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05.06.20 / Politik / Mit Mut zum Denken und Mut zum Aussprechen / Michael Wolffsohn nennt in seinem Buch „Tacheles“ Fakten in Politik und Geschichte ohne Umschweife

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23 vom 05. Juni 2020

Politik
Mit Mut zum Denken und Mut zum Aussprechen
Michael Wolffsohn nennt in seinem Buch „Tacheles“ Fakten in Politik und Geschichte ohne Umschweife
Bernd Kallina

Nein, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, so das Goethe-Wort, will er und kann er natürlich nicht erklären. Das schickt der Autor Michael Wolffsohn in der Einleitung seines Buchs „Tacheles“ gleich voraus. Dennoch habe ihn der Gedanke nicht losgelassen, „dass man versuchen müsse, über den Schrebergarten des eigenen Fachwissens hinaus verwandte, vernetzte, zusammenhängende, weiterführende, sich selbst und die eigenen Studienergebnisse infrage stellende Dimensionen zu entdecken“. Mit diesem Credo läutet der Historiker und streitbare Publizist sein neuestes Werk ein. 

Das Buch stellt den jüngsten Fingerzeig des produktiven Schreibers in der stattlichen Reihe vieler seiner aufschlussreichen Werke der letzten Jahrzehnte dar. Erinnert sei zum Beispiel an seinen 1988 erschienenen Titel „Ewige Schuld. 40 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen“. In ihm überraschte der 1947 in Tel Aviv geborene Autor sein deutsches Nachkriegspublikum mit der mutig-gewagten These: „Das Instrument des Antigermanismus ist ebenso wirksam wie das des Antijudaismus, der sich ebenfalls von seinem Subjekt verselbstständigt hat … Der Antigermanismus als Instrument zeichnet, verzeichnet und überzeichnet das heutige Deutschland ebenso wie einst der Jude nur als Fratze dargestellt wurde.“ Chapeau!

Nun zu „Tacheles“: In sechs Hauptkapiteln geht Wolffsohn, der sich frühzeitig und selbstbewusst als „deutsch-jüdischer Patriot“ positioniert hat, auf eine Fülle von historisch-politischen Problemkreisen im Land der Dichter und Denker ein. So kritisiert er pointiert den aktuellen Antisemitismus, der vor allem migrationspolitische Hintergründe habe, weniger traditionell-rechtsextreme. Hinzu kommt das selektive Israelbild in Deutschland, das sich vor allem durch ein weitgehendes Unverständnis für den ausgeprägten Selbstbehauptungswillen des jüdischen Staates auszeichnet. Die postnationalen Deutschen verstünden das national-staatlich aufgestellte Israel nicht.

Aufschlussreich thematisiert der frühere Hochschullehrer an der Bundeswehr-Universität München etwa die „Abendländische Geschichte und deutsches Gedächtnis“. Seine These: Das viel zitierte „Christliche Abendland“ sei mehr Fiktion als Fakt. Sein Bannstrahl gilt auch der vermeintlich „Christlich-jüdischen Prägung des Abendlandes“. Für Wolffsohn ist diese irreführende Begriffskomposition eher „reine Wiedergutmachungssprache“, weil offenkundig „ein Kollektiv sein schlechtes Gewissen dauerhaft beruhigen möchte“.

Und überhaupt: Wolffsohn registriert die an Taubheit grenzende religiöse Schwerhörigkeit eines Großteils der bundesdeutschen Zeitgenossen und gibt zu bedenken: „Wer nicht einmal weiß, weswegen Christen – jenseits des Geschenketerrors – Weihnachten oder Ostern und Pfingsten feiern, ist unfähig, mit Angehörigen anderer Religionen den überlebensnotwendigen Dialog zu führen.“

Über den Zusammenhang von demografischem Wandel in Deutschland und einem neuen Antisemitismus stellt Wolffsohn klar: „Bereits vor der großen Flüchtlingswelle von 2014/15 hatte bekanntlich jeder vierte Deutsche einen Migrationshintergrund, oft einen muslimisch-nahöstlichen.“ Die fatale Brisanz dieser Entwicklung berge hierzulande für die jüdischen Bürger äußerst gefährliche Konsequenzen, nämlich: „Man übersehe nicht, dass zu dieser teils nahöstlich-muslimisch geprägten neudeutschen ‚Ethik‘ auch Rufe wie ‚Juden ins Gas‘ gehören. Sie waren im Sommer 2014 mehrfach auf deutschen Straßen zu hören“, so Wolffsohn. Der Autor weiter: „Soweit ich weiß, waren solche Töne von 1949 bis 2014 auf Deutschlands Straßen nicht zu vernehmen, nicht einmal bei NPD-, AfD- oder Pegida-Demonstrationen.“

Israelische Armee und Bundeswehr

Weitere Kapitel setzen sich mit den Klischees zu Personen der Zeitgeschichte auseinander, in denen verklärte Bilder von Anne Frank oder Ex-Kanzler Willy Brandt vom Autor kenntnisreich zurechtgerückt werden. 

Hervorzuheben sind des Weiteren die Einlassungen im Kapitel „Ethik und Gewalt – Militär“. Hier argumentiert Wolffsohn auch aus persönlicher Betroffenheit. Nicht nur, dass er von 1967 bis 1970 in der israelischen Armee diente, wo er nach dem Sechstagekrieg in den Palästinensischen Gebieten eingesetzt war. Auch die Lehrtätigkeit und seine Forschungsschwerpunkte auf Gebieten der Internationalen Beziehungen prädestinieren ihn für diese Themenbereiche. 

So widmet er sich der Frage: „Rabbiner in der Bundeswehr?“ oder „Ethik-Kodex statt Traditionserlass!“ sowie „Widerstand und Bundeswehr“. Auch wenn ihm nicht bei den Überlegungen zum Traditionserlass in allen Gesichtspunkten zur Ausgrenzung der Deutschen Wehrmacht zuzustimmen ist, führt er Gründe an, über die sich streiten lässt. Seine im Buch wiedergegebene Rede beim Feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr im Berliner Bendlerblock vom 20. Juli 2017 stellt ein herausragendes Dokument dar. 

Zum Schluss spricht Wolffsohn die großen Tabus in unserer säkularen Welt an: Gewalt und Tod, die sich dann im wahrsten Sinne des Wortes als finale Betrachtungen erweisen, auf die sich der Autor tiefschürfend auf den letzten der insgesamt über 300 Seiten einlässt. Bibliophil ist das Werk übrigens fein ausgestattet: Ein ansprechendes Cover, das ein Klapp-Bild des Autors zeigt, korrespondiert mit einer übersichtlichen Blocksatz-Gestaltung. Fazit: „Tacheles“ ist ein empfehlenswertes Buch, das der kritische Leser nachdenklich aus der Hand legen wird.

Michael Wolffsohn: „Tacheles. Im Kampf um die Fakten in Geschichte und Politik“, Herder-Verlag, Freiburg 2020, gebunden, 320 Seiten, 26 Euro