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12.06.20 / Zeitgeschichte / Gern Moral, aber Hauptsache Skandal / „Stellvertreter“, „furchtbarer ,Jurist‘“ und Verständnis für einen Mord – in der öffentlichen Debatte war Rolf Hochhuth immer wieder präsent

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24 vom 12. Juni 2020

Zeitgeschichte
Gern Moral, aber Hauptsache Skandal
„Stellvertreter“, „furchtbarer ,Jurist‘“ und Verständnis für einen Mord – in der öffentlichen Debatte war Rolf Hochhuth immer wieder präsent
Erik Lommatzsch

Mitte Mai ist Rolf Hochhuth im Alter von 89 Jahren verstorben. Vor allem durch seine Dramen stand der Schriftsteller über Jahrzehnte immer wieder am Beginn oder im Fokus öffentlicher Debatten. Der „Störenfried“ (so der Titel eines im Sinne Hochhuths und mit seiner Unterstützung verfassten, wohlwollenden Lebensbildes) wollte provozieren und wusste es auch zu tun, und zwar äußerst erfolgreich. Vorwürfe und Beschuldigungen sprach er gern und reichlich aus. 

Zeithistorische Themen waren sein Stoff, er bediente sich vielfach dokumentarischen Materials. Moralisch immer auf der „richtigen“ Seite und von weit oben herab, zeigte Hochhuth gern im Nachhinein, wie die Welt besser hätte funktionieren sollen. Die aufgrund seiner Arbeiten entstandenen Debatten hatten mehrfach konkrete Folgen. Der Duktus seiner oft in Versen verfassten Stücke ist auch beim Lesen durchaus eindrücklich, die Figuren plastisch, zugleich aber oft eindimensional. Die literarische Qualität seiner Arbeit fand weniger Beachtung, umso mehr die politischen Aspekte und die dort behandelte, in die Gegenwart greifende Vergangenheit.

Der 1931 im hessischen Eschwege geborene Hochhuth arbeitete als Buchhändler und Verlagslektor. Ab 1963 wirkte er als freier Autor und lebte in Basel sowie in Berlin. Im Februar desselben Jahres wurde erstmals sein Drama „Der Stellvertreter“ aufgeführt, dem er den Untertitel „Ein christliches Trauerspiel“ gegeben hatte. Gedruckt worden war das Stück erst nach Anlaufschwierigkeiten, der Autor fand in Heinrich Maria Ledig-Rowohlt einen Verleger, der sich „getraut“ hat, als das Ganze „schon fast verschimmelte“. 

Hart ins Gericht geht Hochhuth in dem Werk mit dem Vatikan, vor allem mit Papst Pius XII., der von 1939 bis 1958 amtierte. Der Kurie wird vorgeworfen, nicht öffentlich die Stimme gegen die Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten erhoben zu haben. Das „Skandalstück“ war nicht nur ein wesentlicher Auslöser der Diskussion um die Frage der „Schuld“ des Papstes und damit der katholischen Kirche, es kam bei den Vorstellungen auch zu handfesten Tumulten. Gewirkt hat der „Stellvertreter“ bis hinein in die Wissenschaft. Aufgrund der Angriffe des Schriftstellers wurde von interessierter Seite die Forschung verstärkt, sodass eine Reihe von quellenfundierten Werken entstand, die zumindest der Eindeutigkeit von Hochhuths Thesen entgegengestellt werden kann.

1967 feierte mit „Soldaten. Nekrolog auf Genf“ ein weiteres Stück aus der Feder des Provokateurs Premiere. In Anspielung auf die Genfer Konvention übt er massive Kritik am britischen Premier Winston Churchill wegen der Luftangriffe auf deutsche Städte. Zudem legt er den Verdacht nahe, dass Churchill für den Tod des polnischen Exil-Ministerpräsidenten verantwortlich gewesen sei, da dieser seiner Allianz mit Stalin im Weg gestanden habe. Heftiger Widerspruch kam vor allem aus England. Hochhuth sah sich nicht zum ersten und bei Weitem auch nicht zum letzten Mal mit juristischen Auseinandersetzungen konfrontiert.

Der Sturz von Hans Filbinger

Einen Prozess zog auch eine Veröffentlichung Hochhuths nach sich, die am Anfang einer Reihe von Ereignissen stand, deren Höhepunkt der Rücktritt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger im August 1978 sein sollte. Ausstrahlung hatten die Vorgänge weit über das Bundesland hinaus. Dabei erscheint der ursprüngliche Anlass marginal. In einem Vorabdruck aus Hochhuths Roman „Eine Liebe in Deutschland“, welcher in der „Zeit“ erschien, nahm er lediglich an einer Stelle Bezug auf Filbinger und dessen Vergangenheit. Dieser sei „ein so furchtbarer ,Jurist‘ gewesen“, dass er „als Hitlers Marine-Richter“ nach Kriegsende „noch in britischer Gefangenschaft nach Hitlers Tod einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt hat“. 

Hochhuths Wiedergabe der Zusammenhänge ist nur bedingt korrekt. Filbingers Wirken nach der Kapitulation erklärte sich mit dem Wunsch der Briten, dass er, wie andere Militärjuristen, während der Internierung in Norwegen sein Amt weiterführen sollte. Allerdings wurde gerichtlich festgestellt, dass die Bezeichnung „furchtbarer ,Jurist‘“ von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Vor allem aber führte die Klage des Ministerpräsidenten gegen Hochhuth zu weiteren Recherchen, bald nicht mehr nur vonseiten des Schriftstellers. Filbingers Tätigkeit als Marinerichter im Dritten Reich wurde zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion. 

Schlagzeilen für Hochhuth gab es auch nach der deutschen Vereinigung. 1993 veröffentlichte er „Wessis in Weimar“, 2003 „McKinsey kommt“. In beiden Theaterstücken verwendet er ein Zitat des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt (1818–1897), welches unter anderem besagt, dass „man Richter in eigener Sache“ werde, „bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel“. Hochhuth sah sich mit Vorwürfen konfrontiert, er habe in seinen Stücken sowohl den Mord an Treuhand-Präsident Detlev Karsten Rohwedder im April 1991 gerechtfertigt als auch Verständnis für einen – potenziellen – Anschlag auf den damaligen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann geäußert. Hochhuth bestritt dies. Was Rohwedder anbetreffe, versuche er „nur zu erklären, warum es Menschen gibt, die auf ihn geschossen haben“.

Eine Vielzahl weiterer Werke entstammten der Feder Hochhuths. So etwa „Effis Nacht“, ein fiktiver Monolog der 90-jährigen Krankenschwester Elisabeth von Ardenne (1853–1952) – bekannt als Vorbild für Fontanes „Effi Briest“ – am Bett eines sterbenden Soldaten, oder eine Erzählung über den genialen Informatik-Pionier Alan Turing (1912–1954) und dessen tragischen Tod. Erfolgreich setzte er sich für die Erinnerung an den Hitler-Attentäter Georg Elser ein. Skandalpotenzial barg derartiges jedoch weniger. Der Einsatz für die „gute Sache“, vor allem Provokation und Aufmerksamkeit an sich, hatten für Hochhuth stets einen sehr hohen Stellenwert. Zugestehen muss man ihm, dass sein Werk nicht ohne Wirkung geblieben ist.