elsass und einer schnellen Überlastung der Krankenhäuser. Nach wenigen Wochen wurden bereits erste Patienten nach Bordeaux, Marseille oder Toulouse geflogen oder per Sonderzug ausgefahren. Die französische Armee hat ein Feldlazarett in Mülhausen fertiggestellt.   

In den ersten Tagen der Pandemie berichteten regionale Medien nur über die einseitige Schließung der deutschen Grenze, weil davon auch viele Grenzgänger aus dem Elsass in Deutschland betroffen waren. Man fürchtete eine weitere Isolation des Seuchenherds. Deutsche Medien berichteten von Anfang an vor allem über die Überlastung der Krankenhäuser im Elsass, von denen das in Colmar sogar den Namen von Louis Pasteur trägt. Die Krankenhäuser im Elsass erreichten sehr schnell ihre Belastungsgrenze. Es kam zu Horrormeldungen, die besagten, dass Patienten über 80 Jahre nicht mehr beatmet würden. 

Nachdem Brigitte Klinkert, Präsidentin des Departements Haut-Rhin, einen verzweifelten Hilferuf an Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gerichtet hatte, wurden die ersten Patienten aus Mülhausen und Colmar in Hubschraubern in deutsche und auch in Schweizer Krankenhäuser geflogen. Die Universitätskliniken und Krankenhäuser in Freiburg, Mannheim, Karlsruhe, Heilbronn, Ulm und Villingen-Schwenningen haben alle zwei oder drei Intensivpatienten aus dem benachbarten Elsass aufgenommen. Inzwischen folgten Krankenhäuser im Saarland, Rheinland-Pfalz und Luxemburg. Sogar die berühmte Charité in Berlin, einst Wirkungsstätte von Robert Koch, hat einige Patienten aus dem Elsass aufgenommen. Die Zahl der Aufgenommen wuchs in der Folge auf mehr als 50. 

Rettung aus Deutschland

Bewährt haben sich in diesen schweren Tagen auch die grenzüberschreitenden kommunalen Partnerschaften. So konnten dank enger Kontakte von Metz in die Partnerstadt Trier einige Corona-Patienten in der Römerstadt behandelt werden. 

Der französische Präsident Emmanuel Macron verkannte jedoch die Tatsachen, als er auf Twitter schrieb: „Die europäische Solidarität rettet Leben.“ Gerade von der EU hat man in dieser größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg am wenigsten gehört oder gesehen. Nur Stunden bevor es zur Überführung des ersten Patienten kam, hatte der französische Rechtspopulist Jean Messiha, der in der Parteiführung von Marine Le Pens Partei Rassemblement National sitzt, das Fehlen grenzüberschreitender Solidarität kritisiert und sich über das vermeintliche Hirngespinst „europäischer Solidarität“ lustig gemacht: „Wenn’s hart auf hart kommt, zählen nur noch die nationalen Grenzen“, schrieb Messiha auf Twitter. 

Er wurde eines Besseren belehrt. Mit der Solidarität der Krankenhäuser kam es zu einer weiteren grenzüberschreitenden Aussöhnung, die auch für die Zukunft der Region von großer Bedeutung sein wird. Denn eine eigene Gebietskörperschaft Elsass gibt es zurzeit in Frankreich gar nicht mehr, allenfalls gibt es die Megaregion „Grand-Est“, zu dem neben dem Elsass auch die ehemaligen Regionen Lothringen und Champagne Ardenne gehören. Erst ab 1. Januar 2021 wird es wieder das Elsass als eigene Gebietskörperschaft mit europäischer Bestimmung geben. Bis dahin ist Corona hoffentlich überwunden.