19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.05.20 / Trümmerfrauen / Schuften auf gigantischen Schuttbergen für ein paar Gramm Fett / Vor 75 Jahren verpflichtete der Kontrollrat der Alliierten Berliner Frauen im Alter von 15 bis 50 Jahren zur Beseitigung der Trümmer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22 vom 29. Mai 2020

Trümmerfrauen
Schuften auf gigantischen Schuttbergen für ein paar Gramm Fett
Vor 75 Jahren verpflichtete der Kontrollrat der Alliierten Berliner Frauen im Alter von 15 bis 50 Jahren zur Beseitigung der Trümmer
Klaus J. Groth

In absoluten Zahlen war die größte Stadt des Reiches auch diejenige, die im Zweiten Weltkrieg die meisten Bombenschäden hatte. Nach über 350 Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg lag die Hälfte der Häuser, eine halbe Million, in Schutt und Asche. Auf der Liste der Zerstörung folgten auf Platz zwei und drei Hamburg mit etwa 300.000 und Köln mit 176.000 Häusern. Viele Frauen waren in Not und Chaos nach 1945 auf sich allein gestellt. Ihre Männer waren im Krieg gefallen, in Gefangenschaft oder schwer verwundet und traumatisiert von der Front zurückgekehrt. 

60.000 Trümmerfrauen in Berlin

 Die Alliierten verpflichteten vor allem Frauen zur Trümmerarbeit, die eingetragene Mitglieder der NSDAP waren. Ihre Zahl reichte bei weitem nicht. Am 10. Juli 1946 folgte eine weitere „Anordnung über den Einsatz von Frauen auf Bauten“. Ihre offizielle Bezeichnung: „Hilfsarbeiterinnen im Baugewerbe“. Um die Schwerstarbeit attraktiv zu machen, gab es zusätzliche Lebensmittelkarten. Die größeren Rationen an Brot, Fett, Fleisch und Zucker linderten den Hunger in den Familien.

In den ersten Nachkriegsjahren arbeiteten schätzungsweise 60.000 Frauen mit Hacke, Schaufel und bloßen Händen auf der gigantischen Berliner Schutthalde. Die Amerikaner gaben ihnen den Namen „rubble women“, Trümmerfrauen. Fotos in den Zeitungen zeigten junge Mädchen in geblümten Kleidern und Großmütter in Kittelschürzen, wie sie Steine von Hand zu Hand reichen, Karren beladen und zu Sammelstellen transportieren. Sie lachen in die Kamera, als ob es ein Vergnügen sei. Das Bild der tapferen kleinen Frau, die überall in den zerstörten Städten fröhlich und tatkräftig ans Werk ging, wurde zum Mythos. Das Steine klopfen, Heben der schweren Brocken, das Schleppen von Stahlträgern war äußerst anstrengend und gefährlich. Im November 1945 stürzte eine Giebelwand ein. Sie begrub neun Arbeiterinnen unter sich. Nach einer Statistik verunglückten im Jahr darauf 957 Arbeiterinnen. 32 starben an ihren Verletzungen. 

Die Arbeit auf den Ruinen begann kurz nach Sonnenaufgang. Die Westalliierten hatten in ihren drei Zonen eine ganzjährige Sommerzeit eingeführt. Dazu kam eine Hochsommerzeit, nochmals eine Stunde voraus, vom 11. Mai bis zum 29. Juni. Ein Reporter des Westdeutschen Rundfunks interviewte Berliner Trümmerfrauen. Eine von ihnen erzählte: „Wir arbeiten acht Stunden, haben in der Zwischenzeit eine Viertelstunde Frühstück und eine halbe Stunde Mittag. Sonst ist die Arbeit sehr, sehr schwer, wir haben sehr tief zu schippen, wir sind in der Kellerschachtung, wir haben 2,20 Meter, und wenn wir diese Arbeit vollendet haben, dann sind wir sozusagen auch fertig.“ Die bayrische SPD-Politikerin Lisa Albrecht sagte nach einem Besuch in Berlin: „Schrecklich war mir der Anblick der sogenannten Schuttfrauen, die Berlin aufräumen.“

Mit bloßen Händen war es unmöglich, eine ganze Stadt von den Spuren des Kriegs zu befreien. Der Kontrollrat erlaubte, Baufirmen mit der „Enttrümmerung“ zu beauftragen. Da nach wie vor die Männer fehlten, konnten sie Frauen beschäftigen. Eine berichtete: „Also Trümmerfrau wurde ich dadurch, mir wurde, wollen wir mal ganz ehrlich sein, mein Lebensunterhalt ein bisschen knapp, und da habe ich mich kurz entschlossen, zur Baufirma Hahn und Co. zu gehen, mich anzumelden, habe dann am Montag Schippe und Hacke in die Hand gedrückt bekommen, rauf auf den Bau, rein in die Trümmer.“ Als sich nach Einführung der D-Mark und Gründung der Bundesrepublik das Leben zu normalisieren begann, durften diese Frauen nach Hause gehen, ohne Anspruch auf Rente für ihre jahrelange harte Arbeit. 

Die Trümmerfrauen fanden im Parlament der jungen Republik eine engagierte Fürsprecherin. Louise Schröder, SPD-Politikerin und zeitweise Bürgermeisterin von Berlin, redete den Männern im Bonner Bundestag ins Gewissen: „Und als Frau muss ich sagen, hier haben wir geradezu eine Ehrenpflicht, eine Ehrenpflicht gegenüber den Frauen, die noch im weißen Haar auf der Straße gestanden haben zum Zweck der Enttrümmerung, und die nun plötzlich arbeitslos werden, weil wir sie nicht mehr bezahlen können.“ 26 Trümmerfrauen bekamen für ihre Leistung das Bundesverdienstkreuz am Bande. Einige Städte stellten Denkmäler auf. 

Es gab Versuche, die Trümmerfrau vom Sockel zu stoßen. Medien berichteten über die Forschungen einer Historikerin zum Mythos Trümmerfrau. Nach deren Angaben war der weitaus größte Teil von ihnen Nationalsozialisten, die zur Strafe den Schutt ihrer Ideologie hätten wegschaffen müssen. Freiwillige hätten sich kaum daran beteiligt. In München luden zwei Mitglieder der Grünen die Presse zu einem Event auf dem Marstallplatz. Der schlichte Stein, der dort seit 2007 steht, trägt die Aufschrift „Den Trümmerfrauen und der Aufbaugeneration Dank und Anerkennung“. Die Aktivisten stülpten einen braunen Sack darüber. Ihre Parole lautete: „Den Richtigen ein Denkmal. Nicht den Alt-Nazis.“

Ob es sich um die Richtigen handelte, die für ihren Einsatz als (zwangsrekrutierte) Helferinnen in der DDR hoch geehrt wurden, interessierte dort niemanden. Trümmerfrauen, unabhängig von ihrer politischen Vergangenheit, genossen den Status von Heldinnen. Jede Hand wurde für den Aufbau des sozialistischen Staats gebraucht, mochte sie auch braun befleckt sein. Als „Aktivistinnen der ersten Stunde“ kamen sie bei der Wohnungsvergabe als Erste an die Reihe. 

„Aktivistinnen der ersten Stunde“

Die Frauengeneration der Nachkriegsjahre forderte eine neue Rolle in der Gesellschaft. Die Emanzipation war nicht mehr aufzuhalten, wenn sie auch nur stockend vorankam. Im Juli 1958 trat in der Bundesrepublik ein neues Gesetz zur Gleichberechtigung in Kraft. Die Zugewinngemeinschaft wurde gesetzlicher Güterstand. Frauen erhielten das Recht, ihren Geburtsnamen bei der Heirat dem Namen ihres Mannes hinzuzufügen. Ab 1962 konnten Frauen ohne Zustimmung ein eigenes Bankkonto eröffnen. Erst nach 1969 waren verheiratete Frauen voll geschäftsfähig.