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08.05.20 / Epidemie vor 100 Jahren / Einem Berliner kam es spanisch vor / Der Tod macht vor keinem Halt – Als die Spanische Grippe wütete, traf es auch prominente Personen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19 vom 08. Mai 2020

Epidemie vor 100 Jahren
Einem Berliner kam es spanisch vor
Der Tod macht vor keinem Halt – Als die Spanische Grippe wütete, traf es auch prominente Personen
Bettina Müller

„Das ist keine Grippe, kein Frost, keine Phtisis – das ist eine deutsche politische Krisis“, reimte Kurt Tucholsky in seinem 1918 in der „Weltbühne“ erschienenen Gedicht. Da war die Spanische Grippe bereits über Berlin hergefallen. Sie traf auf hilflose Politiker und eine grob fahrlässige Berichterstattung in der Presse. 

Ähnlich wie anfangs bei Covid-19 bescheinigte man ihr naiv „einen gutartigen Charakter“ mit „leichtem Verlauf“. Mahnungen wie zum Beispiel des Schriftstellers Siegmund Feilbogen, der vor einer „des Weltkrieges würdigen Art des Massentodes“ warnte, verhallten unbeachtet. Und so durchbrach die Spanische Grippe den Kordon der Ignoranz und nistete sich zunächst in den westlichen Vororten ein. 

In der Folge tobte sich die Grippe, deren Erreger, das Influenzavirus, erst 1933 entdeckt werden sollte, in Berlin mit insgesamt drei schweren Wellen aus. Das Jahr 1918 endete mit zirka 300.000 Toten in ganz Deutschland. In den USA hatte es Frederick Trump, den Großvater von Donald Trump, dahingerafft, in StockholmPrinz Erik Gustav von Schweden. In Österreich erlag der Maler Egon Schiele in Wien der Grippe. In Berlin sollte nun der Maler Hugo Krayn dasselbe Schicksal erleiden. Am 25. Januar 1919 hauchte er nach nur fünf Tagen Krankenlager im Alter von nur 33 Jahren sein Leben aus. 

Krayn stand damals vor dem großen Durchbruch. Er galt als „Darsteller der Arbeit und der kleinen Leute“ mit oftmals drastischen und düsteren Sujets. Mit Titeln wie „Krüppelstadt“ oder „Der Blinde“ war das Mitglied der „Berliner Secession“ eigentlich prädestiniert dafür, der Leinwand-Chronist der Spanischen Grippe zu werden. Er hätte Straßenbahnen gesehen, die zum Transport der Särge umfunktioniert worden waren. Er wäre an überfüllten Krankenhäusern vorbeigegangen. Er hätte die Leichen gesehen, die man gerade in Papiersäcken beerdigen wollte, weil die Sargtischler gestorben waren. 

Doch es sollte nicht sein. Die Spanische Grippe gab vor fast 100 Jahren schließlich ihren „Feldzug“ auf. Sie hinterließ eine Spur der Verwüstung mit bis zu 45 Millionen Toten. Die Überlebenden waren zwar nun immun, aber nicht gegen Krieg. 101 Jahr später kämpfen die Menschen erneut gegen einen unsichtbaren „Feind“. „Nous sommes en guerre“, „wir sind im Krieg“, rief Monsieur Macron seinen Untertanen zu. Doch der „Feind“, das Virus ist gar nicht sichtbar und somit schwer zu fassen, wie schon Tucholsky damals feststellte: 

„Wer hat es gesehn? Wer nennts? Wer erkennts? Schmerzen im Hals, Schmerzen im Ohr – die Sache kommt mir spanisch vor.“