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22.05.20 / Debatte / Guter Virologe, böser Virologe / Bei der Auseinandersetzung um Lockdown und Corona werden die Urteile der Experten ganz unterschiedlich gewichtet. Viel hängt ganz davon ab, welchen politischen Lagern sie nützlich sind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21 vom 22. Mai 2020

Debatte
Guter Virologe, böser Virologe
Bei der Auseinandersetzung um Lockdown und Corona werden die Urteile der Experten ganz unterschiedlich gewichtet. Viel hängt ganz davon ab, welchen politischen Lagern sie nützlich sind
Wolfgang Kaufmann

Der eine gilt als „Sonnyboy unter den Virologen“, welcher jede Menge Zuversicht verströme, der andere als „oberster Mahner“, in dessen Blick stets „etwas Düsteres“ liege. Dennoch mutierte der Letztere zum erklärten Liebling der Medien. So titelte der „Focus“ unlängst, er sei ein „Glücksfall“ für uns alle. Die „Zeit“ setzte über sein Konterfei die Frage: „Ist das unser neuer Kanzler?“ Und Julia Werner von der „Süddeutschen Zeitung“ schwärmte gar von den „sinnlichen Lippen“ des dunkelhaarigen „Sex-Symbols“. Die Rede ist von Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Universitätsklinik Charité. Die Rolle des blonden Optimisten, vor dessen Namen sich indes immer öfter das Wort „umstritten“ findet, spielt dahingegen der Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, Hendrik Streeck.

Die eindeutig positivere Darstellung Drostens resultiert offensichtlich daraus, dass der Bundesverdienstkreuz-Träger den politischen Entscheidern nach dem Munde redet, die von den Medien als die besten Corona-Krisenmanager hingestellt werden – allen voran Kanzlerin Angela Merkel und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Beispielsweise lobte Drosten die „Nachdenklichkeit“ und Führungsstärke der „extrem gut informierten“ Regierungschefin. Ebenso verteidigt er die ergriffenen Maßnahmen und spricht sich gegen starke Lockerungen sowie für die Einführung einer Telefon-App zur Kontaktverfolgung von Infizierten aus – ein Lieblingsprojekt von Merkels Gesundheitsminister Jens Spahn.

Drosten lag schon einmal falsch

Dabei ist Drosten nicht so kompetent, wie es der „Focus“ suggerierte, als er titelte, mit dem „Corona-Professor“ besitze „Deutschland den besten Mann für die Virus-Krise“. Denn der hat nach eigenen Worten ein recht gespaltenes Verhältnis zu Zahlen und lag schon einmal gewaltig daneben, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Juni 2009 eine Schweinegrippe-Pandemie verkündete. Damals rief Drosten höchst dramatisch dazu auf, sich impfen zu lassen, und prophezeite eine folgenschwere Krankheitswelle, zu der es jedoch nie kam. Größter Gewinner der durch solche Alarmrufe ausgelösten Panik war der Pharma-Riese GlaxoSmithKline, welcher Milliardensummen für Impfstoffe kassierte, die am Ende nicht benötigt wurden. Interessanterweise 

hatte Drosten fünf Jahre zuvor den 

GlaxoSmithKline-Förderpreis für Klinische Infektiologie erhalten.

Bemerkenswert sind auch Drostens ebenso häufige wie abrupte Kurswechsel in der Bewertung der Corona-Gefahr. So meinte er noch am 4. Februar, Normalbürger müssten sich keine großen Sorgen vor einer Ansteckung machen. Das brachte ihm zunächst den Spitznamen „Bundesberuhigungspille“ ein. Fünf Wochen später hielt er dann plötzlich eine Infektion von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung und mehrere hunderttausend Tote für möglich, woraufhin Drosten nun „Wendehals“ gescholten wurde. 

Da war inzwischen aber auch die Bundesregierung aus dem Tiefschlaf erwacht und lechzte danach, Kompetenz auf dem Gebiet des Corona-Managements zu demonstrieren und die politische Opposition blass aussehen zu lassen. Hierbei kam ihr der frischgebackene Alarmist Drosten, dessen Arbeit seit 2016 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit zwei Millionen Euro bezuschusst worden war, gerade recht. Der Virologe bot seither all jenen Politikern in Bund und Ländern Rückendeckung, die auf möglichst strenge Regeln setzten. Gleichzeitig begann nun auch Geld aus anderen Töpfen an Drostens Arbeitgeber zu fließen: Seit Anfang 2020 erhielt die  Charité von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung 249.550 US-Dollar. Für öffentliches Unbehagen sorgt dabei die Information, dass die Stiftung des Milliardärs-Ehepaares ihre Einnahmen unter anderem aus der Beteiligung an Pharmariesen und Impfstoffherstellern wie GlaxoSmithKline und Novartis generiert.  

Streeck passt in Laschets Linie

Von Fördermitteln zur Unterstützung der Corona-Forschung profitierte indes auch Drostens sehr viel optimistischerer Gegenspieler Streeck. Allerdings kamen die 65.000 Euro für dessen Projekt nicht aus den USA, sondern vom Land Nordrhein-Westfalen. Und das hat ebenfalls ein Geschmäckle, denn der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zählt zu jenen, welche sich nicht als harte „Corona-Sheriffs“ à la Söder profilieren wollen, sondern als gütig-verständnisvolle Landesväter, die den Bürgern bald wieder maximale Freiheit „gewähren“ möchten. Deshalb kommt ihm das Ergebnis der Forschungsarbeit von Streeck sehr zupass. Die jetzt der Öffentlichkeit vorgestellte Studie über das Infektionsgeschehen in der besonders stark betroffenen Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg besagt, dass es eine ganz erhebliche Dunkelziffer bei der Zahl der Covid-19-Erkrankungen gebe, weswegen die Sterblichkeitsrate auch lange nicht so hoch sein könne, wie bisher angenommen: Selbst in Gangelt liege sie bei gerade einmal 0,37 Prozent.

Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Befürworter von Lockerungen wie Laschet, weswegen sofort der Vorwurf der „Auftragswissenschaft“ laut wurde. Darüber hinaus ereiferten sich Beckmesser in Politik und Medien darüber, dass Streeck bei der Präsentation seiner Ergebnisse auf die Dienste der PR-Agentur Storymachine zurückgriff. Was man jedoch angesichts der medialen Omnipräsenz des Kassandra-Rufers Drosten, der sofort Kritik an der Heinsberg-Studie übte, durchaus nachvollziehen kann.

Andererseits ist es vielleicht doch richtig, dass Drosten eher hofiert wird als der Virologe, welcher bisher die meisten Corona-Infizierten in Deutschland untersucht hat. Möglicherweise weiß er ja mehr als Streeck und will uns mit seiner Düsternis schon einmal mental auf noch schlimmere Zeiten einstimmen. Schließlich erforscht der Berliner nicht nur das SARS-CoV-2-Virus, sondern auch das sehr viel gefährlichere MERS-CoV-Virus, das derzeit im Nahen Osten umgeht und ein Drittel aller Infizierten tötet. Nicht auszudenken, wenn es hier gleichfalls zu einer Pandemie käme.