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26.06.20 / Landwirtschaft / Folienanbau breitet sich rapide aus / Brandenburg: Spargelfelder verschwinden zunehmend unter Plastik – mit massiven Folgen für die Natur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26 vom 26. Juni 2020

Landwirtschaft
Folienanbau breitet sich rapide aus
Brandenburg: Spargelfelder verschwinden zunehmend unter Plastik – mit massiven Folgen für die Natur
Dagmar Jestrzemski

Nach Nordrhein-Westfalen mit 3600 Hektar ist Brandenburg mit 3400 Hektar das Bundesland mit der zweitgrößten Spargelanbaufläche Deutschlands. Bezogen auf die Landesfläche steht Brandenburg bei der Spargelerzeugung sogar an der Spitze. Seit mehr als zehn Jahren hat der Spargelanbau unter Plastikfolien immer mehr zugenommen. Lag dieser 2007 noch bei 643,5 Hektar, so waren es 2018 bereits 3130 Hektar. Somit wird auf einem Drittel der Landesfläche „geschützter“ Spargelanbau unter Folie betrieben.

Um den natürlichen Erntebeginn vorzuverlegen, werden einige Wochen davor kilometerlange Antitau- und Thermofolien über die langen Spargeldämme 

gespannt. Auf diese Weise wird die gewöhnlich am 24. Juni endende Erntezeit vorverlegt und von zwei auf drei Monate verlängert. Die Erzeuger betonen, dass ihnen dadurch unverzichtbare Vorteile im Marktwettbewerb entstehen. 

Außerdem werde durch den Folienschutz eine Verfärbung der Spargelspitzen durch die Sonneneinstrahlung verhindert. Marktkonform seien lange, rein weiße Spargelstangen. Bei Blindverkostungen schmeckte den Probanden zwar der Freilandspargel besser als Spargel, der unter Folien gezüchtet wurde. Das stört die Produzenten allerdings wenig, solange die Kunden ihre Wahl  vor allem aufgrund von niedrigen Preisen treffen.

Umweltschützer sind spät erwacht

Seit Jahren ist der Spargelanbau unter Folie auch im Europäischen Vogelschutzgebiet „Mittlere Havelniederung“ rund um den Beetzsee nördlich von Brandenburg an der Havel immer weiter ausgedehnt worden. Betroffen sind rund 

500 Hektar in dem 1000 Hektar großen Gebiet. Die Ländereien sind Eigentum des Domstifts Brandenburg und seit 2001 an einen niedersächsischen Landwirt verpachtet. Nach und nach wurde in dem Vogelschutzgebiet die vorherige extensive Nutzung der Landschaft vor allem durch Schafhaltung durch die industrielle Landwirtschaft verdrängt. Nach Angaben des NABU sind in dem Vogelschutzgebiet inzwischen 21 Vogelarten lokal ausgestorben, darunter besonders streng geschützte Arten wie der Rotmilan und die Sperbergrasmücke. Die Entwicklung konterkariert die FFH-Richtlinie der Europäischen Union (Flora-Fauna-Habitat- Richtlinie) vollkommen, die erlassen wurde, um durch die ausgewiesenen Natura-2000-Gebiete „die Erhaltung der 

natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen“ zu sichern. Demnach hätte jegliche intensive Nutzung des Vogelschutzgebietes „Mittlere Havelniederung“ durch behördliche Vorgaben verhindert werden müssen. 

Es verwundert einigermaßen, dass NABU und Grüne Liga Brandenburg die brandenburgische Naturschutzbehörde erst im März dieses Jahres ultimativ aufgefordert haben, die Folienbespannung der Spargelbeete im Vogelschutzgebiet „Mittlere Havelniederung“ zu untersagen. Trotz des Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot der FFH-Richtlinie kommt die Behörde ihrer Verpflichtung nicht nach, dagegen einzuschreiten. Bereits im April 2016 war ein Versuch der Grünen Liga gescheitert, einen Dialog zwischen Spargelbauern, Naturschützern, betroffenen Anwohnern und zuständigen Behörden anzuregen. 

Kein Lebensraum mehr

Auf die jüngsten Nachfragen der Grünen-Fraktion im Brandenburger Landtag antwortete die Landesregierung ausweichend. Zur Frage nach der 2016 zugesagten Überarbeitung der Vorschrift zur 

Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung musste die Regierung zugeben: „Die Verwaltungsvorschrift wurde bisher nicht fertiggestellt.“ Jedoch hatte man bereits 2012 festgehalten, dass großflächiger Spargelanbau unter Folie negative Auswirkungen auf die Tierwelt hat, da diese Flächen keine Lebensraumfunktion haben. Weiterhin erklärte die Landesregierung auf Nachfrage, dass ihr keine Informationen dazu vorlägen, wie groß die Obst- und Gemüseanbauflächen unter Folientunneln landesweit sind.

Dieser Fall stellt keinesfalls eine Ausnahme dar. Im Februar hat die EU-Kommission ein bereits laufendes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen mangelnder Erhaltungsmaßnahmen gemäß der FFH-Richtlinie verschärft. 

Nachdrücklich forderte die EU-Kommission die Bundesrepublik auf, zu den Vorwürfen aus Brüssel innerhalb von zwei Monaten Stellung zu nehmen: „Die Kommission ist der Auffassung, dass bei allen 4606 Natura-2000-Gebieten, in allen Bundesländern und auf Bundesebene, eine fortbestehende Praxis zu beobachten ist, keine ausreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festzulegen.“ Außerdem wirft die EU-Kommission sechs Bundesländern vor, ihre Managementpläne zum Schutz der Tiere und Landschaft nicht „aktiv und systematisch an die Öffentlichkeit weiterzuleiten“.