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22.05.20 / Operation Dynamo / War ein Haltebefehl die Vorentscheidung des Zweiten Weltkrieges? / Vor 80 Jahren musste Heinz Guderian keine 20 Kilometer vor Dünkirchen den Vormarsch seiner Panzer stoppen und damit den Briten die Evakuierung ihres Expeditionskorps ermöglichen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21 vom 22. Mai 2020

Operation Dynamo
War ein Haltebefehl die Vorentscheidung des Zweiten Weltkrieges?
Vor 80 Jahren musste Heinz Guderian keine 20 Kilometer vor Dünkirchen den Vormarsch seiner Panzer stoppen und damit den Briten die Evakuierung ihres Expeditionskorps ermöglichen
Wolfgang Kaufmann

Am 10. Mai 1940 begann der deutsche Westfeldzug gegen Frankreich und die Beneluxländer. Im Norden griff die Heeresgruppe B unter Generaloberst Fedor von Bock und südlich davon die Heeresgruppe A unter Generaloberst Gerd von Rundstedt an. Bereits zehn Tage später erreichte die 2. Panzer-Division des XIX. Armeekorps die französische Kanalküste bei Abbeville. Damit war die alliierte Nordgruppe mit 29 französischen, 22 belgischen und zwölf britischen Divisionen von deutschen Kräften eingeschlossen. 

Angesichts dessen erhielt der britische Vizeadmiral Bertram Ramsay den Befehl aus London, eine großangelegte Evakuierungsaktion über See in Gang zu setzen. Im Rahmen dieser Operation Dynamo boten die Alliierten insgesamt 861 Schiffe aller Art und Größe auf, die am 27. Mai mit dem Abtransport des britischen Expeditionskorps (BEF) unter General John Vereker und der anderen eingekesselten Verbände aus dem Hafen von Dünkirchen begannen.

Hitler wollte ein Exempel statuieren

Bis zum 4. Juni 1940 setzte die Evakuierungsflotte 338.226 alliierte Soldaten aus dem Gebiet rund um Dünkirchen nach England über. Darunter waren rund 85 Prozent der Angehörigen des BEF und mehr als 100.000 Franzosen, aber keine Belgier, denn deren König Leopold III. hatte inzwischen kapituliert. Zudem mussten die Alliierten einige zehntausend französische Militärpersonen und fast die gesamte Ausrüstung der Briten am Strand von Dünkirchen zurücklassen. 700 Panzer, 2470 Geschütze, knapp 64.000 Kraftfahrzeuge, 20.000 Motorräder sowie 470.000 Tonnen sonstigen Materials gingen so verloren. Das resultierte aus der Einnahme von Dünkirchen durch das Infanterieregiment 54 der Wehrmacht unter Oberst Hermann Recknagel am Vormittag des 4. Juni. Darüber hinaus büßten die Briten und Franzosen 243 Schiffe, darunter auch neun Zerstörer, und 145 Flugzeuge ein. Letztere hatten sich den Maschinen der Luftwaffe entgegengestellt, welche die Evakuierungsflotte attackierten.

Dass die Operation Dynamo für die Alliierten zumindest insofern erfolgreich verlief, als nur relativ wenige der gut ausgebildeten Berufssoldaten des BEF, welche die Kerntruppe des britischen Heeres bildeten, in Gefangenschaft gerieten, war die Folge eines Befehls auf deutscher Seite, über dessen Hintergründe die Militärhistoriker bis heute spekulieren. 

Am Abend des 23. Mai 1940 erhielt das Panzerkorps von General Heinz Guderian, das nur noch 18 Kilometer vor der Verteidigungslinie der eingeschlossenen alliierten Truppen stand und schnell weiter vorrücken wollte, die Weisung anzuhalten. Diese kam vom Heeresgruppenchef von Rundstedt und wurde am Folgetag um 12.45 Uhr von Adolf Hitler persönlich betätigt, als dieser im Hauptquartier der Heeresgruppe A in Charleville eintraf: „Auf Befehl des Führers … ist nordwestlich Arras die allgemeine Linie Lens–Bethune–Aire–St. Omer–Gravelines … nicht zu überschreiten.“

Von Rundstedt hatte verhindern wollen, dass sich Guderians Panzerspitzen zu weit von den anderen deutschen Verbänden absetzten und so ihre Flanken entblößten. Immerhin bestand ja noch die Gefahr eines Doppelangriffs der Briten von Norden und Franzosen von Süden – dass die Alliierten nach der Niederlage in der Schlacht von Arras am 21. Mai 1940 zu einem solchen nicht mehr in der Lage waren, entzog sich der Kenntnis von Rundstedts. Des Weiteren wollte der Generaloberst die Panzer für die bevorstehende finale Offensive in der Schlacht um Frankreich schonen und der Truppe Gelegenheit zu Reparaturen und zur Erholung geben, zumal das Gelände rund um Dünkirchen als sumpfig und damit kaum geeignet für schwere Kampfwagen galt. Insofern kam ihm sehr gelegen, dass der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Generalfeldmarschall Hermann Göring, vollmundig zugesichert hatte, die feindlichen Verbände durch unablässige Fliegerangriffe zu vernichten – was allerdings wegen schlechten Wetters und der massiven Gegenwehr der Royal Air Force misslingen sollte.

Adolf Hitler hatte sein ureigenes Motiv für den Haltebefehl. Von Rundstedts entsprechende Weisung war auf massive Kritik des Oberkommandos des Heeres gestoßen, und das OKH hatte dem Generaloberst sogleich das Kommando über die Panzerdivisionen entzogen – und zwar ohne Wissen und Zustimmung Hitlers. Deshalb bestätigte dieser den Befehl von Rundstedts, um zu demonstrieren, bei wem die oberste Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Operationsführung liegt.

Dahingegen entbehren Behauptungen, Hitler hätte dem „germanischen Brudervolk“ der Briten „goldene Brücken“ auf dem Weg zu einer Verständigung mit Deutschland bauen wollen, indem er dessen Armee schonte, jeder Grundlage. Denn die Luftangriffe auf das eingekesselte BEF gingen ja weiter – gemäß der Führer-Weisung Nr. 13 vom 24. Mai 1940 über die künftigen „Operationen in Frankreich“, nach der Görings Bomber „das Entkommen englischer Kräfte über den Kanal … verhindern“ sollten. 

Die Briten gewannen 72 Stunden

Darüber hinaus nahm Hitler den Haltebefehl bereits zwei Tage und acht Stunden später, also am Abend des 26. Mai, zurück. Nun sollten die Panzer Guderians doch sofort auf Dünkirchen vorstoßen, um die unmittelbar bevorstehende Evakuierung des BEF zu unterbinden. Allerdings dauerte es dann noch 16 Stunden, bis die Marschbereitschaft der Kampfwagenverbände hergestellt war. Die Alliierten nutzten das entstandene Zeitfenster von insgesamt 72 Stunden zur Verstärkung des Verteidigungsringes um Dünkirchen und ermöglichten so zumindest den Abtransport ihrer wichtigsten Truppen bis zum 4. Juni. 

Hitlers Haltebefehl vom 24. Mai 1940 verhinderte die britische Totalniederlage in Dünkirchen. Wäre es zu dieser gekommen, hätte London wohl oder übel einem Diktatfrieden mit dem Deutschen Reich zustimmen müssen, dessen weltpolitische Konsequenzen auf der Hand liegen: Kein Zweifrontenkrieg für die Wehrmacht im Osten und Westen nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 und sicher auch kein militärisches Eingreifen der USA in Europa. Insofern waren die Schlacht um Dünkirchen und der britische Teilerfolg bei der Operation Dynamo von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Zweiten Weltkriegs.