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08.05.20 / Kolumne / Per Dekret regiertes Volk

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19 vom 08. Mai 2020

Kolumne
Per Dekret regiertes Volk
Florian Stumfall

Über die gesundheitlichen Schäden der Epidemie wird man erst zu verlässlichen Aussagen kommen, wenn man nach einem halben oder ganzen Jahr den Vergleich der Mortalität im laufenden Jahr gegenüber dem langjährigen Durchschnitt eines entsprechenden Zeitraumes anstellen kann. Wahrscheinlich wird man binnen kürzerer Zeit feststellen können, welche Schäden die Maßnahmen gegen die Infektionskrankheit in der Wirtschaft angerichtet haben, denn die Zahlen der Arbeitslosen und der Insolvenzen tauchen in der Statistik schneller auf. Dann wird man erörtern können, welcher Ausschlag über die normale Mortalität hinaus die ruinierten Existenzen rechtfertigt.

Ein Schaden anderer Art indes ist heute schon abzusehen. Es ist derjenige am Rechtsstaat, und die einzige Frage, die hier noch offen ist, besteht darin, wie lange es währt, um ihn vergessen zu machen. Das kann dauern, denn im vorliegenden Fall handelt es sich um Geltung und Wirkkraft von Grundrechten, wie sie in den ersten Artikeln des Grundgesetztes festgehalten sind. 

Ob die „Maßnahmen“, wie sie freundlich genannt werden, geeignet sind, die Menschenwürde (Artikel 1 GG) zu beschädigen, mag dahingestellt sein. Die Freiheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 GG) sind empfindlich beschädigt. Unerträglich eingeschränkt ist die Freiheit der Religionsausübung (Artikel 4 GG), was gerichtlich bereits beanstandet wurde. Außer Kraft gesetzt ist die Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG), in Teilen auch die Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes (Artikel 11 GG). Stark eingeschränkt wurde das Recht auf Eigentum (Artikel 14 GG), wobei hier der unmittelbare Zusammenhang zu den wirtschaftlichen Schäden gegeben ist. 

Über allem aber, gewissermaßen als Querschnitts-Bedrohung, liegt die schmerzliche Unwirksamkeit der Garantie von Meinungs- und Informationsfreiheit (Artikel 5 GG), die darin begründet ist, dass zur Sache Corona wie auch zu anderen politischen Gegenständen – Klima, Russland, Entwicklungshilfe, grüne Energie – in den Systemmedien jeweils nur eine einzige Meinung vorgetragen und alles andere zumindest weggeschoben oder geleugnet, wenn nicht verfemt und mit Acht belegt wird. 

Diese systematischen und von offizieller Seite gewollten Verstöße gegen wesentliche Grundrechte, vor denen sogar die Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, gewarnt hat, geschehen unter dem Vorwand, es müsse so Schlimmeres verhütet werden. Nun gibt es tatsächlich Einschränkungen der Grundrechte, etwa die Möglichkeit der Haft im Strafrecht, doch diese Einschränkungen sind durch das Grundgesetz vorgesehen, darin gerechtfertigt und in einem Gesetz beschlossen. In der Corona-Sache aber werden Teile des Grund­gesetzes durch eine Verordnung aufgehoben und hierin liegt der Skandal. 

Rechtsnormen haben unterschiedliche Wertigkeiten. So orientiert sich das Grundgesetz in seiner ethischen Ausrichtung am Naturrecht, das nicht von Menschen beschlossen, sondern aus der abendländischen Rechtstradition und Philosophie erarbeitet wurde. Es unterliegt keiner Körperschaft und keinem Votum. So können auch die Grundrechte des Grundgesetzes nicht durch den Bundestag abgeschafft werden, egal mit welcher Mehrheit. 

Verordnungen statt Gesetze

Hier nun erkennt man die Ungeheuerlich­keit, dass die Politik mit Rechtsverordnungen an die verfassungs­gemäße Substanz der Republik geht; nicht einmal ein Gesetz – als nächster Rang in der Wertigkeit der Normen nach der Verfassung – wird bemüht, um die Liquidation von Grundrechten zu rechtfertigen, sondern man behilft sich mit einer Verordnung, die im Rang noch weiter unten steht, und die zu erlassen ein Federstrich der Exekutive reicht, kein Parlament muss so behelligt werden. 

Hier wird auch sichtbar, dass der Schaden am Rechtswesen nicht nur darin liegt, dass Grundrechte ausgehebelt werden, sondern auch, dass der Weg, auf dem dies geschieht, einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung darstellt. Die Rechtsnormen stürzen und müssen sich der politischen Praktikabilität unterordnen. 

Doch auch hier ist noch eine Steigerung der Sünde am Rechtsstaat möglich. Unterstellt, es gelte tatsächlich, einer Gefahr zu wehren, welche die Pest im Mittelalter noch übersteigt, könnte man die „Maßnahmen“ vielleicht noch mit einer Hilflosigkeit der Politiker wenn nicht entschuldigen, so doch erklären. Aber es ist ganz anders. In Deutschland während der Ära Merkel ist das Durchregieren per Dekret zur Normalität geworden, jedenfalls bei heiklen Vorhaben: Die Grenzöffnung im Jahre 2015, die Energiewende, die faktische Tilgung des besonderen Schutzes der Familie im Grundgesetz oder die virtuelle Generierung von Abermilliarden zu verschiedenen Euro-Stützungsmaßnahmen, die aus dem Virtuellen zu realen Schulden werden – all das macht die Kanzlerin mit einer Handbewegung, einer Bemerkung im Interview oder bestenfalls dadurch, dass sie das ihr ergebene Parlament informiert, wie das bei der Energiewende der Fall gewesen ist.

Informiert, aber nicht befragt. Und es befindet sich unter 700 Parlamentariern kein einziger, der aufstünde und sagte: „Frau Bundeskanzlerin, so geht das nicht!“ Dafür, möchte man meinen, werden die Damen und Herrn zu gut bezahlt.

So der Stand der Dinge mit Datum Anfang Mai. Doch es scheint, als wäre damit die Malaise noch nicht vollständig beschrieben. Denn von verschiedenen Seiten sind Mutmaßungen zu vernehmen, nach der Krise würde nichts mehr wie zuvor, allen voran kündigt Finanz­minister Olaf Scholz an, man werde sich an eine „neue Normalität“ gewöhnen müssen. Hier ist der Zeitpunkt gekommen, wiederum vorzugsweise für die Mandatsträger, nachzufragen, was denn damit gemeint sei. Wird man sich daran gewöhnen müssen, in Hinkunft ständig mit Mundschutz auszugehen und auf Handschlag und Umarmung zu verzichten? Oder was ist noch und anderes darunter zu verstehen? 

Sollte die „neue Normalität“ darin bestehen, dass nun das Merkel’sche Durchregieren per Dekret in diesem Staat zur politischen Wirklichkeit auf Dauer werde? Dass der Bundestag dem römischen Senat zur Kaiserzeit ähnlich werde, vorhanden, würdig und überflüssig?

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.