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24.04.20 / Kolumne / Ängste statt Vernunft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17 vom 24. April 2020

Kolumne
Ängste statt Vernunft
Florian Stumfall

Das einzig verbliebene Thema der angeblich vielfältigen Medien dehnt angesichts dieser Monopolstellung seine Wirkkraft gewaltig aus. So hat es längst die Grenzen der fachlichen Zuständigkeit, diejenigen der Medizin, überschritten und ist in Politik und Demoskopie eingedrungen. Dies geschah, ohne dass es auf Widerstand gestoßen wäre, ganz im Gegenteil. Beide Felder ließen sich mit wahrer Wollust erobern. Dabei dürfte die ohnehin bestehende Verbindung zwischen Volksvertretern und Demoskopen noch enger geworden sein.

Dies lenkt den Blick auf die Entwicklung binnen weniger Wochen, die am Beispiel Bayern exemplifiziert werden soll, weil hier die Konturen am deutlichsten zutage treten. Und nachdem die Dinge aus den Gesichtern leben, gibt es hier zudem einen gewissen Herrn Söder, den Ministerprä­sidenten, der es sich demütig gefallen lässt, bei der Nennung möglicher Kanzlerkandidaten der Unions-Parteien mit dabei zu sein. 

CSU-Ministerpräsident Söder also durfte laut einer Umfrage, veröffentlicht am 25. Februar, mit 38 Prozent Zuspruch rechnen, die Grünen, als die neuen Roten die hauptsächliche Opposition, mit 20 Prozent. Am 9. März verschoben sich die Gewichte ein wenig zu Lasten der CSU: 36,2 Punkte gegenüber 22. Dann aber trat die Corona-Wirkung ein. Mit Datum vom 8. April nannte der Bayerische Rundfunk 49 Prozent für die CSU und nur noch 17 für die Grünen. Zudem hat Söder auf der Beliebtheitsskala Kanzlerin Merkel bereits vor drei Wochen überholt.

Erstaunlich, was ein Virus vermag, von seiner eigentlichen Bestimmung abgesehen, eine mehr oder minder schwere Krankheit hervorzurufen. Hier gelingt ohne Schwierigkeit, worum sich die Wissenschaft oft vergeblich bemüht, nämlich eine interfakultäre Zusammenarbeit. Eine medizinische Ursache führt zur politischen Wirkung. 

Unbelastet von Weltanschauungen

Es ist, als wäre aus den Deutschen über Nacht ein Volk von Virologen und Infektiologen geworden, doch dieser Eindruck entspricht nicht der Wirklichkeit. Nach wie vor versteht nur eine Handvoll von Fachleuten etwas von dem Metier. Dabei finden so gut wie ausschließlich diejenigen öffentlich Gehör, welche die Gefahren in grellen Farben zeichnen, während andere, kritische, von Kameras und Mikrophonen ferngehalten werden. Diese Regel erinnert insofern stark an die Klima-Debatte.

Doch obwohl der Sachverstand keineswegs explodiert ist und obwohl Extrapolationen aufgrund völlig unzureichender Daten erhoben werden, bewirkt das Ergebnis bei einer erstaunlich großen Zahl mündiger Bürger einen Wechsel im Wahlverhalten, jedenfalls, was die Absicht angeht. Kein Mensch kennt die absolute Zahl von Infizierten, doch es werden von der unbekannten Menge Prozentzahlen gezogen; aktuelle Sterberaten werden veröffentlicht, aber nicht in Beziehung gesetzt zu den langjährigen Werten im selben Zeitraum. Was da wissenschaftlich auch nicht den geringsten Ansprüchen genügt, ist immerhin wichtig genug, um eine bemerkenswerte politische Bewegung auszulösen.

Das lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, wonach die Menschen ihre Wahlentscheidungen treffen. So generell, wie hier angesprochen, lässt sich das natürlich nicht beantworten, man muss differenzieren. Bis in die Nachkriegszeit hatten Gedankensysteme starken Einfluss auf die Politik. Die bürgerliche Welt hielt aufs Hergekommene und Erprobte, und ging sonntags zur Kirche, um zu hören, was der Pfarrer dazu sagt. Oder die Linke: Die ruß-verschwitzte, proletarische Romantik des 19. Jahrhunderts besaß entgegen den Erfahrungen der Wirklichkeit noch lange eine bemerkens­werte Anziehungskraft. Zwischen diesen beiden Polen, welche die sogenannten Stammwähler an sich banden, schwamm das unentschlossene Volk, dem die vorzügliche Aufmerksamkeit der Wahlstrategen galt. 

Im Prinzip hat sich daran bis heute nichts geändert bis auf die Relationen der Mengen. Die bürgerlichen Stammwähler wurden ebenso weniger wie die Kirchgänger, und auf die marxistischen Lockungen sind auch schon mehr Leute hereingefallen. Zugenommen haben demnach die Unentschlossenen. Ihnen ist eigen, dass sie, unbelastet von weltanschaulichen Vorgaben, nach dem Eindruck des Augenblicks entscheiden. Und da kommt die Rolle der Systemmedien ins Spiel.

Sie werden Systemmedien genannt, weil sie jedenfalls nach ihrer Funktion eine flankierende Ergänzung der Regierungspolitik darstellen. Ohne ihren Einfluss wäre eine derart schnelle Änderung der politischen Präferenzen bei den Wählern, wie am Beispiel Söder beschrieben, gar nicht möglich. Dabei führt die Geschlossenheit, mit welcher die Systemmedien auftreten, zu einem weiteren Effekt. 

Die Menschen neigen dazu, sich zu der Mehrzahl, den Erfolgreichen und denen mit Einfluss zu gesellen, bei den Verlierern mag sich niemand gerne aufhalten. Gute Umfragewerte stellen also eine zusätzliche Anziehungskraft auf die Unentschlossenen dar. Man will nach dem Sieg sagen können: Ich war auch dabei! Dem entspricht, dass das selbstständige Denken nicht mehr hoch im Ansehen steht, was eng mit den Folgen zahlreicher Bildungsre­formen zusammenhängen dürfte. Nicht zufällig – denn wer nicht denkt, den kann man leichter regieren. Im fortgeschrittenen Fall wird selbstständiges Denken – sei es nun über Corona, das Klima oder das Gender-Phänomen – als Verschwörungstheorie abgetan, es kann aber zur Gefährdung der Existenz führen.

Rolle der Systemmedien

Zurück zum Wahlverhalten. Wenn also die Denkgebäude nicht mehr bestimmend sind, mithin nicht mehr die Überzeugung entscheidet, so tut es im verstärkten Maße der Eigennutz, meist gebündelt im Gruppenegoismus. Das Wahlverhalten zeigt mehr und mehr eine volatile Empfindlichkeit, wie man sie von der Börse kennt. Morgen ist wieder alles anders. Genau wie bei der Mode. Was vergangenes Jahr todschick war, ist heute unmöglich. Gut – bei der Mode mag das angehen, aber reicht dieses Prinzip für die Politik?

In all dem tritt ein Verlust der Vernunft zutage. Ihren Platz nehmen mehr und mehr die verschiedensten Ängste ein, denen zu folgen einen üblen Weg bezeichnet, die zu schüren aber allmählich zu einem Werkzeug des Regierens zu werden droht. Derlei trägt sehr leicht totalitäre Züge.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.