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15.05.20 / Reitsport / Ein Pferd geht nicht in Kurzarbeit / Auch Reiterhöfe haben es in Lockdown-Zeiten schwer – Ein Pferdeliebhaber wagt mit einem Turnier ohne Zuschauer einen Neustart

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20 vom 15. Mai 2020

Reitsport
Ein Pferd geht nicht in Kurzarbeit
Auch Reiterhöfe haben es in Lockdown-Zeiten schwer – Ein Pferdeliebhaber wagt mit einem Turnier ohne Zuschauer einen Neustart
Stephanie Sieckmann

In Westergellersen bei Lüneburg ist am Wochenende vom 30. April bis zum 3. Mai ein Pilotprojekt durchgeführt worden: Eine erste Springpferdeprüfung in Zeiten von Corona. Geritten wurden vier- bis siebenjährige Pferde weit draußen ohne Zuschauer. Die Anzahl der Anwesenden auf dem Gelände wurde auf ein Minimum reduziert. Reiter und für je zwei Pferde ein Pfleger, dazu zwei Richter – mehr Personen waren nicht zugelassen. 

Der Reitsport ist vom Lockdown stark getroffen, vielleicht schwerer als andere Sportarten. Die Kosten für die Unterhaltung der Pferde laufen in vollem Umfang weiter. Personal, Futter, Tierarzt sind nur die Basiskosten. Pferde ohne die gewohnte Bewegung in der Box stehen zu lassen, kommt ebenso wenig in Frage wie die Pferde von heute auf morgen auf die Weide zu stellen. Beides würde Krankheiten auslösen. Das Pferd geht nicht in Kurzarbeit. Und damit kann das Personal leider auch nicht halblang machen. Bei den Berufsreitern und Ausbildern kommen noch Pacht für die Anlage dazu und Leasingraten für die Lkw, ohne die der Sport heute nicht mehr denkbar ist, und die locker zwei Millionen Euro kosten können.

Den Reitschulen fehlen die Einnahmen aus dem Unterricht. Betreiber von Pensionsställen müssen um ihre sicheren monatlichen Mieteinnahmen bangen, wenn Einsteller in Kurzarbeit sind. Den Berufsreitern fehlt das Geld aus Pferdeverkäufen, Unterricht, Beritt in anderen Ställen. Preisgelder sind dabei oft nur die Summe, die am Wochenende das Spritgeld für die Heimreise sichert. 

Bricht das regelmäßige Einkommen zwei bis drei Monate lang weg, kann ein Pferdebetrieb schnell in die Schieflage kommen. Und Einnahmen haben Reiter, Züchter und die meisten Pferdebetriebe vor allem durch den Pferdehandel. Doch der kann aufgrund von Kontaktsperre und Reisebeschränkungen nicht stattfinden. Aktuell kommt niemand auf den Hof, um ein Pferd auszuprobieren. Unterricht auf dessen Anlagen war bis Anfang Mai ebenfalls nicht möglich.

Ein Züchter formuliert es drastisch: „Es werden sich mehr Menschen aus finanzieller Not das Leben nehmen als durch Corona sterben.“ Der Satz ist nicht aus der Luft gegriffen. Schon vor der Corona-Krise gab es diese Fälle, in denen sich Züchter oder Stallbetreiber das Leben genommen haben. Das Haus anzünden, um gemeinsam mit den geliebten Pferden zu sterben – ja, das ist schon vorgekommen. Auch wenn viele Menschen immer noch glauben, wer ein Pferd hat, muss reich sein, gilt der Spruch: „Wenn du Pferde hast, kannst du ein kleines Vermögen machen – vorausgesetzt, du hattest vorher ein großes.“

Pferde kosten Geld. Der Reitsport hängt wie kaum ein anderer Sport von der allgemeinen Wirtschaftslage ab. Geht es Pferdeliebhabern finanziell gut, greifen sie ins Portemonnaie, kaufen Pferde, buchen teuren Unterricht und geben Geld für die Ausrüstung aus. 

Krisen haben eigene Gesetze. Viele Menschen werden zaghaft, fokussieren sich auf das, was möglicherweise verloren geht, oder verfallen in eine depressive Phase, gelähmt von den neuen Bedingungen. Andere zeigen in der Krise Kampfgeist und Führungsqualität, analysieren die Bedingungen und schauen intensiv nach Lösungen.

Blaupause für den Neuanfang

So ein Macher ist auch Karl-Heinz Klasen. Der Mann, der für das erste kleine Turnier in der Westergellersener Heide verantwortlich zeichnet. „Es reden alle, aber keiner macht was. Es musste einfach etwas passieren. Wie lange wollen wir denn noch warten?“ 

Nach und nach sind die bedeutenden internationalen Turniere des Reitsports abgesagt worden. Dazu gehört auch das CHIO Aachen, die weltgrößte Pferdesport-Veranstaltung. In diesem Jahr fällt mehr als die Hälfte der internationalen Turniere weltweit vollständig aus. Viele mussten kurzfristig abgesagt werden. Die Kosten für die Vorbereitungen sind verloren. Der Rest der Veranstaltungen läuft Gefahr, in den nächsten Wochen abgesagt zu werden. 

Die renommierten Serien wie Nationenpreis, Longines Global Champions Tour – alles muss in diesem Jahr ausfallen. Und es ist bei Weitem nicht sicher, ob im nächsten Jahr alle Serien wieder in den internationalen Turnierkalender zurückkehren. Denn viele Veranstalter werden dafür keine Sponsoren finden können, ohne die sich die Kosten nicht stemmen lassen. Schon vor Corona haben viele Veranstalter in den letzten drei Jahren aufgrund von Sponsorenmangel aufgegeben.

Paul Schockemöhle, der rund 4000 Pferde hält, weiß genau, wie viele Tiere er im Monat verkaufen muss, damit die Rechnung aufgeht. Aber auch er kann eine monatelange finanzielle Flaute nicht unbeschadet überstehen. Springreiter Christian Ahlmann hat es gerade besonders schwer getroffen. Mitten in der Corona-Krise ist am 4. Mai seine langjährige Unterstützerin Marion Jauß verstorben. Sie gehörte, gemeinsam mit ihrer Schwester Madeleine Winter-Schulze, zu den maßgeblichen Pferdebesitzerinnen und Mäzeninnen des deutschen Springsports. 

Eine Rückkehr in den Sport ist für alle Pferdesportler wichtig. Für die Reitschulen ebenso wie für die Profi-Reiter. Doch der Sport wird nach Corona und Lockdown nicht mehr der Gleiche sein. Zu viel hängt von den gutverdienenden Pferdekäufern ab, die durch die wirtschaftlichen Einbrüche Verluste hinnehmen müssen. Laufen ihre Firmen nicht gewinnbringend, wird der nächste Pferdekauf ausfallen. Ohne die etablierten Pferdeverkäufe wird sich der Reitsport zwangsläufig verändern müssen. 

Karl-Heinz Klasen sieht sein Turnier in Westergellersen daher als wichtigen Impulsgeber. „Ich biete gerne eine Blaupause, damit andere nachziehen können. Es ist wichtig, dass wir möglich machen, was möglich gemacht werden kann.“ Die Landeskommission hat bereits Interesse angemeldet, auch aus Belgien hat Klasen bereits Anfragen. Sein Konzept ist von den Behörden genehmigt und wird von den Reitern voll und ganz mitgetragen.

„Wir haben ein kleines Buch zusammengestellt“, sagt Klasen, „wir haben darin alle Plätze aufgezeichnet, die Anzahl von Pferden und Reitern auf den Flächen angegeben. Außerdem haben wir exakt ausgeführt, wie wir Reiter, Pfleger und Richter lückenlos führen. Von der Registrierung im Vorfeld über die Ermittlung der Daten am Einlass aufs Gelände. Schutzmasken werden am Eingang kostenlos verteilt. Hinweisschilder an allen Durchgängen, Plätzen, an allen Stellen, an denen es sich anbietet, weisen darauf hin, dass Abstand zu halten ist und Masken zu tragen sind. Jeden Tag ist die Behörde hier und kontrolliert.“

Alle halten sich an die Regeln, an die Maskenpflicht. Die Disziplin ist vorbildlich. Alle wollen diese Chance nutzen. Hauptsache es geht irgendwie weiter.