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26.06.20 / Görlitz / Die ganze Bandbreite Schlesiens / Das 2006 eröffnete Schlesische Museum in Görlitz präsentiert den geschichts- trächtigen Kulturraum des Landes an der Oder. Der Weg zum Museum war lang. Auch zu aktuellen Themen werden Akzente gesetzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26 vom 26. Juni 2020

Görlitz
Die ganze Bandbreite Schlesiens
Das 2006 eröffnete Schlesische Museum in Görlitz präsentiert den geschichts- trächtigen Kulturraum des Landes an der Oder. Der Weg zum Museum war lang. Auch zu aktuellen Themen werden Akzente gesetzt
Erik Lommatzsch

Die Stadt Görlitz, deren historische Bausubstanz in der DDR weitgehend dem Verfall überlassen wurde, stellt sich nach der Wiedervereinigung als restauriertes architektonisches Kleinod sondergleichen dar. Im äußersten Osten des heutigen deutschen Staatsgebietes gelegen, gehört die Stadt zum Bundesland Sachsen. Das ist historisch nicht falsch, schließlich zählte sie ab 1636 für knapp zwei Jahrhunderte zum entsprechenden Kurfürstentum. Andererseits wurde Görlitz 1815 Schlesien, also dem damaligen Preußen, zugeschlagen. Bei dieser Zugehörigkeit – zur Provinz Schlesien, bzw. zu Niederschlesien – sollte es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bleiben.

Schlesien selbst wiederum blickt auf eine lange, wechselvolle Geschichte zurück, mit verschiedenen Herrschern, Zugehörigkeiten, mit Teilungen und Abspaltungen durch Nachbarn, die die jeweiligen Gebiete dann ihren Territorien zuschlugen. Wenn auch sprachlich verschieden, so dominierte neben dem Polnischen, dem Tschechischen bzw. Mährischen und dem Jiddischen jahrhundertelang das Deutsche. Mit der Eroberungslust Friedrichs des Großen – er selbst wusste seine Kriege anders zu begründen – kam 1742 der bei weitem größte Teil Schlesiens zu Preußen. 1945 fiel dann der weitaus größte Teil Schlesiens an Polen, verbunden mit der Vertreibung der ansässigen Deutschen. 

Schwierige Vorgeschichte

Die Idee, in Deutschland ein Museum zu gründen, das sich mit dem 1000jähigen schlesischen Kulturraum befasst, führte nahezu zwangsläufig zum Standort Görlitz – sichtbar geschichtsträchtig und bedeutendste bei Deutschland verbliebene schlesische Stadt. Nach einer Zeit der Interimslösungen präsentiert sich das Schlesische Museum zu Görlitz seit 2006 in einem Komplex aus mehreren Gebäuden, deren bedeutendstes zweifelsfrei der Schönhof ist. Wie Museumsdirektor Markus Bauer darlegt, geht dieser Bau „im Kern bis in die Gründungszeit der Stadt im 13. Jahrhundert zurück, ist eines der ersten profanen Gebäude in Deutschland, das Architekturformen der Renaissance zeigt und war Leitbau der Stadt nach dem Stadtbrand von 1525.“

Allerdings hat das Görlitzer Museum eine Vorgeschichte. Während in der DDR die Erinnerung der Vertriebenen nicht gepflegt werden durfte, in opportuner Anlehnung an die Sowjetunion sprach man offiziell von „Umsiedlern“, entstanden in der Bundesrepublik bereits früh „Heimatstuben“. Diese widmeten sich auch museal Traditionen der nun nicht mehr zum deutschen Staatsgebiet gehörigen Territorien. Die Landsmannschaft Schlesien forcierte bereits seit den 1970er Jahren ein größeres, zentrales Museum. Nachdem der Bundestag 1982 eine „Grundsatzkonzeption zur Weiterführung der ostdeutschen Kulturarbeit“ beschlossen hatte, boten sich neue Möglichkeiten. Für Oberschlesien – die Landsmannschaft der Oberschlesier ist nicht identisch mit der Landmannschaft Schlesien – wurde ein Museum in Ratingen realisiert. Für Schlesien insgesamt war, unter den Bedingungen vor dem Mauerfall, ein Museum im niedersächsischen Hildesheim vorgesehen. Direktor Bauer weist darauf hin, dass der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen, Ernst Albrecht (CDU), das Projekt tatkräftig unterstützte, während Gerhard Schröder (SPD), der Albrecht 1990 ablöste und in einer Koalition mit den Grünen regierte, das Vorhaben als „politisch heikel“ beendete. Mit der deutschen Einheit boten sich jedoch andere Perspektiven, schnell rückte Görlitz in den Fokus.

Träger des nunmehrigen Schlesischen Museums zu Görlitz ist eine Stiftung, der die Bundesrepublik, das Land Sachsen, die Stadt sowie die Landsmannschaft Schlesien angehören. Der Vorstand der Stiftung stellte anlässlich des Todes von Herbert Hupka (1915–2006) fest, der langjährige Bundestagsabgeordnete – erst für die SPD, nach seinem Übertritt aus Protest gegen die Ostpolitik für die CDU – sowie Präsident der Landsmannschaft sei „der eigentliche Gründervater des Schlesischen Museums“. 

Neue Wege für eine alte Kulturlandschaft

In seinem Selbstverständnis sucht das Museum – unter der Maßgabe, dass es sich bei den Traditionen Schlesiens um ein gemeinsames Erbe von Deutschen, Polen und Tschechen handle – „nach neuen Wegen zu dieser alten Kulturlandschaft“. Zum Aufbau der Sammlung erhielt das Museum eine Vielzahl von privaten Schenkungen, vor allem aber profitiert es von der 2001 ergangen Entscheidung der Bundesregierung, einen großen Teil der in Bundeseigentum befindlichen schlesischen Exponate nach Görlitz zu geben.

Attraktion an sich sind bereits die historischen Gebäude. Hervorzuheben sind die reichhaltigen Wandmalereien. Um den ursprünglichen Eindruck zu erhalten, bleiben die Wände ansonsten frei – abgesehen vom Feuerlöscher, wie gern betont wird. Wer es kurios mag, der sei auf die Reste des jahrhundertealten WC verwiesen. Damit es seinen Dienst tun konnte, wurde Regenwasser mittels Sandsteinröhren zugeführt.

Die Dauerausstellung an sich ist – erwartungsgemäß – äußerst facettenreich. Kunst und Kunsthandwerk werden ebenso präsentiert wie Alltags- und Industriekultur. Die Hauptstadt Breslau wird hervorgehoben und der „schlesische Barock“. Es erfolgt der Übergang zur Zeitgeschichte mit den Vertreibungen und dem Blick auf die Nachkriegszeit. Informationen über die Präsentation sowie Publikationen erfolgen auf Deutsch sowie in polnischer Sprache – was unterstreicht, dass sich das Ganze ausdrücklich auch an ein polnisches Publikum richtet. 

Bei den Einzelstücken der Ausstellung darf Bunzlauer Keramik mit dem typischen Pfauenaugendekor nicht fehlen, ebenso wenig wie Fayencen aus Proskau und Glinitz. Kannen in Tierform erfreuten sich seinerzeit großer Beliebtheit. Porzellan stellte die Firma C. Tielsch & Co. in Altwasser her. Eisenkunstguss aus Gleiwitz ist zu bestaunen und „Die Häutung des Heiligen Bartholomäus“ von Michael Willmann (1630–1706), der einigen als der bedeutendste schlesische Barockmaler gilt. Zeitliches Gegenstück ist der Sammlungsschwerpunkt zur klassischen Moderne im Zusammenhang mit der Breslauer Staatlichen Akademie für Kunst- und Kunstgewerbe, die 1911 gegründet und 1932 wieder geschlossen wurde. Die Vertreibung wird unter anderem thematisiert in einer Bronzeskulptur von Herbert Volwahsen, eindrucksvoller aber vielleicht mittels eines um 1900 gefertigten pelzgefütterten Mantels, den sein Besitzer im Januar 1945 auf der Flucht trug.

Ein vielfältiges Programm

Aktiv ist das Schlesische Museum bei Sonderausstellungen. Davon gibt es allein in diesem Jahr drei. So ist noch bis Anfang August aufwändig gestaltetes Glas aus der von Friedrich Wilhelm Heckert (1837–1887) in Petersdorf gegründeten Manufaktur zu sehen. Im September eröffnet eine Ausstellung mit Zeichnungen und Gemälden des 19. Jahrhunderts von schlesischen Künstlern. Von etwas anderem Charakter ist die Ausstellung „Nieswojosc | Unheimisch“ geben, die nach Verlängerung nun noch bis Ende Juni in der Galerie Brüderstraße zu sehen ist. Fotos von Agata Pankiewicz und Marcin Przybylko thematisieren „die kulturellen und in der Landschaft sichtbaren Folgen des beinahe vollständigen Bevölkerungsaustauschs nach dem Kriegsende 1945“. Es spricht für das Schlesische Museum, dass es, neben dem Erinnern und Weitertragen von kulturellen Traditionen mit derartig provokanten Themen aktuelle Diskussionen befördert. Ein Grund mehr für eine Reise nach Görlitz. 

Weitere Informationen unter: www.schlesisches-museum.de