20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
24.04.20 / 20 Jahre Gartenträume / Einmal frische Parkluft schnuppern / In Sachsen-Anhalts historischen Schlossgärten kann man dem von Corona ausgelösten Lagerkoller leicht entkommen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17 vom 24. April 2020

20 Jahre Gartenträume
Einmal frische Parkluft schnuppern
In Sachsen-Anhalts historischen Schlossgärten kann man dem von Corona ausgelösten Lagerkoller leicht entkommen
Helga Schnehagen

Bloß raus an die frische Luft! Die warme Frühlingssonne fordert geradezu zum Spaziergang heraus. Was sonst kann man an diesen Tagen anderes tun, wenn alles Mögliche wegen Corona geschlossen hat? Dafür laden viele barocke Gärten und englische Landschaftsparks, die seit 20 Jahre im Gartenträume-Projekt von Sachsen-Anhalt vereint sind, zum Verweilen ein.

Die Magdeburger Börde strotzt vor Fruchtbarkeit. Nordwestlich von Magdeburg versteckt sich inmitten des landwirtschaftlichen Überschwangs ein kulturelles Kleinod, das man hier nicht vermutet: Schloss Hundisburg. Auferstanden aus Ruinen, dominiert das Barockschloss des ehemaligen Mustergutes heute wieder ein langgestreckter Lustgarten, der zu den herausragenden Gartenanlagen des Barocks in Norddeutschland gehört. Seit einem Brandunglück im Herbst 1945 standen von zwei Dritteln des Barockschlosses nur noch die Grundmauern. Auch der Barockgarten – zuletzt diente er als Fußballplatz – war verschwunden. 

Mit der Revolution von 1989 kam die Übereignung des Volkseigenen Gutes an die Stadt Haldensleben. 500 Jahre, von 1452 bis 1945, hatte es sich im Besitz der Familien von Alvensleben und – ab 1811 – Nathusius befunden. 1991 setzte der erfolgreiche Wiederaufbau ein, samt Rekonstruktion des Barockgartens. Die neue alte Pracht erfreut jetzt die Besucher. 

Anna-Wilhelmines Sanssouci

Schloss Hundisburg ist heute ein ambitioniertes Kulturzentrum. Es beherbergt nicht nur eine – hoffentlich bald wieder geöffnete – Dauerausstellung des Bildhauers Heinrich Apel (*1935), sondern auch die Alvensleben’sche Bibliothek, eine der bedeutendsten historischen Privatbibliotheken. 

Herausragend unter den Veranstaltungen ist die alljährliche Sommer-Musik-Akademie, bei der dieses Jahr vom 11. bis 26. Juli wieder rund 60 junge Musiker aus der ganzen Welt unter Leitung von Johannes Klumpp innerhalb kurzer Zeit zu einem internationalen Akademieorchester zusammenwachsen sollten, um ein anspruchsvolles Klassik-Programm zu präsentieren. Ob die Pandemie das zulässt, ist noch die Frage.

Irrgarten und Heckentheater, die zu jedem ordentlichen Barockgarten gehören, wurden nicht wieder rekonstruiert. Eines der wenigen noch erhaltenen Heckenlabyrinthe aus dem Rokoko besitzt dagegen der farbenprächtige Lustgarten von Schloss Mosigkau in Dessau-Roßlau.

Der reizende Sommersitz von Anna-Wilhelmine (1715–1780), der unverheirateten Lieblingstochter von Fürst Leo-

pold I. von Anhalt-Dessau, genannt der alte Dessauer, verdient nach jahrelanger Sanierung wieder zu Recht den Namen „Kleines Sanssouci“. „Der Irrgarten“, so Kastellan Andreas Mehnert, „ist ein Spiegel des Lebens.“ Mit all seinen Irrungen und Wirrungen, wäre zu ergänzen. Denn die Suche nach dem richtigen Weg, so könnte man weiter philosophieren, ist die Lebensaufgabe schlechthin. 

25 Kilometer südlich bewahrt der Gutspark Altjeßnitz Deutschlands ältesten und größten barocken Irrgarten mit einer Gesamtfläche von 2600 Quadratmetern. Der kürzeste Weg vom Eingang zur Aussichtsplattform im Zentrum ist knapp 400 Meter lang und dauert sechs Minuten. Durch die Hainbuchenhecken kann man sich nicht schlagen. Sie sind zaunartig verdrahtet.

Im Labyrinth verlaufen

„Irrgärten dienten nicht nur dem Amüsement“, erklärt hier der Parkbetreiber Günther Aßmann, „sondern hatten auch die Funktion, einen auf andere Gedanken zu bringen.“ Heißt es nicht: Wenn du nicht mehr weiter weißt, wechsle die Perspektive? Im Altjeßnitzer Irrgarten kann der Perspektivwechsel allerdings lang werden. „Denn es kommt vor“, so Aßmann, „dass Besucher mehrere Stunden umherirren.“  

Der Rest von Altjeßnitz’ barocker Gartenpracht ist einem Landschaftspark gewichen, der auch ein romanisches Kirchlein aus dem 12. Jahrhundert beherbergt. Zwei so originelle wie komfortable moderne Ferienwohnungen in einem Baum- und einem Hügelhaus schräg gegenüber des Parks ergänzen seit 2019 das einmalige Ensemble.

Der Altjeßnitzer Park wurde 2004/2005 im Rahmen der Gartenträume-Initiative saniert. Nach der Bundesgartenschau in Magdeburg 1999 war die Idee entstanden, aus den rund 1000 Gartendenkmalen des Landes die schönsten und bedeutsamsten 50 Parkanlagen auszuwählen und zur Gartenträume-Route Sachsen-Anhalt zusammenzufassen. 

Dazu investierten die Landesregierung, Kommunen, Eigentümer, Stiftungen, Förderer und Sponsoren, aber auch der Bund und die EU bis heute über 60 Millionen Euro in die Sicherung, Wiederherstellung, Pflege und Vermarktung der Parks. Rund zwei Millionen Besucher kamen nach Aussage der Initiative zuletzt jährlich in die auserwählten grünen Oasen, die sich von Nord nach Süd, von West nach Ost über das Bundesland verteilen. 

Herzstück der Gartenträume-Route ist das Gartenreich Dessau-Wörlitz an der Mittelelbe, selber seit 20 Jahren Weltkulturerbe. Dabei ist die Region gleich zweifach unter den Schutz der Unesco gestellt: als Naturschutzgebiet seit 1988 und als Kulturerbe seit 2000. 

Ein Hauch von Venedig

Neben Mosigkau gehören zu den Gartenträumen auch der Kühnauer Landschaftspark, der Georgenpark, Schloss und Park Luisium, der Sieglitzer Berg, die Wörlitzer Anlagen sowie Oranienbaum, dessen Schloss derzeit in einer langwierigen Restaurierungsphase steckt. Das Gartenreich besitzt ein eigenes millionenschweres Budget, das von einer Stiftung verwaltet wird, die vor zwei Jahren ihr 100-jähriges Bestehen feiern konnte.

Mit „Leidenschaft für Schönheit“ wollen nun ihrerseits die Gartenträume auf Schloss Wernigerode noch bis voraussichtlich Mitte September ihr 20. Jubiläum feiern. Dabei handelt es sich um eine vorerst bis mindestens 4. Mai geschlossene „Schnuppertour“ durch alle Parkanlagen, auf der jede einzelne mit drei Objekten wie Gemälden oder parkeigenen Geschichten auf sich aufmerksam macht. 

Bei der zunehmenden Neigung zu Inlandsreisen mag nach Beendigung der aktuellen Kontaktsperre eine Gondelfahrt auf dem Wörlitzer See einen Hauch Venedig versprühen und die Gartenträume-Route eine hübsche Alternative im Kleinformat zur Schlössertour an der Loire bieten. Jeder hofft darauf, dass ab dem 

4. Mai alles wieder geöffnet werden kann.