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15.05.20 / Ostpreußischer Künstler / Darf es ein Klumpen mehr sein? / Ein Königsberger in der Schweiz – Vor 100 Jahren wurde der Bildhauer Hans Josephsohn geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20 vom 15. Mai 2020

Ostpreußischer Künstler
Darf es ein Klumpen mehr sein?
Ein Königsberger in der Schweiz – Vor 100 Jahren wurde der Bildhauer Hans Josephsohn geboren
Harald Tews

Im engen Gotthardpass bei Giornico im Schweizer Tessin fällt ein Betonmonster auf, das man dem Architekturstil des Brutalismus zurechnen könnte. Dieser zwischen dem Fluss Ticino und der alten Gotthardbahn eingezwängte, moderne und sogar mit einem Preis ausgezeichnete fensterlose Bunker mit seinen ungeputzten Außenwänden ist das Museum La Congiunta, das nur einem einzigen Künstler gewidmet ist: dem aus Königsberg stammenden Bildhauer Hans Josephsohn.

In Corona-freien Zeiten kann man sich in der Osteria-Bar in Giornico einen Schlüssel holen, um in das wenig einladende Gebäude zu gelangen. Eintrittsgeld wird nicht erhoben, Aufseher gibt es auch nicht, meist ist man allein mit den rund 30 Skulpturen, die – da es kein elektrisches Licht gibt – einzig durch Tageslicht beschienen werden, das durch das Milchglas von der Decke fällt. Die verwaschenen und wie verwittert aussehenden Bronze- und Messingplastiken brachten Josephsohn den Ruf eines Außenseiters ein. Anders als der Schweizer Kollege Giacometti, der spindeldürre Figuren schuf, packte Josephsohn lieber einen Lehmklumpen mehr auf seine Skulpturen.

Doch die Schweizer halten den ostpreußischen Künstler hoch in Ehren. Mit dem Kesselhaus Josephsohn in St. Gallen gibt es ein weiteres Kunstrefugium mit Wechselausstellungen des am 20. Mai 1920 in Königsberg geborenen und am 20. August 2012 in Zürich gestorbenen Künstlers. In die Schweiz kam er, weil er aufgrund seiner jüdischen Herkunft in Deutschland keine Kunstakademie besuchen konnte. Zuerst versuchte er es mit einem Stipendium in Florenz. Als dort alle ausländischen Juden das Land verlassen mussten, reiste er 1938 als Tourist in die Schweiz ein, kam dort erst in ein Internierungslager, ehe er in Zürich bei dem Bildhauer Otto Müller in die Lehre gehen durfte. Er blieb auch nach dem Krieg in der Schweiz, obwohl er das Land verlassen sollte, weil er mit seiner Kunst nicht genug zum eigenen Lebensunterhalt beitragen konnte. Er lebte von den Einkünften seiner Frau Miriam, einer Tochter des Philosophen Ernst Bloch. Erst 1964 wurde er Schweizer Staatsbürger.

Späten Ruhm mit seinen unförmigen Plastiken erlebte Josephsohn auch in der Bundesrepublik. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde eine seiner Halbfiguren in Berlin vor der Neuen Nationalgalerie aufgestellt. Da wegen der Sanierung des Mies-van-der-Rohe-Baus derzeit rundum alles eine Baustelle ist und man nicht zu der Skulptur gelangen kann, lohnt sich ein Ausflug ins Tessin – sofern Corona das zulässt. „Die Verwandte“, so La Congiunta auf Deutsch, lädt zur freiwilligen Isolation ein. So leer, wie es dort meistens ist, kann man sich höchstens von Josephsohns Kunst anstecken lassen.