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24.04.20 / Lebensqualität / Die Stadt martert die Seele / Lärm, sozialer Stress, Vereinzelung: Für psychische Störungen bietet das urbane Leben den perfekten Nährboden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17 vom 24. April 2020

Lebensqualität
Die Stadt martert die Seele
Lärm, sozialer Stress, Vereinzelung: Für psychische Störungen bietet das urbane Leben den perfekten Nährboden
Wolfgang Kaufmann

Mehr als 55 Prozent der Weltbevölkerung leben inzwischen in Städten – das ist das Doppelte der Quote von 1950. Und 2050 werden wohl sogar mehr als zwei Drittel aller Menschen in einer Stadt wohnen. Das resultiert aus den zahlreichen Vorteilen des urbanen Daseins: leichterer Zugang zu Arbeit, Bildung, Dienstleistungen und Gesundheitsfürsorge, vielfältigere Kulturangebote, eine bessere Infrastruktur und so weiter. Aber dies ist offenbar nur eine Seite der Medaille, denn Städte – vor allem jene mit mehr als 500 000 Einwohnern – machen ganz offensichtlich auch seelisch krank.

Dafür gibt es mittlerweile viele sichtbare Belege. Bereits 2009 ergab eine vergleichende Analyse von 20 Studien aus mehreren Industrieländern, dass Stadtbewohner im Vergleich zu Landbewohnern ein rund 40 Prozent höheres Risiko tragen, seelische Störungen zu erleiden. Und 2014 wiederum fanden Wissenschaftler der TU Dresden nach der Auswertung der Daten von 5000 Patienten aus Deutschland etwas Interessantes heraus. 

40 Prozent höheres Risiko

Von den Probanden, die in Städten mit mehr als 500 000 Einwohnern lebten, litten 13,9 Prozent an einer Depression oder manisch-depressiven Störung. Dahingegen lag dieser Wert bei denen, in deren Heimatort weniger als 20 000 Leute lebten, bei nur 7,8 Prozent. Ähnlich deutlich ist der Unterschied zwischen Stadt und Land im Falle der Schizophrenie: Städter bekommen eine solch schwere Psychose doppelt so oft wie Landbewohner. Über die Ursachen dieser Diskrepanz diskutiert die Fachwelt seit Längerem heftig. Manche Experten vertreten die Ansicht, dass es Menschen mit einer Veranlagung zu psychischen Erkrankungen eher in die Stadt ziehe und mental Gesunde stattdessen aufs Land. Doch diese Erklärung scheint nicht zuzutreffen. Vielmehr liegt die Wurzel des Übels wohl in den Begleitumständen des Stadtlebens. 

So sorgt die urbane Lebenssituation für ein erhöhtes Stressniveau. Das resultiert aus dem hohen Maß an sozialer Dichte in den Städten. Dort wohnen viele Menschen auf engem oder gar engstem Raum, was allein schon zu massiven Störungen des psychischen Gleichgewichts führen kann. Dazu kommt nicht selten eine parallele soziale Isolierung. Außerdem sind Städte Orte, an denen es in der Regel mehr Armut, Gewalt und Diskriminierung gibt als auf dem Lande.

Mehr Gewalt und Armut

Aber auch Umwelteinflüsse wie Lärm und mangelhafte Luftqualität tragen zur Entstehung psychischer Krankheiten bei. Eine gemeinsame Untersuchung der Universität Lübeck und des Robert-Koch-Instituts mit nahezu 20 000 Teilnehmern ergab, dass die Empfänglichkeit für mentale Störungen um 100 Prozent steigt, wenn sich die Menschen von dauerhaftem Lärm gestört fühlen. Ähnlich negative Auswirkungen scheint darüber hinaus schlechte Luft zu zeitigen. Im Sommer 2019 veröffentlichten neun Forscher aus den USA und Dänemark einen Artikel, in dem sie über das Ergebnis ihrer Analyse der Gesundheitsdaten von 151 Millionen US-Amerikanern berichteten: In Regionen mit starker Luftverschmutzung kommen mehr manisch-depressive Störungen vor.

Deshalb suchen Experten nun nach Möglichkeiten zur Abhilfe. Einige deutsche Psychiater und Psychologen sowie Stadtplaner, Soziologen und Philosophen schlossen sich zu diesem Zweck zum „Interdisziplinären Forum Neurourbanistik“ zusammen. Das Gremium riet kürzlich dazu, wesentlich mehr Grünflächen und Parks in den Städten zu schaffen, denn der Aufenthalt dort führe nachweislich zur Verringerung von sozialem Stress.