25.04.2024

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22.05.20 / Kolumne / Lob des „Flickenteppichs“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21 vom 22. Mai 2020

Kolumne
Lob des „Flickenteppichs“
Florian Stumfall

Unter den zahllosen bunten, oft widersprüchlichen, flachen und sorgenvollen, abgeschmackten und originellen sowie meist überflüssigen Stellungnahmen zum Thema der Gegenwart, dem Virus, gehört in jedem Fall eine immer wiederkehrende Bemerkung, klagend, spöttisch, vorwurfsvoll hervorgebracht, und diese Klage berührt den Umstand, dass die deutschen Länder ihren je eigenen Weg zur Bekämpfung der Seuche beschreiten. „Ein Flickenteppich!“, heißt es da, im Ton der Erbitterung oder, wahlweise, des Hohns, jedenfalls mit der unnachsichtigen Ablehnung einer derartigen Sachlage.

Schenkt man dieser Denkweise, dass nämlich einheitliche Regelungen den vielfältigen immer vorzuziehen seien, Glauben, dann eröffnet man sich weitläufige Felder für eine Flurbereinigung historischen Umfangs. Da wird in Deutschland schon lange beklagt, dass die Länder auf ihrer Kulturhoheit beharren, oder jedenfalls darauf, was davon noch übrig ist. Das ist immerhin so viel, dass man, was den Erfolg beim Lernen in den Schulen angeht, ganz erhebliche Unterschiede feststellen kann. Oder die innere Sicherheit. Woher nehmen einzelne Länder das Recht zu einer besseren Aufklärungsquote bei der Verbrechensbekämpfung? Oder eben jetzt die Gesundheitspolitik. Das Virus solle im Gleichschritt bekämpft werden, wer aus der Reihe tanzt, stört.

Föderalisten versus Zentralisten

Es bedeutet nicht, ein Geheimnis zu verraten, wenn man feststellt, dass sich hier, unter dem weißen Mantel des Äskulap verborgen, der alte Streit zwischen Föderalisten und Zentralisten verbirgt. Er hat es – wie alle ordnungspolitischen Gegensätze – an sich, dass auf ihn die Wirklichkeit keinen Einfluss hat. So haben 70 Jahre des real existierenden Sozialismus und seine historische Pleite nicht dazu geführt, dass man der Vorstellung einer Staatswirtschaft nach Befehl und Gehorsam endgültig Ade gesagte hätte. Nicht einmal der Umstand, dass auch die Nationalsozialisten eine Wirtschaftsform dieser Art praktiziert hatten, vermag einen misstrauischen Blick auf diese Ordnung zu lenken.

Was das mit dem Föderalismus zu tun hat? Allerhand, denn Staatswirtschaft ist immer zentralistisch und sie kennt keinen Wettbewerb. Dieser aber ist der Dreh- und Angelpunkt. Denn der Wettbewerb ist die Aufforderung, tüchtiger, schneller, zuverlässiger und besser zu sein als die Konkurrenz. Nutznießer des Wettbewerbs aber sind der Sieger und die 

Allgemeinheit. Die breitgestreute Leistungsfähigkeit Deutschlands, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell, hängt seit Jahrhunderten mit der föderalen Struktur und einer Vielzahl von Ländern und Regentschaften zusammen. Dagegen führt der Zentralismus stets zur Bildung einer glanzvollen Metropole bei gleichzeitiger Verödung der Provinz.

Als man sich 1979 zur ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament rüstete, war das Bekenntnis zur Subsidiarität in aller Munde, es wurde bemüht zum Wahlversprechen ebenso wie als Grundmuster einer politischen Ordnung für den Kontinent. Heute klingt das wie eine Sage aus der Urzeit. Niemand führt den Zentralismus konsequenter ad absurdum als die EU. Sie erklärt nicht, worin der Nutzen gleicher Duschköpfe von Portugal bis Estland liegt, sie behindert entgegen öffentlichem Bekunden durch Normen und Vorschriften den Warenverkehr und schafft einen Berg an Bürokratie, ja, sie kann nicht einmal den Sinn des Euro glaubhaft machen, einer Währung, die Billionen kostet, anstatt einen Wert darzustellen. 

Die Subsidiarität, dieses überaus kluge, funktionstüchtige und vielfach geschändete Prinzip der gestaffelten Zuständigkeit, ist die vertikale Ergänzung eines horizontalen Wettbewerbs. Dieser regelt das Miteinander von Gleichen, jene das Zueinander von Ungleichen, wobei sie bestimmt, dass keine größere Einheit Aufgaben übernehmen solle, die eine kleine auch nur ebenso gut bewältigen kann. Wieder bietet sich das Beispiel der Seuche an. Durch den Zusammenbruch des Wirtschaftslebens hat man beim Staat als dem Verursacher nicht nur hierzulande die Notwendigkeit erkannt, Hilfe zu leisten. In Deutschland haben sich sofort die Länder daran gemacht, die notwendigen Schritte zu tun. Hier aber müssen Plausibilität und vor allem Erfahrung herhalten, weil die Gegenprobe nicht möglich ist: Wie lange, so lautet die Frage, müsste ein Gewerbetreibender meinetwegen in Krauschwitz an der Lausitzer Neiße wohl warten, wenn er seine Entschädigung aus Brüssel und nicht aus Dresden zu bekommen hätte?

Ordnungspolitisch gesehen dient ein Ereignis wie die gegenwärtige Seuche als ein Brennglas, in dessen Hitzepol latente Schwierigkeiten, Fragen und Strategien zum Vorschein kommen. Dabei dient ein Schlagwort („Flickenteppich“) dazu, eine gegebene Notlage zur Änderung eines völlig anderen Problems zu missbrauchen. Die Notwendigkeit, sich bei der Bekämpfung der Krankheit umgreifend zu verständigen – horizontal, im Wettbewerb – wird als Vorwand genutzt, eine Befehls-Ordnung – vertikal, zentralistisch – einzuführen. Der Sache ist damit zwar nicht geholfen, doch dem davon unabhängigen Ziel, nämlich mehr Zentralismus zu bekommen, rückt man ein Stück näher.

Das Ende des Marktes

Heilsam ist es da, sich vor Augen zu führen, welche die Folgen sind, die sich in einer Schlussphase mit immer mehr Zentralismus einstellen. Wirtschaftlich bedeutet das in der Konsequenz das Ende des Marktes, der heute in Deutschland ohnehin schon zwischen Staatseingriffen und kapitalistischer Bedrängung ein bedrohtes Dasein führt. Die politische Analogie führt dementsprechend zum Einheitsstaat, in dem verschiedene Parteien ebenso überflüssig sind wie verschiedene Meinungen – eine Erscheinung, die heute schon immer deutlicher zutage tritt. 

Um eine solche Entwicklung zu beschleunigen, wird allenthalben der Fetisch der Gleichheit hochgehalten, das ewige Erbstück der Französischen Revolution. Zwar sind die Menschen, wie leicht zu erkennen ist, untereinander alle verschieden, physisch, intellektuell, ethisch, in ihren Talenten und Vorzügen, ihren Wünschen und Plänen, aber sie werden möglichst über einen Kamm geschoren. Worin die Menschen wirklich gleich sind, ist ihr Status vor dem Gesetz und darin, ansonsten Besonderheit gegenüber jedermann zu sein, solange niemand davon Schaden leidet.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.