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05.06.20 / vor 100 Jahren starb Max Weber / „Politik wird mit dem Kopf gemacht“ / Der Soziologe setzte bis heute geltende Maßstäbe. Mit seinem Namen ist der „Idealtypus“ ebenso verbunden wie die These des Zusammenhangs von Protestantismus und kapitalistischer Entwicklung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23 vom 05. Juni 2020

vor 100 Jahren starb Max Weber
„Politik wird mit dem Kopf gemacht“
Der Soziologe setzte bis heute geltende Maßstäbe. Mit seinem Namen ist der „Idealtypus“ ebenso verbunden wie die These des Zusammenhangs von Protestantismus und kapitalistischer Entwicklung
Erik Lommatzsch

Als Max Weber am 14. Juni 1920 im Beisein seiner Geliebten Else Jaffé sowie seiner Ehefrau Marianne im Alter von 56 Jahren an einer zu spät erkannten Lungenentzündung starb, hinterließ er ein umfangreiches, vielfach unvollendet oder fragmentarisch gebliebenes Werk, das sich mit Wirtschaft, Gesellschaft, Religion und Herrschaft befasst. Er gilt bis heute als einer der einflussreichsten Soziologen. Über die Grenzen des Faches hinaus werden seine Thesen auch von anderen Disziplinen aufgegriffen. In dem damals erst im Entstehen begriffenen Fach hat er vielfach Pionierarbeit geleistet. 

Die Herausgabe hinterlassener Schriften besorgte zunächst seine Witwe. Die kinderlos gebliebene Ehe zwischen dem Soziologen und Nationalökonom sowie der Frauenrechtlerin und Publizistin lässt sich wohl am ehesten als enge Freundschaft und Arbeitsbeziehung charakterisieren. 1926 veröffentlichte Marianne Weber eine umfangreiche biografische Arbeit über ihren Mann. Die maßgebliche wissenschaftliche Edition, die „Max Weber-Gesamtausgabe“, die nahezu 50 Bände umfassen wird, soll in diesem Jahr, zum 100. Todestag des Gelehrten, abgeschlossen werden.

Geboren wurde Weber am 21. April 1864 in Erfurt. Großbürgerlichen Handelsfamilien entstammten beide Elternteile. Die Mutter war hugenottischer Herkunft, der Vater wirkte später als Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und des Deutschen Reichstags für die Nationalliberalen. Max Weber studierte Jura. In Berlin wurde er 1889 über Handelsgesellschaften im Mittelalter promoviert, 1892 habilitierte er sich für Römisches Staats- und Privatrecht sowie Handelsrecht. 1894 wurde er in Freiburg Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, 1897 wechselte er nach Heidelberg. Nachdem seine Lehrtätigkeit krankheitsbedingt bereits reduziert worden war, gab er diese 1903 vollständig auf. 

Erst mit dem Ende des Ersten Weltkrieges unterrichtete er wieder, aus finanziellen Gründen. Das tat er zunächst in Wien. 1919 erfolgte der Ruf als Nachfolger von Lujo Brentano nach München. Weber übernahm den Lehrstuhl für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie. In der bayerischen Hauptstadt ist er auch gestorben.

Gegen billige Arbeiter aus dem Osten

1892 hatte er die Studie „Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland“ veröffentlicht. Die Arbeit gilt als Abkehr Webers von der Rechtswissenschaft und als Hinwendung zur Nationalökonomie. Ausgewertet wurden Ergebnisse der Landarbeiter-Enquête des „Vereins für Socialpolitik“, dem Weber angehörte. Er stellte fest, dass der Agrarkapitalismus die patriarchalischen Strukturen verdrängte. Folge sei die Abwanderung der Landarbeiter in die Industriebezirke in Richtung Westen oder sogar die Auswanderung. Im Interesse der Gutsherren liege es nun, billige Arbeiter anzuwerben, dies waren oftmals polnische Kräfte. 

Weber plädierte in den 1890er Jahren für staatliche Gegenmaßnahmen, die zur Ansiedlung von deutschen Bauern und Landarbeitern führen sollten. Seine Apelle im Sinne des starken deutschen Nationalstaates waren allerdings auch mit der Forderung nach inneren Reformen des Kaiserreichs verbunden. Die traditionellen Eliten seien durch das Bürgertum abzulösen, die Arbeiterschaft als Partner zu betrachten und die Parlamentarisierung voranzutreiben. 

Der Kapitalismus sollte zentrales Thema seiner Studien werden. 1904 hatte Weber gemeinsam mit Werner Sombart und Edgar Jaffé – dem Ehemann der Geliebten, die später an seinem Sterbebett zugegen sein sollte – die Redaktion des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ übernommen. Dieser Zeitpunkt gilt als Beginn von Webers Beschäftigung mit den Grundlagen seines Faches und seiner disziplinübergreifenden Untersuchungen.

Methodisch wird mit Weber der „Idealtypus“ verbunden. Um zu Erkenntnissen zu gelangen, werden dabei bestimmte Merkmale eines Phänomens mittels eines theoretischen Modells „idealtypisch“ übersteigert. Herrschaft unterteilte er in drei Formen: „traditionale“, „charismatische“ und „legale“. Im Zuge seiner Begriffsdefinitionen wies Weber auf den Unterschied von Macht und Herrschaft hin: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.“

Weber, der selbst zu politischen Fragen Stellung bezog und damit persönliche Urteile äußerte, betonte die Notwendigkeit der Werturteilsfreiheit einer nach Erkenntnis strebenden Wissenschaft. Für ihn galt: „Der Politiker muß Kompromisse machen – der Gelehrte darf sie nicht decken.“

Abseits der abstrakten methodischen Überlegungen und Postulate wird vor allem der von Weber hergestellte Zusammenhang von Protestantismus und kapitalistischer Entwicklung als Meilenstein angesehen. Herausgearbeitet hat er die Gründe für den „okzidentalen Rationalismus“, das heißt die Entwicklung des Westens mit seinen Differenzierungen und dem Aufbau bürokratischer Strukturen im Unterschied zu anderen Teilen der Welt.

Weber blieb stets am nationalen Machtstaat orientiert, das „persönliche Regiment“ Kaiser Wilhelms II. lehnte er ab. Das Parlament betrachtete er als Ort der Auslese von geeigneten Führungspersönlichkeiten. Der Begriff des „Charismas“ spielte bei ihm zunehmend eine größere Rolle. 

Für Bürger statt traditioneller Eliten

Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte er an den Beratungen über die künftige Verfassung unter Hugo Preuß mit und engagierte sich für die Deutsche Demokratische Partei (DDP). Ein aus dieser Zeit stammender Versuch, in die praktische Politik zu wechseln, scheiterte. Doch hielt er im Winter 1919 in München einen bemerkenswerten Vortrag zum Thema „Politik als Beruf“. So wie viele seiner Überlegungen für die Sozialwissenschaften weiterhin aktuell und richtungweisend sind, findet sich in diesem Vortrag manches, das den Vertretern der Legislative und Exekutive von heute zu denken geben könnte. Weber macht darauf aufmerksam, dass es zwei Arten von Berufspolitikern gebe. Die einen lebten „für“ die Politik, die anderen „von“ der Politik. Und er unterscheidet zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik: „Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele.“