16.04.2024

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15.05.20 / Leitartikel / Maß halten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20 vom 15. Mai 2020

Leitartikel
Maß halten
René Nehring

Ziemlich rau ist das geistige Klima in diesem Lande in den letzten Tagen geworden. Während sich die Regierung – allen voran die Kanzlerin – schwer damit tut, von den „Lockdown“-Maßnahmen wieder abzulassen, blühen vielerorts Verschwörungstheorien auf: Von der Unterstellung, „Corona“ sei eine Erfindung der Pharmaindustrie, bis hin zum Vorwurf der Errichtung einer Diktatur reichen die Thesen. 

Richtig ist: Das Verhalten der Verantwortlichen in Bund und Ländern war in den letzten Wochen alles andere als optimal und vertrauenerweckend. Zu zögerlich agierte anfangs vor allem die Kanzlerin; zur Einführung von Grenzkontrollen musste sie gar von den Ministerpräsidenten genötigt werden. Auch die Experten aus der Wissenschaft – allen voran die Vertreter des Robert-Koch-Instituts (RKI) – agierten zu erratisch: Die verkündeten Fallzahlen stifteten mehr Verwirrung als Aufklärung ebenso wie die unklaren Parameter, anhand derer die Gefahren der Pandemie bewertet werden sollten. 

Gravierende Eingriffe 

Und ohne Zweifel sind die Ende März beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus gravierend. Vor allem die Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit stellen – auch wenn sie zur Abwehr einer gesundheitlichen Gefahrenlage beschlossen wurden – einen schweren Eingriff in die Grundrechte der Bürger dar. 

Doch rechtfertigt all dies wirklich den Vorwurf, Deutschland befände sich auf dem Weg in eine Diktatur? Müssen wir nicht vielmehr konzedieren, dass wir uns in einer noch nie dagewesenen Situation befinden, in der es ergo auch keine Beispiele geben kann, anhand derer sich die Entscheider orientieren könnten? Immerhin ist „Corona“ kein alleiniges deutsches oder „westliches“ Problem, sondern eine globale Seuche, auf die (außer in Weißrussland) weltweit alle Regierungen – egal, ob links oder rechts, ob autoritär oder liberal – mit ähnlichen Maßnahmen reagiert haben. Selbst in Schweden, wo der eingeschlagene Weg zwar Freiwilligkeit vorsieht, aber im Ergebnis ähnlich ist. 

Deutschland liegt mit dem Ausmaß der Einschränkungen weltweit im Mittelfeld. Die hierzulande verkündeten Maßnahmen sind nicht so locker wie in Schweden, aber bei Weitem nicht so streng wie in Frankreich, Italien oder Spanien, wo es teilweise wochenlang echte Ausgangssperren gab. 

Hinzu kommt, dass – anders als von den Verschwörungstheoretikern behauptet – die Kritiker an den Regierungsmaßnahmen keineswegs unterdrückt werden. So konnten etwa der Virologe Hendrik Streeck, der in seiner vom Land NRW finanzierten Studie über die Corona-Verbreitung die Krankheit weitaus weniger gefährlich einschätzt als das RKI, und der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel, der nach Dutzenden Autopsien zu dem Ergebnis kam, dass kein einziger der mit dem Coronavirus Infizierten auch daran gestorben ist, ihre Ansichten wiederholt in Fernseh- und Zeitungsinterviews darlegen. Allein die Sendung „Markus Lanz“ vom 9. April bot beiden Wissenschaftlern ein Millionenpublikum. 

Richtig ist, dass insbesondere Angela Merkel vom bisherigen Verlauf der Krise profitiert hat. Ohne „Corona“ hätte die CDU am 25. April auf einem Sonderparteitag einen neuen Vorsitzenden gewählt – und vielleicht hätte die Bundeskanzlerin schon bald darauf mit dem Aufräumen ihrer Sachen im Kanzleramt anfangen können. So aber wurde sie zur medial gefeierten „Krisen-Managerin“ samt Umfragehoch; selbst von einer weiteren Amtszeit war schon die Rede. 

Die Lockerung des Lockdowns

Doch dies ist nun vorbei. Vor allem die Unions-Ministerpräsidenten Laschet, Haseloff und Söder erhöhten den Druck zur Lockerung des Lockdowns zuletzt dermaßen, dass die Kanzlerin bereits in der vergangenen Woche verkünden ließ, dass die Länder künftig allein für ihre öffentliche Gesundheit verantwortlich seien. 

Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus brachten zweifellos gravierende Eingriffe in die bürgerlichen Freiheitsrechte mit sich. Doch erleben wir eben gerade auch, dass diese Einschränkungen sukzessive wieder gelockert werden. Dies unterscheidet Deutschland von einer Diktatur.