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08.05.20 / Spätfolgen / Pandemien haben die Wirtschaft oft für Jahrzehnte verändert / Forscher haben die Nachwirkungen von Seuchenwellen seit dem „Schwarzen Tod“ 1347 bis in die jüngste Zeit untersucht: Manches wiederholt sich offenbar, manches könnte diesmal ganz anders werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19 vom 08. Mai 2020

Spätfolgen
Pandemien haben die Wirtschaft oft für Jahrzehnte verändert
Forscher haben die Nachwirkungen von Seuchenwellen seit dem „Schwarzen Tod“ 1347 bis in die jüngste Zeit untersucht: Manches wiederholt sich offenbar, manches könnte diesmal ganz anders werden
Wolfgang Kaufmann

So mancher Wirtschaftsexperte versucht derzeit vorherzusagen, wie die wirtschaftlichen Spätfolgen der Corona-Krisenmaßnahmen aussehen könnten. Besonders fundierte Aussagen finden sich in der unlängst veröffentlichten Studie „Longer-Run Economic Consequences of Pandemics“ (Längerfristige wirtschaftliche Auswirkungen von Pandemien) aus der Feder von Oscar Jorda, Sanjay R. Singh und Alan M. Taylor, welche im Auftrag der Federal Reserve Bank of San Francisco entstand. Darin beschreiben die drei Wissenschaftler vom Department of Economics der Universität von Kalifornien in Davis unweit der kalifornischen Hauptstadt Sacramento die Konsequenzen von 15 Pandemien der Vergangenheit, in deren Verlauf mehr als 100.000 Menschen starben. 

Die Bandbreite reicht dabei von der mittelalterlichen Pestwelle zwischen 1347 und 1352 mit bis zu 75 Millionen Opfern, welche als „Schwarzer Tod“ in die Geschichte einging, über die möglicherweise noch verheerendere Spanische Grippe, die ab 1918 grassierte, bis zur Schweinegrippe-Pandemie von 2009/10.

Im Zuge ihrer Analyse einer Vielzahl von historischen Quellen aus sieben Jahrhunderten – betreffend etwa die Zinssätze, Arbeitslöhne und Unternehmensgewinne – gelangten Jorda, Singh und Taylor zu recht eindeutigen Ergebnissen: Danach waren die wirtschaftlichen Effekte der Pandemien während der Zeit von 1347 bis 1968/69 im Durchschnitt noch 40 Jahre später nachweisbar. Das gelte zwar gleichermaßen für Kriege, jedoch hätten die Waffengänge andere Folgen gezeitigt, da es bei bewaffneten Konflikten zur verbreiteten Zerstörung von Werten komme, woraus dann eine intensive Aufbautätigkeit resultiere. Der Impuls aus einem solchen Wiederaufbau entfalle nach Pandemien.

Schub für neue Technik

Gleichzeitig schmälere Arbeitskräftemangel die Gewinne all derer, die Lohnarbeiter beschäftigten, was freilich bloß für Pandemien mit hohen Sterberaten bei Erwerbstätigen gelte. Nur dann nämlich sorge die Verknappung von Arbeitskräften für einen spürbaren Lohnanstieg. Allerdings falle der in den ersten Jahren nach dem Ende der Pandemie noch relativ moderat aus und erreiche erst drei Jahrzehnte später seinen Höhepunkt. Anschließend fielen die Löhne wieder, weil eine neue Generation von Arbeitnehmern herangewachsen sei.

Darüber hinaus hätten die Pandemien des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auch einen Technisierungsschub ausgelöst. So steche ins Auge, dass die Einführung beziehungsweise Nutzung von Erntemaschinen und anderen Hilfsmitteln in der Landwirtschaft sowie der Nahrungsmittelbranche immer dann besonders zügig vorangeschritten sei, wenn zuvor eine mörderische Seuche gewütet habe.

Sehr intensiv befassten sich Jorda, Singh und Taylor auch mit der Entwicklung des Realzinses, also der Differenz zwischen dem jeweils marktüblichen Zinssatz und der Inflationsrate. Demnach gab es nach den Pandemien zunächst geringfügige Anstiege des Realzinses, bevor dieser in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten um durchschnittlich 1,5 Prozent sank und selbst 40 Jahre später noch 0,5 Prozent unter dem Ausgangswert lag. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Verhältnissen im Anschluss an Kriege: Da war der Realzins stets kontinuierlich gestiegen, bis er nach 20 Jahren um einen Prozentpunkt höher lag. 

Gleichzeitig fanden die drei kalifornischen Ökonomen auch Unterschiede zwischen einzelnen Staaten, wobei ihr Fokus vorrangig auf Europa liegt. So brach der Realzins im Nachgang zu den Pandemien vor allem in Frankreich, Spanien und Italien ein und verharrte dort auch dauerhaft auf deutlich niedrigerem Niveau. Dahingegen fiel er in Deutschland und Großbritannien nur um rund 0,4 Prozentpunkte und erholte sich bereits nach 30 Jahren vollständig. Somit gab es also offenbar schon früher ein gewisses Nord-Süd-Gefälle, was die Anfälligkeit der jeweiligen Volkswirtschaften für pandemiebedingte Turbulenzen betraf.

Schon früher Nord-Süd-Gefälle

Ebenso fanden Jorda, Singh und Taylor heraus, dass nach den Seuchenwellen die Sparquote stieg, derweil die Zinsen dann niedriger lagen. Ganz offensichtlich versuchten die Menschen, sich für weitere Krisen zu wappnen, indem sie Geld auf die hohe Kante legten, auch wenn das keine sonderlichen Gewinne versprach. Und zu guter Letzt folgten den Pandemien verschiedene wirtschaftspolitische Umwälzungen oder der Ruf nach solchen, wobei größere Gerechtigkeit per Lastenverteilung im Vordergrund stand. Das wiederum bahnte politischen Strömungen den Weg, welche sich genau dies auf ihre Fahne geschrieben hatten.

Allerdings bleibt fraglich, ob solche Szenarien auch für die Zeit nach der Corona-Krise gelten. Immerhin weist diese einige Besonderheiten auf: Zum Ersten sterben mit (weniger „an“) Covid-19 nahezu nur Menschen, welche ohnehin sehr nahe am Rande des Ablebens stehen und daher nicht mehr erwerbstätig sind, weshalb es zu keinem signifikanten Rückgang der Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte kommt. Zum Zweiten waren die Zinsen bereits vor den Corona-Maßnahmen extrem niedrig. Daher ist ein weiteres Absinken kaum mehr möglich. Und zum Dritten dürfte die Mentalität der Menschen heute eine andere sein, was das Sparen betrifft. Immerhin spannt der Staat nun allerlei soziale Netze auf, wovon diejenigen am meisten profitieren, die keine Rücklagen gebildet haben.

Andererseits wird auch die Corona-Pandemie technische Innovationen hervorbringen – vor allem natürlich solche, welche in Zeiten von Kontakt- und Ausgangssperren den Alltag und die Berufsausübung erleichtern. Ebenso könnte es wieder zu politischen Veränderungen kommen. Darauf deuten die jetzt laut werdenden Forderungen nach Sonderopfern der Vermögenden sowie die Zentralisierungs- und Reglementierungs-Tendenzen in vielen Staaten unter dem 

Deckmantel einer effektiveren Corona-Bekämpfung hin. Dabei dürften die pandemiebedingten Umwälzungen aber von Land zu Land unterschiedlich verlaufen – so wie das früher auch der Fall war.