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30.04.20 / Der Wochenrückblick / Gesicht zeigen! / Warum wir springen wie die Zirkuspferde, und wie man die Krise politisch passend macht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18 vom 30. April 2020

Der Wochenrückblick
Gesicht zeigen!
Warum wir springen wie die Zirkuspferde, und wie man die Krise politisch passend macht
Hans Heckel

Eine elegante blonde Frau um die 30 beschämt mich morgens im U-Bahnhof. Ganz gelassen steht sie da mit blankem Gesicht zwischen uns verdrucksten Maskenmännchen. Sie wird spontan zu meiner Heldin. Die abgedroschene Parole „Gesicht zeigen!“ gewinnt plötzlich Erhabenheit. Ich dagegen wage es kaum, auch nur verstohlen an der muffigen Zellstoffkandare zu zupfen, um Luft zu kriegen. Für teuer Geld hatte ich das Zeug ganz am Anfang der Covid-Welle gekauft für den Fall, selbst krank zu werden. Damit mich dann wenigstens noch jemand besuchen kann, ohne sich in der letzten Ecke der Wohnung verkriechen zu müssen, von der aus er mich anstarrt wie den Sensenmann persönlich. 

Fast hatte ich die blassgrünen Teile in der Schublade vergessen, da sauste die Maskenpflicht auf uns nieder. Damit wir alle artig sind und das Muffeltuch in der U-Bahn auch aufsetzen, lässt die Obrigkeit in manchen Bundesländern milde verkünden, dass man „noch“ auf ein Bußgeld für Leute mit sichtbarem Gesicht verzichten will. „Noch“ – das ist natürlich eine Drohung. Und ich, der Journalist, der sich für „kritisch“ hält, springe übers Stöckchen, gehorsam wie ein Zirkuspferd. Denn wenn wir zu mutig werden und den Lappen weglassen, könnte ja das Bußgeld kommen, sobald wir das Anlegen auch nur mal vergessen sollten. Also gehorchen wir. Das nennt man perfekte Dressur.

Im Netz und in den Medien ist derweil ein Wettbewerb um die schönste oder witzigste Maske ausgebrochen. Es ist, als ob sich die Zirkuspferde die Federbüschel selbst zusammenbasteln. Wenn die Maßnahmen weiter verschärft werden, wetteifern wir demnächst bestimmt noch um die Gestaltung des originellsten Bußgeldbescheides. Wir sind halt kreativ, auch in der Krise, ja: gerade in der Krise! Wer sich die Mühe zum Selbermachen sparen will, braucht bei der Maske nicht auf die trübe Dutzendware zurückzugreifen wie der Verfasser dieser Zeilen. Auch die Profis sind schließlich kreativ geworden, denn, wie ein Online-Händler jubelt: „Atem- und Gesichtsmasken gehören im Frühjahr 2020 zu den gefragtesten Accessoires der Saison.“ 

Sollte es in diesem Land dereinst mal wieder zu Massenverhaftungen kommen, freuen wir uns schon auf die kecken neuen Handschellen-Designs, ob als „gefragteste Accessoires der Saison“ im Laden oder von ideenreichen Bürgern vor ihrer Verhaftung selbst entworfen. Fabelhaft: Kein Desaster ist mehr denkbar, aus dem wir nicht ein „Event“ machen.

Das allgemeine Virustheater birgt für die Politik zudem gute Chancen auf allerhand Beifang. Während alle nur noch auf die täglichen Infektionszahlen starren, kippt sie den Autofahrern unversehens einen neuen, knallhart verschärften Bußgeldkatalog vor die Haube. Dass die Zahl der Verkehrstoten seit Jahrzehnten sinkt und deshalb gar kein vernünftiger Grund zu sehen ist, die bisherigen (und, siehe Rückgang der Opferzahlen, sehr erfolgreichen) Maßnahmen zu verschärfen, spielt keine Rolle. Im Corona-Getöse war die Gelegenheit einfach zu günstig, und Gelegenheit macht bekanntlich ... 

Auch an dem Ziel, mehr darüber zu erfahren, was die Bürger so treiben und wo sie sich herumtreiben, soll die Krise nicht fruchtlos vorübergehen. Die „Corona-Apps“ werden gerade angepriesen wie Sauerbier. Und wer auf Datenschutz hält, dem schmecken sie auch so. Aber was schlucken wir nicht alles, wenn es darum geht, den „Krieg“ gegen das Virus zu gewinnen?

Allerdings zeigen sich bedenkliche Risse in der Front. Das Hin und Her ums Maskentragen hatte schon genug Verwirrung erzeugt. Jetzt kommt das Robert-Koch-Institut (RKI) mit weiteren merkwürdigen Neuigkeiten. Die Berliner Einrichtung ist schon bislang dadurch aufgefallen, dass sie in ihrer Beurteilung der Lage Haken schlagen kann, die jeden Hasen vor Neid erblassen lassen. Dennoch versuchen die Deutschen mit unerschütterlichem Gefolgschaftsdrang, jede Wendung mitzulaufen.

Nun ließ RKI-Chef Lothar Wieler Anfang der Woche die schlimme Nachricht ins Land, dass die „Reproduktionsrate“ von Covid-19 wieder auf eins gestiegen sei. Nanu? Vor dem „Lockdown“ am 23. März war sie bekanntlich bereits auf unter eins gefallen. Waren die ganzen Sperrmaßnahmen dann etwa umsonst? Oder sogar kontraproduktiv?

Eine heikle Frage, die man nur mithilfe kooperativer Medien beiseiteschieben kann, was bestimmt gelingen wird. Zur Erleichterung der Verantwortlichen bei Regierung und RKI spielt die Journaille nämlich größtenteils bei jedem ihrer Hakenschläge mit. Den „Spiegel“ beispielsweise nervt gewaltig, dass immer wieder Vergleiche gezogen werden zu großen Grippewellen der jüngsten Jahre, bei denen bis zu mehr als 25.000 Menschen ihr Leben ließen. Schließlich, so das Magazin, stammten die 25.000 aus einer „Zahl von vermutlich 15 bis 20 Millionen Infizierten, wohingegen die bislang 5000 Covid-19-Toten das traurige Resultat von 150.000 Infektionen innerhalb von zehn Wochen sind“. Das führe trotz Unsicherheiten „bei 15 Millionen Corona-Infizierten zwanglos zu einer Todeszahl von 500.000“, lautet die Rechnung des „Spiegel“.

Einen Mangel an „Zwanglosigkeit“ im Umgang mit Zahlen kann man dem „Spiegel“-Schreiber tatsächlich nicht vorwerfen. Da stellt er die nachgewiesenen Corona-Infektionen (ohne ein Wort zur Dunkelziffer) ganz locker einer Riesenzahl von Grippe-Infizierten gegenüber, die er lediglich „vermutet“. Das schafft natürlich Abstand, der in etwa so breit ausfällt wie jener zwischen Äpfeln und Birnen. 

Aber dafür sind regierungsfreundliche Medien schließlich da: Alles wieder passend zu machen, auch wenn dabei so Einiges auf der Stecke bleibt. Zudem sollen sie die Dinge so einordnen, dass der erwünschte Geruch an den Akteuren hängen bleibt: nämlich ein Übler an den Bösen und ein feiner an den Guten.

Beispielsweise stellt sich die Lage in Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien und den USA hinsichtlich des Gesundheitssystems in Corona-Zeiten zwar ganz ähnlich lausig dar. Die deutschen Mainstreammedien jedoch machen zwischen den Ländern einen feinen, aber offenbar sehr bewusst gezogenen Unterschied.

Was bei Briten und Amis schiefgeht, hat laut deutschen Staats- und Konzernmedien fast durchweg irgendwie mit miesem Regierungshandeln zu tun. Dort sind nämlich Leute an der Macht, die man gemeinhin rechts der Mitte einordnet, wo für einen aufrechten deutschen Journalisten die Vororte des Dritten Reichs beginnen. 

Die Linksregierungen von Rom und Madrid dagegen werden uns als unschuldige Opfer einer medizinischen Naturkatastrophe präsentiert, die ihr Bestes tun, auch wenn sie dabei nicht immer sehr weit kommen. Was man ihnen allerdings nicht vorwerfen darf, denn das wäre deutsche Arroganz. Gleiches gilt für Emmanuel Macron, den Allerweltsliebling in Frankreichs Elysée-Palast. 

So lernen wir, was selbst zur Corona-Zeit gilt: Die ideologische Botschaft ist stets wichtiger als jedes Faktum.