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19.06.20 / Für Sie gelesen / Die „Schere im Kopf“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25 vom 19. Juni 2020

Für Sie gelesen
Die „Schere im Kopf“
Wolfgang Kaufmann

In Deutschland hat sich ein Journalismus etabliert, der die Realität ignoriert, verfälscht oder – siehe den Fall Relotius – selbst erfindet. Journalisten verkörpern nur noch selten die sogenannte Vierte Macht im Staate, welche der Exekutive, Legislative und Judikative auf die Finger schaut. Stattdessen verbreiten sie oft willfährig die Agenda der Herrschenden und hetzen gegen alle, welche diese nicht teilen wollen. Warum das so ist, erklärt der Soziologe und Publizist Marcus B. Klöckner in seinem Buch „Sabotierte Wirklichkeit“.

So sei der Journalismus zur Glaubenslehre verkommen: Nüchterne Analysen würden zunehmend von Wunschdenken verdrängt. Hieraus resultiere eine „sozialstrukturell ausgeformte Zensur“. Die Schere im Kopf der vielfach eng mit der Obrigkeit verbundenen und einem homogenen gesellschaftlichen Milieu entstammenden Journalisten funktioniere besser als jeder staatliche Repressionsapparat. Diese Aussage untermauert Klöckner mit zahlreichen konkreten Beispielen, die ihn als profunden Kenner der hiesigen Medienlandschaft ausweisen. Ebenso zeigt er, dass der Bruch mit der Realität im Mainstream-Journalismus mittlerweile weniger die Ausnahme als der Normalzustand ist.

Kritische Distanz fehlt

Des Weiteren legt Klöckner dar, wie sehr die selbsternannten „Qualitätsmedien“ journalistische Qualitätskriterien außer Acht lassen: Akribische Quellenkritik, gründliche Recherchen und kritische Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung suche man inzwischen meist vergeblich. Gedruckt werde in der Regel nur noch das, was ins Weltbild der Redaktionen und Herausgeber passe. Die Fantasie-Reportagen des mehrfach preisgekrönten „Spiegel“-Journalisten Claas Relotius bildeten da nur die winzig kleine Spitze eines monströsen Eisbergs.

Neues Mediensystem vonnöten

Aus all dem zieht Klöckner den naheliegenden Schluss: „Wir können den Medien nicht trauen“, denn sie seien Teil des Herrschaftsapparates, indem sie vorgäben, was gesagt werden dürfe und was ungeschriebenen Verboten unterliege. Deshalb brauche es ein „neues Mediensystem“. Dazu gehörten unbedingt auch „Ketzer in den Redaktionen“, die den Mut hätten, im „Porzellanladen der Selbstverständlichkeiten“ herumzutrampeln. Und ein Journalisten-Nachwuchs aus der eher zum Widerspruch neigenden Unterschicht, die nicht vom festzementierten Status quo hierzulande profitiere.

Dabei verkennt Klöckner jedoch, dass es durchaus noch Zeitungen und Zeitschriften sowie Internet-Medien gibt, welche kritisch, sachlich und objektiv berichten. Und die verzeichnen glücklicherweise auch einen wachsenden Zulauf. 

Marcus B. Klöckner: „Sabotierte Wirklichkeit. Oder: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2019, broschiert, 239 Seiten, 19 Euro