18.04.2024

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30.04.20 / Leitartikel / Kinder an die Luft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18 vom 30. April 2020

Leitartikel
Kinder an die Luft
René Nehring

In Notlagen wie der aktuellen Corona-Pandemie wird deutlich, was beziehungsweise wer „gesellschaftlich relevant“ ist – und wer nicht. So haben wir in den letzten Wochen gelernt, dass zur Rettung des deutschen Spargels trotz der allgemeinen Kontaktsperre schnell mal 80.000 Erntehelfer aus Rumänien herüberfliegen dürfen, um das begehrte Stangengemüse von den Feldern zu holen. Und Nordrhein-Westfalen hat erklärt, dass es zum Schutz der für dieses Bundesland relevanten Industrie auch die heimischen Möbelhäuser öffnen lässt. 

Gegen beides ist im Grunde nichts zu sagen. Ohnehin ist es nicht verkehrt, bei den Maßnahmen zum Schutz vor der Pandemie nicht allzu starr, sondern flexibel und durchaus lokal verschieden zu entscheiden, was geboten ist und was nicht. Warum soll ein Ministerpräsident nicht individuell entscheiden dürfen, was für sein Land am besten ist? Zumal der Katastrophenschutz in Deutschland ohnehin zumeist Aufgabe der Länder ist. 

Bedenklich ist jedoch, welche gesellschaftliche Gruppe von den aktuellen Überlegungen zur Lockerung der gegen die Ausbreitung des Coronavirus verhängten Maßnahmen weitestgehend ausgenommen ist: die Grundschüler und Kindergartenkinder. Zwar gibt es hier und da Warnungen von Fachverbänden und zum Teil auch Anstöße von Kultusministern, doch ist ein Datum für die Öffnung der Schulen und Kindergärten noch nicht ansatzweise erkennbar. 

Der Grund für die Restriktionen gegenüber den Bildungseinrichtungen war die ursprüngliche Annahme, dass Kinder durch ihr wildes Spielen besonders häufig das unbekannte Virus übertragen könnten. Für diese Vermutung gab es jedoch zu keinem Zeitpunkt eine gesicherte Datenbasis. Dafür wissen wir inzwischen ziemlich sicher, dass das Virus für Kinder weitaus weniger bis gar nicht gefährlich ist. 

Unstrittig ist, dass den Kindern durch den verordneten Daueraufenthalt in den eigenen vier Wänden wichtige Elemente für eine gedeihliche Entwicklung fehlen: das ausgelassene Toben auf dem Spielplatz ebenso wie die Begegnung mit gleichaltrigen Freunden sowie nicht zuletzt auch die fachgerechte Bildung durch ausgebildete Erzieher und Pädagogen. Als es vor geraumer Zeit darum ging, einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz zu beschließen, wurde in den Begründungen der Befürworter stets der Eindruck vermittelt, dass das Kindswohl nirgendwo so gefährdet sei wie in den eigenen vier Wänden. Und heißt es nicht sonst immer – zu Recht –, dass die Kinder zu Hause viel zu lange an den Computern und Spielkonsolen hängen würden? Um so erstaunlicher, dass derlei Überlegungen nunmehr keine Rolle spielen. 

Gleiches gilt übrigens auch für den Breitensport der Kinder, der – Stand jetzt – bis in den Sommer hinein untersagt bleiben soll. Seit den Zeiten von Turnvater Jahn ist die Bedeutung von körperlicher Bewegung eines jungen Menschen unbestritten – nicht zuletzt auch für die geistige Entwicklung. Warum also soll den Kindern dies auf absehbare Zeit vorenthalten werden? Welche Ansteckungsgefahren lauern überhaupt bei Sportarten wie Leichtathletik, Fußball, Radsport, Kanu, Tischtennis oder Tennis? 

Es ist also höchste Zeit, die durch keinerlei Fakten begründeten Beschränkungen für Grundschüler und Kindergartenkinder aufzuheben, und die Kleinen – buchstäblich – wieder an die frische Luft zu setzen. 

Der einzig plausible Grund für eine Einschränkung der Kinder ist übrigens die Ansteckungsgefahr für die eigenen Großeltern. Doch warum muss hier der Staat eingreifen? Trauen wir den Familien nicht zu, selbst auf einen angemessenen Abstand achten zu können, der ihnen einerseits eine Begegnung zwischen den Generationen ermöglicht und andererseits dem Gesundheitsschutz Rechnung trägt?