26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.06.20 / Kommentar / Namens-Narreteien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24 vom 12. Juni 2020

Kommentar
Namens-Narreteien
Erik Lommatzsch

Paul von Hindenburg, Generalfeldmarschall und später Reichspräsident der Weimarer Republik, im Übrigen auch unterstützt von der SPD, war einst gefragter Namenspatron für Straßen, Plätze und Bauwerke. Auch Ehrenbürgerwürden gab es reichlich für ihn. Einen prominenten Platz nimmt er nun seit geraumer Zeit auf der Liste derjenigen ein, deren Persönlichkeit in der veröffentlichten Meinung für so untragbar gehalten wird, dass die Namenstilgung alternativlos erscheint. 

Den Einwänden, dass eine historische Person in den Gegebenheiten der jeweiligen Epoche zu sehen ist, dass es Gründe für die Namenswahl gab und eine weit zurückliegende Benennung keinesfalls mit einer unreflektierten Anbetung des Namensträgers verbunden sein muss, scheint die intellektuelle Spannbreite der heutigen Traditionsscharfrichter nicht gewachsen zu sein. 

Es muss auch nicht immer Hindenburg sein. Kaiser Wilhelm II. bietet sich ebenfalls an, zumal er als die noch wesentlich größere Nummer gilt. Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster (WWU), neugegründet 1902, erhielt 1907 den Namen des Kaisers. Den führt sie, mit siebenjähriger Unterbrechung, bis heute. Allerdings mit reichlich Unbehagen. 

Seit 2018 hat sich an der WWU eine Arbeitsgruppe dem Problem gewidmet. In ihrem Abschlussbericht empfiehlt sie jetzt , sich „öffentlich und offensiv“ der Frage zu stellen, wie es mit der Gegenwartseignung der Majestät als Namensgeber so aussieht. Der Uni-Senat folgt dem, zumal die Arbeitsgruppe festgestellt hat, dass der Hohenzollern-Kaiser „überaus militaristisch, antislawisch und geradezu obsessiv antisemitisch“ gewesen sei, „darin teils seine Zeitgenossen übertreffend“. Der Bericht weist schon deutlich darauf hin, dass die Diskussion „einst eine Namensänderung unumgänglich“ machen könnte, zumal diese „schon jetzt erneut in benennbaren Kreisen der Studierendenschaft für dringlich gehalten wird“.

Die „Auseinandersetzung“ mit den „Untragbarkeiten“ des Kaiserreichs scheint Fahrt aufzunehmen. Dies gilt insbesondere für das Kolonialwesen. Die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte hat bereits 2018 – noch nicht vollzogene – Umbenennungen im Afrikanischen Viertel beschlossen. Zwar gilt Gustav Nachtigal (1834–1885) als maßgeblicher Afrikaforscher, der zudem – zeituntypisch – der dortigen Bevölkerung gerade nicht vorurteilsgeprägt entgegentrat. Dennoch soll der Nachtigalplatz künftig Bellplatz heißen, nach einem König des Duala-Volkes in Kamerun. Bei der Idee für die Petersallee – künftig geteilt in Anna-Mungunda-Allee und Maji-Maji-Allee – wurde peinlicherweise übersehen, dass bereits 1986 eine „Umwidmung“ stattgefunden hatte. Der Name Peters bezieht sich seitdem nicht mehr auf den Gründer von Deutsch-Ostafrika, Carl Peters (1856–1918), sondern auf den Juristen Hans Peters (1896–1966), der im Widerstand gegen Hitler engagiert war. 

Institut bald ohne Koch?

Die neueste Initiative im „Kampf“ gegen die koloniale Vergangenheit geht von Jürgen Zimmerer aus, Professor für die Geschichte Afrikas. Der Name Robert Koch war in den letzten Monaten im Zusammenhang mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) und der Corona-Krise in den Medien dauerpräsent. Ehe er wieder etwas in Vergessenheit gerät und Koch weiter hauptsächlich als Mediziner und Entdecker des Tuberkulose-Erregers gilt, als überragender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Bakteriologie und Mikrobiologie, hat sich Zimmerer gleich mehrfach zu Wort gemeldet. Im „Spiegel“ schreibt er etwa, Medizin sei „eine der zentralen Grundlagenwissenschaften des Kolonialismus“ gewesen und die afrikanische Bevölkerung sei als „Arbeitskräftereservoir“ betrachtet worden. Erkrankungen wie die Schlafkrankheit bedrohten „diese wirtschaftliche Entwicklung“. 

Experimentierfreudig habe Koch in Afrika geforscht, bei seiner Suche nach einem Medikament nahm er Nebenwirkungen „offenbar billigend in Kauf“, was der „koloniale Rassismus ermöglichte“. Massiv kritisiert Zimmerer die von Koch vorgeschlagene Isolierung ganzer Dörfer – „auch gegen ihren Willen“ – zur Eindämmung der Krankheit. Den „in kolonialen Diensten reisenden Mediziner“ könne man „kaum als Vorbild hinstellen“. Folglich sei das RKI umzubenennen.

Der Medizinhistoriker Christoph Gradmann, der meint, man solle Koch, der Bahnbrechendes geleistet habe, insgesamt betrachten, im Kontext der Zeit habe er nicht außergewöhnlich gehandelt, ist ein einsamer Rufer in einer Gegenwart, in der ein Sinn für historische Bedingtheiten immer weiter abstirbt.