19.04.2024

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22.05.20 / Vor 75 Jahren / Militärische Zuständigkeiten auf Usedom / 1945 – Wer sprengte die Eisenbahn-Hubbrücke bei Karnin?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21 vom 22. Mai 2020

Vor 75 Jahren
Militärische Zuständigkeiten auf Usedom
1945 – Wer sprengte die Eisenbahn-Hubbrücke bei Karnin?
Wolfgang Reith

Am 29. April 1945 wurde die Eisenbahn-Hubbrücke bei Karnin von Soldaten der Deutschen Wehrmacht gesprengt, um die Verkehrsanbindung der Insel Usedom zum Festland zu unterbrechen und somit den weiteren Vormarsch der Roten Armee gen Westen zumindest zu verzögern. In einigen Publikationen ist fälschlicherweise immer wieder davon die Rede, die Brücke sei „von der SS“ in die Luft gejagt worden. Abgesehen davon, dass die (allgemeine) SS keine militärischen Aufgaben hatte, hier also höchstens Angehörige der Waffen-SS (einer kämpfenden Truppe, die neben Heer, Luftwaffe und Marine als vierte Teilstreitkraft der Wehrmacht galt) gemeint sein könnten, waren solche Einheiten im April 1945 nachweislich nicht auf Usedom stationiert. Die Verteidigung der Insel lag vielmehr in den Händen folgender Personen bzw. Einheiten, Verbände und Großverbände:

Hauptverantwortlich war der Seekommandant Pommern (zuvor als Kommandant der Seeverteidigung bezeichnet), seit Januar 1945 Kapitän zu See Johannes Rieve. Er war es auch, der nach der Bombardierung von Swinemünde (12. März 1945) und dem gleichzeitigen Vorrücken der Roten Armee in Abstimmung mit dem Befehlshaber des Verteidigungsbereichs Swinemünde, Generalleutnant John Ansat (Heer), letztlich den Entschluss fasste, die Brücke bei Karnin sprengen zu lassen. Ansat, der seit 28. März 1945 das gemeinsame Kommando über alle Heeresverbände auf Usedom ausübte, unterstand der „Heeresgruppe Weichsel“ – Oberbefehlshaber war seit 21. März 1945 Generaloberst (Heer) Gotthard Heinrici, ab 29. April Generaloberst (Luftwaffe) Kurt Student – und diese wiederum war der 3. Panzerarmee unterstellt, deren Oberbefehlshaber seit 9. März 1945 der General der Panzertruppe Hasso von Manteuffel (Heer) war. Daneben fungierte seit Anfang April 1945 noch der Kampfkommandant von Swinemünde und Usedom, Generalmajor Hanns-Horst von Necker (Heer).

Generalleutnant Ansat unterstanden im „Verteidigungsabschnitt Usedom“ – außerdem gab es das „Abschnittskommando Wollin“ – die 3. Marine-Infanterie-Division, die Division Nr. 402 und seit März 1945 zusätzlich die Ausbildungsdivision 402 unter dem Kommando des Generalmajors Ernst von Bauer (Heer). Die 3. Marine-Infanterie-Division war am 1. April 1945 gebildet worden und setzte sich aus Resten der zuvor zerschlagenen 163. Infanterie-Division (Heer) sowie den Marine-Schützen-Bataillonen 126-131 zusammen. Kommandeur war vom 1. bis zum 3. April 1945 Oberst Henning von Witzleben (Heer), anschließend bis zur Kapitulation Oberst Fritz Fullriede (Heer). Der Gefechtsstand der Division befand sich in Misdroy, wo auch der Gefechtsstand der Heeresgruppe Weichsel lag, während Generalleutnant Ansat und Generalmajor von Necker mit ihren Stäben von Swinemünde aus operierten. Kommandeur der Division Nr. 402 mit Gefechtsstand in Mellenthin war Generalmajor Heinrich Wittkopf (Heer), und der Seekommandant, Kapitän zur See Rieve, schließlich war mit seinem Gefechtsstand in Ahlbeck untergebracht.

Wie sich aus dieser Zusammenfassung ergibt, waren folglich keine Einheiten der Waffen-SS zur Verteidigung auf Usedom eingesetzt, und auch die kommandierenden Offiziere gehörten ausnahmslos dem Heer oder der Marine an, in einem Fall der Luftwaffe, doch kein einziger der Waffen-SS. Welche Einheit aber sprengte nun die Brücke bei Karnin? Augenzeugen berichten, die Sprengung erfolgte am 29. April 1945 gegen 13.00 Uhr mittags, doch gibt es keinen Hinweis darauf, welche Uniformen die Soldaten trugen, und ebenso wenig ist in der militärischen Fachliteratur die Rede davon, welche Einheit letztlich den Befehl zur Sprengung ausführte. Tatsächlich lagen solche Aktionen in der Regel in den Händen von Pionieren, die dafür ausgebildet waren. Auch die meisten anderen Brückensprengungen beim Rückzug der Wehrmacht – im Westen am Rhein, im Osten an der Oder – erfolgten durch Angehörige von Pionier-Einheiten. Im Fall der Eisenbahn-Hubbrücke von Karnin kommen deshalb eigentlich nur zwei Möglichkeiten in Betracht: Die 3. Marine-Infanterie- Division verfügte über das Marine-Pionier-Bataillon 3, und auch in den Reihen der Division Nr. 402 gab es ein kleines Pionier-Bataillon. Aus einem dieser beiden Bataillone müssten also jene Soldaten gewesen sein, die an der Sprengung der Brücke beteiligt waren. Der Verfasser dieser Zeilen tendiert persönlich eher zu der Ansicht, dass es sich wohl um Angehörige des Marine-Pionier-Bataillons 3 gehandelt haben dürfte, die eine längere Kriegserfahrung mitbrachten, wohingegen man die Division Nr. 402 erst kurz vor der Verteidigung von Usedom neu aufgestellt hatte, die dann nach einer kurzen und völlig unzureichenden Ausbildung sofort in die Kämpfe gegen die hochgerüsteten sowjetischen Streitkräfte geworfen wurde. Außerdem ging der Befehl zur Sprengung der Brücke vom Seekommandanten (Kapitän zur See Rieve) aus, der sich zwar zuvor mit Generalleutnant Ansat als dem Befehlshaber aller Heereseinheiten auf Usedom abgestimmt hatte, der aber letztlich die höchste militärische Autorität in der Verteidigungskette darstellte und deshalb vermutlich eher „seinen“ Marinesoldaten solche Aktionen anvertraute, abgesehen davon, dass die Marine ohnehin im Rahmen der Seeverteidigung – und um eine solche handelte es sich im Falle Usedoms – die dominierende Rolle spielte. Gleichwohl müsste es eigentlich noch lebende Zeitzeugen der damaligen Ereignisse geben – selbst wenn sie erst im Kindesalter waren – die sich vielleicht an die Uniformen der Soldaten (Feldgrau oder Marineblau) erinnern, welche die Sprengung ausführten. Vermutlich hat man aber bei bisherigen Befragungen die Zeitzeugen nie auf solche Einzelheiten angesprochen, und so hält sich vor Ort zum Teil immer noch die aus DDR-Zeiten stammende These, die SS habe die Brücke gesprengt.

Info  Der NDR brachte am 29. April 2020 anläßlich des 75. Jahrestages der Sprengung einen Beitrag auf Radio M-V. 

Usedom-Berlin in zwei Stunden.Damals war die 1875 gebaute und seit 1933 zweigleisige Brücke Teil der einzigen Eisenbahnverbindung nach Usedom. Von Berlin aus war Usedom dadurch in rund zwei Stunden erreichbar. Seit der Zerstörung fahren zwischen Ducherow auf dem Festland und der heutigen polnischen Stadt Swinemünde keine Züge mehr. Usedom wurde erst nach der politischen Wende 1990 wieder an das Schienennetz angeschlossen – über Wolgast. Die Wiederbelebung der Bahntrasse zwischen Ducherow und Swinemünde wird seit Jahren diskutiert. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben Vereine und die Tourismuswirtschaft auf Usedom immer wieder den Aufbau der alten Strecke über Swinemünde gefordert. Das Land hat deshalb Ende vergangenen Jahres knapp drei Millionen Euro für Vorplanungen in den Haushalt eingestellt, um unter anderem die Wirtschaftlichkeit der Bahnstrecke zu untersuchen. Derzeit stimmen sich das Verkehrsministerium und die Deutsche Bahn über die Inhalte der zu beauftragenden Vorplanung ab, sagte Infrastrukturminister Christian Pegel (SPD)

Die Pommersche Zeitung berichtete in der Ausgabe 15 vom 12. April 2019