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05.06.20 / Östlich von Oder und NeißE / „Schüttet uns lebendig zu“ / In Corona-Zeiten sind die oberschlesischen Bergleute zu einem Objekt des Hasses geworden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23 vom 05. Juni 2020

Östlich von Oder und NeißE
„Schüttet uns lebendig zu“
In Corona-Zeiten sind die oberschlesischen Bergleute zu einem Objekt des Hasses geworden
Chris W. Wagner

Während die Corona-Pandemie polenweit auf dem Rückzug ist, steigen die Infektionszahlen in Oberschlesien rasant an. Das größte Ansteckungsrisiko gehen Bergleute ein. „Die Arbeit in Kohlegruben erfordert menschliche Nähe. Es ist eine Teamarbeit und man ist eben anfällig gegenüber Viren“, sagte Jerzy Markowski gegenüber der „Gazeta Wyborcza“, Ausgabe Kattowitz.  

Markowski ist Vorsitzender des Verbandes der Bergbauingenieure und -Techniker sowie ehemaliger Wirtschaftsminister. Ihn irritiere die Hetze gegen oberschlesische Bergleute in den Medien und den sozialen Netzwerken. Immer wieder lese er, dass die polnische Kohleförderung nur für die Bergleute am Leben erhalten werde. „Bergleute können ohne Bergwerke überleben, sie sind gute Fachleute und finden anderswo Arbeit“, so der 71-jährige Hindenburger [Zabrze] Markowiak. Dass die oberschlesischen Bergleute einen schlechten Stand außerhalb Oberschlesiens haben, rührt noch aus kommunistischer Zeit und hier vor allem aus der Ära Edward Giereks. Damals wurden Bergleute von der Partei gefeiert. Während andere vor leeren Regalen in Geschäften standen, durften Bergleute in einzig für sie geschaffenen Läden Waren kaufen, die für andere unerreichbar blieben. Sie durften Urlaub in den renommiertesten polnischen Urlaubsgebieten genießen, kurzum, sie waren eine privilegierte Berufsgruppe, die auch überdurchschnittlich verdiente. Völlig außer Acht gelassen wurde in der damaligen Medienberichterstattung, welch hohen Risiken sie tagtäglich ausgesetzt waren.

Schon allein die Fahrt mit dem Förderkorb ins Bergwerk ist nicht angenehm. Dicht an dicht stehen die Männer beisammen, der Druck in den Ohren steigt wie beim Fliegen und es rüttelt und knirscht. Um an die eigentliche Arbeitsstätte zu gelangen, müssen die Männer kilometerweit durch enge, niedrige Gänge und oft schlammigen Boden stapfen, der jeden Schritt bei Temperaturen von über 30 Grad noch schwerer macht. Das Atmen fällt schwer, überall liegt Staub in der dünnen Luft. Es gibt Stellen im Schacht, an denen Bergleute nur auf allen Vieren vorankommen. Ein ohrenbetäubender Lärm der Maschinen begleitet sie über den Arbeitstag. Doch wer weiß schon, außer den Betroffenen und ihren Familien, unter welch extremen Bedingungen Bergleute ihr tägliches Brot verdienen? Als Markowiak noch Wirtschaftsminister war, hat er gerne Delegationen aus Warschau in die Gruben geführt. „Bereits nach wenigen Minuten wollte jeder so schnell wie möglich wieder zurück an die Oberfläche. Solch eine Exkursion hat bei einigen die Perspektive auf die Arbeit im Bergbau verändert“, so der Ingenieur.

Für die Psychologin Katarzyna Popiolek, Dekanin der Universität Kattowitz, wird außerhalb der Region zu wenig über Oberschlesien berichtet und wenn, dann nur negativ. „Oberschlesien wird mit einem dunklen, verrußten Loch assoziiert. Einem Ort, den man besser umfahren sollte“, so die Psychologin. Dass man die Bergleute jetzt als Sündenböcke der Corona-Epidemie hinstellt, wundere sie angesichts historischer Beispiele für Sündenböcke nicht. „Hasser“ übertrügen ihren Frust, Zorn und Neid auf Bergleute, die sich angesteckt haben. Doch keiner mache sich Gedanken darüber, warum es dazu kam und wie die Gegebenheiten untertage sind. „Viele von uns können in Ruhe von Zuhause arbeiten, sie jedoch müssen ihre Schicht verrichten“, so Popiolek.

Derzeit kursiert ein Video auf YouTube, das die Situation der oberschlesischen Bergleute wiedergibt. In Anlehnung an das Lied von Tic Tac To „ Ich find dich sch ...”  rappt das Duo HorcH: „Verschüttet uns lebendig, dann entledigt ihr Euch des Problems … Soll der Minister mit seiner Garde uns nicht weiter mit der Lombardei vergleichen“. Das fänden sie „richtig sch …“ und nutzen dafür auch genau jene deutschen Worte.

Vor Stilllegungen der oberschlesischen Gruben muss im Grunde jeder Pole Angst haben. Bislang gibt es keine Alternative für den fossilen Brennstoff im Land. 44 Prozent der Energie wird aus Steinkohle und fast 30 Prozent aus Braunkohle gewonnen. Und das deckt nicht einmal den Bedarf. Polen muss daher sogar Kohle aus dem Ausland importieren.