19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.05.20 / WÄHRUNGS-, WIRTSCHAFTS- UND SOZIALUNION / Kapitalisierung der DDR / Vor 30 Jahren unterzeichneten die Finanzminister der beiden deutschen Staaten den entsprechenden Staatsvertrag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20 vom 15. Mai 2020

WÄHRUNGS-, WIRTSCHAFTS- UND SOZIALUNION
Kapitalisierung der DDR
Vor 30 Jahren unterzeichneten die Finanzminister der beiden deutschen Staaten den entsprechenden Staatsvertrag
Wolfgang Kaufmann

Bereits einen guten Monat vor den ersten freien Volkskammerwahlen vom 18. März, nämlich am 6. Februar 1990, bot Bundeskanzler Helmut Kohl der DDR-Regierung Verhandlungen über eine Währungsunion an. Das war die logische Konsequenz aus seinem Zehn-Punkte-Programm vom 28. November des Vorjahres, das einen Weg zur Wiedererlangung der staatlichen Einheit Deutschlands skizziert hatte. 

Die Gespräche begannen unmittelbar nach dem Wahlsieg der CDU-geführten Allianz für Deutschland. Dabei ging es nun aber nicht mehr nur um die anvisierte Währungsunion, sondern auch um eine parallele Wirtschafts- und Sozialunion. Verhandlungsführer auf Bonner Seite war das Bundesbankdirektoriumsmitglied Hans Tietmeyer, während die DDR-Delegation unter der Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs im Amt des Ministerpräsidenten Günther Krause stand.

Am 23. April 1990 machte das Bundeskabinett konkrete Vorschläge für einen Staatsvertrag, während die DDR-Seite aufgrund der sich überstürzenden Ereignisse im Lande diesbezüglich in Passivität verharrte. Die Grundzüge des Angebotes der Bundesrepublik an die DDR stellte Helmut Kohl am Folgetag dem neuen, christdemokratischen DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière bei dessen Antrittsbesuch in Bonn vor. Wichtigster Punkt war dabei die Umstellung von der Mark der DDR auf die D-Mark. De Maizière reagierte auf das Angebot mit Forderungen, die weit über die Zugeständnisse der Bundesregierung hinausgingen. Diese konterte der christsoziale Bundesfinanzminister Theodor Waigel mit der eindringlichen Mahnung, die Belastungsfähigkeit der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht zu überschätzen.

Waigel und Sarrazin warnten

Waigel stand mit seiner Warnung nicht allein. Viele Fachleute hielten die geplanten Modalitäten der Währungsunion für ökonomisch verhängnisvoll. So prognostizierte der damalige Referatsleiter im Bundesfinanzministerium Thilo Sarrazin recht zutreffend, dass die Währungsumstellung mehrere Millionen DDR-Bürger arbeitslos machen würde und auf die alte Bundesrepublik jährliche Hilfszahlungen für die neuen Länder in bis zu dreistelliger Milliardenhöhe zukämen. Andererseits standen Kohl und die übrigen Befürworter der deutschen Vereinigung in Bonn und Ost-Berlin unter massivem Zeitdruck. Für die Überwindung der Teilung war eine zügig herbeigeführte Währungsunion von essenzieller Bedeutung.

Das begriffen letztlich auch de Maizière und seine Unterhändler. Deshalb akzeptierten sie schließlich die Vorschläge der Gegenseite. Vor drei Jahrzehnten, am 18. Mai 1990, unterzeichneten Bundesfinanzminister Waigel und sein sozialdemokratischer DDR-Amtskollege Walter Romberg im Palais Schaumburg in Bonn den Staatsvertrag über die Bildung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

Die Übereinkunft sah vor, die Löhne und Gehälter in der DDR sowie die laufenden Zahlungen wie Renten und Mieten zum Kurs von eins zu eins umzustellen. Darüber hinaus konnten die über 60 Jahre alten DDR-Bürger Sparguthaben in Höhe von bis zu 6000 DDR-Mark eins zu eins in D-Mark tauschen. Für die übrigen Erwachsenen und für Kinder bis 14 Jahren lag die Grenze bei 4000 beziehungsweise 2000 Ost-Mark. Wer mehr Geld auf der hohen Kante hatte, musste sich mit einem Kurs von eins zu zwei begnügen. Das erschien vielen ungerecht. Allerdings lag der Schwarzmarktkurs zwischen D-Mark und Mark der DDR, der die realen Unterschiede in der Kaufkraft der beiden Währungen widerspiegelte, damals bei eins zu sieben bis eins zu acht.

Ebenso sollten alle Schulden und sämtliche sonstigen finanziellen Verpflichtungen in DDR-Mark halbiert werden. Schätzungen der Zentralen Ermittlungsgruppe für Regierungs- und Vereinigungskriminalität zufolge ergaunerten Betrüger bei der Währungsumstellung rund 20 Milliarden D-Mark.

Ziel der gleichfalls vereinbarten Wirtschaftsunion war die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die an die Stelle des planwirtschaftlichen Systems der DDR treten sollte. Hierzu übernahm die am 1. März 1990 gegründete Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums 7894 im Staatsbesitz befindliche Betriebe mit rund vier Millionen Beschäftigten, um diese zu privatisieren. Darüber hinaus kam es zur Abschaffung von bestehenden Monopolen, Preisbindungen und Subventionen sowie zur Übernahme des westdeutschen Wirtschaftsrechts.

Im Rahmen der Sozialunion wiederum wurde die Umstrukturierung der DDR-Sozialversicherung nach dem Vorbild der Bundesrepublik vermittels Aufspaltung in die Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung beschlossen. Das machte später umfangreiche Transferleistungen zur Anschubfinanzierung des Arbeitslosengeldes und der Rentenzahlungen nötig. Außerdem sollte das mitteldeutsche dem westdeutschen Arbeitsrecht in puncto Tarifautonomie, Streikrecht, Mitbestimmung und Kündigungsschutz angepasst werden und das Recht auf Sozialhilfe im Falle von Bedürftigkeit auf die DDR-Bürger übertragen werden.

Die Folgen wirken bis heute

Das war aber noch nicht alles. Im Prinzip vereinbarten Waigel und Romberg darüber hinaus auch eine Umweltunion. Es herrschte Einigkeit darüber, das DDR-Umweltrahmengesetz an den bundesdeutschen Standard anzugleichen, was den Natur-, Emissions- und Strahlenschutz sowie das Chemikalien- und Atomrecht betraf. Des Weiteren verständigte man sich auf die Übernahme der bundesdeutschen Steuer- und Zollbestimmungen. Daraus resultierte eine Zollunion zwischen der DDR und der Europäischen Gemeinschaft. Und zu guter Letzt sollten auch die Personenkontrollen an der deutsch-deutschen Grenze ein für allemal der Vergangenheit angehören und die komplette Freizügigkeit zwischen Bundesrepublik und DDR hergestellt werden.

Der vor 30 Jahren unterzeichnete Vertrag, dessen Bestimmungen allesamt zum 1. Juli 1990 in Kraft traten, bildete die Grundlage für den Abschluss des deutsch-deutschen Einigungsvertrages vom 31. August 1990 und den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990. Seine Auswirkungen sind bis heute spürbar – vor allem die auffällige Deindustrialisierung weiter Teile Mitteldeutschlands und der Modernisierungsstau im Westen aufgrund der hohen Transferzahlungen in der Vergangenheit.





Kurzporträts

Der 1928 in Schwerin geborene SPD-Politiker Walter Romberg war 1990 erst Minister ohne Geschäftsbereich unter Hans Modrow und dann Finanzminister unter Lothar de Maizière. Er starb 2014 in Teltow

Der 1939 in Oberrohr geborene Schwabe Theo Waigel war von 1988 bis 1999 CSU-Vorsitzender und von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister. Der promovierte Jurist gilt als „Namensgeber für den Euro“

Der 1945 in Gera geborene Volkswirt, Autor und Politiker Thilo Sarrazin leitete trotz seiner SPD-Mitgliedschaft 1989 und 1990 das Referat Innerdeutsche Beziehungen im Bundesfinanzministerium