26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.04.20 / Persönlichkeiten / Wenn die 5 Tango „träumen von der Ostsee…“ / Der Botho-Lucas-Chor – Eine Hälfte ihrer Seelen blieb in Pommern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18 vom 30. April 2020

Persönlichkeiten
Wenn die 5 Tango „träumen von der Ostsee…“
Der Botho-Lucas-Chor – Eine Hälfte ihrer Seelen blieb in Pommern

Das Jahr 1938 ist noch jung und frisch, als in Köslin fünf ähnlich junge Burschen bei privaten Feiern aus Spaß und aus Freude an der Musik gemeinsam zu musizieren beginnen. Die Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen kennen sich von klein auf: Gerhard „Bartschchen“ Bartsch aus der Füsilierstraße 10, Botho Lucas aus der Bergstraße 31, Erwin Menger aus der Grünstraße 8, Rudolf „Hermann“ Sieg aus der Mühlentorstraße 47 und Kurt „Wasco“ Tratzki aus der Badstüberstraße 11.

Man übt gemeinsam, und bald gibt es die ersten „öffentlichen“ Auftritte, anfangs noch mit geliehenem Schlagzeug. Ein Name für die Gruppe muss her. Sie haben sich besonders den sanften, melodiösen Klängen verschrieben – im Tangoschritt, langsamen Walzer, Slowfox. So ist schnell klar: „5 Tango“ würde man sich nennen. Für den ausscheidenden Erwin Menger stößt Harry Byesse, Am runden Teich 6, zu der Band; sein Vater ist sogar Berufsmusiker. 

Schnell häufen sich die Engagements in guten Häusern: im „Konzerthaus Zels“ jeden Sonnabend im großen Saal, aber auch beim Tanz nach „Kraft durch Freude“-Großveranstaltungen im Wechsel mit einer anderen Gruppe, vielleicht den „Vier Herolds“, in der „Kammerdiele“, in der Rogzower „Deutschen Eiche“ oder im „Café Pohlenz“. Oftmals treten sie auf bei den Abschlussbällen der Tanzschulen in Köslin und Umgebung, den Abiturientenbällen und natürlich weiterhin bei privaten Feiern. Im kleinen Saal bei „Zels“ üben sie den Stepptanz ein. Kaum klappt dieser, geben sie während des nächsten Tanzabends eine Einlage. Nach der Melodie „You are my lucky Star“ / „Du sollst mein Glücksstern sein“ – mit Botho Lucas gleichzeitig steppend und auf dem Akkordeon spielend – beginnt der Saal zu toben. In den Jahren 1938 und 1939 in Köslin in Pommern!

Auf Grund Bothos besonderer musikalischer Begabung ist die Gruppe in der Lage, soeben im Kino gehörte neue Schlager am folgenden Abend auf einer Bühne spielen zu können. Die „5 Tango“ musizieren grundsätzlich „echt“, also ohne Verstärker, sogar ohne Lautsprecher. Die Instrumente schleppen sie mit Muskelkraft zu den Auftritten und zurück. Der Rückweg wird dann vom gemeinsamen leisen Gesang und der Gitarre Kurt Tratzkis verschönt. Liegen die Orte des Geschehens etwas weiter entfernt, werden die Herren nobel mit dem Leiterwagen abgeholt und später in die Stadt zurückgefahren. Sind sie privat unterwegs, gerne im heute noch beliebten Großmöllener „Café Hohenzollern“ oder in „Böttchers Strandhalle“, werden sie schnell erkannt und gezwungen, mit fremden Instrumenten die aktuellen Hits zu spielen.

Da schießt ein bis in die Gegenwart unvergessener Schlager in die „Top Ten“: „Träumen von der Südsee“. Ähnlich wie man heute die ursprünglich pommerschen Ostseewellen auch als „Nordseewellen“ an den Strand trecken lässt, wird in Köslin mit Hilfe der „5 Tango“ aus der Südsee die geliebte Ostsee: „Träumen von der Ostsee, von den Nächten in Großmöll‘n, träumen von der Ostsee und von ihrem Spiel der Well‘n…“

Doch die Zeit holt auch die „5 Tango“ ein: Als die ersten Verwundeten in dem Kösliner Elisabeth-Krankenhaus eintreffen, versammelt man sich dort spontan und spielt zu einem Wunschkonzert auf. Nach dem Weihnachtsfest 1939 scheidet Rudi Sieg aus; übrig bleiben die „4 Tanzsolisten“. Nach deren Einberufung beziehungsweise Botho Lucas‘ Abreise nach Berlin ist auch diese Gruppierung Anfang 1940 aufgelöst. 

Der knapp 17jährige Botho schlägt sich auf eigene Faust erst nach und dann in der Hauptstadt durch. Für ihn soll die Musik immer Berufung und Beruf bleiben. Seinen Lebensunterhalt und sein Piano-Studium verdient er sich in langen Nächten mit Barmusik. „Nachts strippen, tags üben“, wie er sagt. Als Soldat nimmt er später an zwei Tourneen für die Wehrmacht teil und gerät, nachdem er als Fronturlauber im Sommer 1943 ein letztes Mal in seinem Leben Köslin erleben durfte, im Mai 1944 in Sewastopol in sowjetrussische Gefangenschaft. Unter den harten Bedingungen erleichtert seine Musikalität ihm und seinen Kameraden das Überleben. Bereits 1943 hat er auf der Krim als begnadeter Akkordeonspieler und Sänger entscheidend zur Hebung der Stimmung innerhalb seiner Batterie gewirkt. Sarkastisch hat man ein populäres Lied von Paul Abraham mit eigenem Text gesungen: „Eine Insel aus Träumen geboren ist die Krim, ist die Krim. Dort sind wir alle verloren, auf der Krim, auf der Krim...“ 

Im Winter 1949/50, kaum ein Jahr nach seiner glücklichen Heimkehr, gründet Botho Lucas in West-Berlin das „Lucas-Trio“ und danach ein Quartett. Aus der Zeit stammt sein „Kleiner Bär von Berlin“. Er gelangt zum RIAS, dem Radio im amerikanischen Sektor, und wirkt hier auch in zahlreichen Sendungen zusammen mit Hans Rosenthal. Er macht etliche Schallplattenaufnahmen und tritt in allen Sendern der Bundesrepublik sowie damals schon im Fernsehen auf. Ende der fünfziger Jahre verbietet ihm eine Handverletzung das Spielen von Instrumenten, also gründet er den „Botho-Lucas-Chor“, sein erfolgreichstes künstlerisches Projekt über Jahrzehnte – ausgezeichnet in den USA als „America‘s Favorite German Singing Group“. 

Er arbeitet als Komponist und Arrangeur; Anfang der sechziger Jahre erscheint mit dem Lied „Danke“ sein größter Erfolg, der aber in Kirchenkreisen nicht nur Zustimmung erregt. Ab den späten Siebzigern entwickelt und betreut er die singenden „Sonntagskinder“ – eine von ihnen ist Anke Engelke – und fördert später die Karriere der aus diesem Chor als „Euro Cats“ hervorgegangenen vier jungen Sängerinnen.  

Gerhard Bartsch verschlägt es nach Kriegsende in das holsteinische Eutin, und nach Auskunft der in Lübeck ansässigen Heimatortskartei für Nordosteuropa landet Erwin Menger in Hamburg, Harry Byesse fällt am 17. Dezember 1943. Rudi Sieg übersteht Krieg und Gefangenschaft bis August 1947 in Frankreich, wobei auch ihm seine Begabung für Musik und Malerei verbunden mit seinem Humor über vieles Schwere hinweghilft. Von Anfang an engagiert er sich innerhalb der Pommerschen Landsmannschaft in Lübeck für die Kösliner und bleibt als Hobby-Musikus aktiv. Wenn im Kreis fröhlicher Pommern die Stimmung hohe Wellen schlägt, verstärkt er diese zu Brechern, indem er mit seiner Handharmonika aufspielt. Und dann erklingt es unweigerlich – dieses wunderschöne herzliche „Träumen von der Ostsee, von den Nächten in Großmöll‘n...“

Überhaupt: Herzlichkeit ist ein treffender Begriff für die Beschreibung der beiden musikalischen Kösliner Freunde Rudi Sieg und Botho Lucas. Zur Weihnachtszeit des Jahres 2007 produziert Botho außer der erwähnten 2006 erschienenen Liebeserklärung an Köslin privat noch eine Compact Disc, auf der diesmal außer ihm seine Weggefährten mit zwölf stimmungsvollen Liedern zu hören sind: der „Botho-Lucas-Chor“, seine Lebenspartnerin Gretel, die „Euro Cats“, die „Sonntagskinder“ und ein Bläserchor. „Ein herzlicher klingender Gruß“, den er persönlich an die ihm Nahestehenden versendet hat – auch an seinen Landsmann

Detlef Schwenkler, Köslin e. V.