25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.06.20 / Geschichte und Kultur einer preußischen Provinz / Ostpreußen hat für das Werden und Sein der heutigen Bundesrepublik sowie des westlich-europäischen Kulturverständnisses eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Daran zu erinnern ist eine der wichtigsten Aufgaben des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26 vom 26. Juni 2020

Geschichte und Kultur einer preußischen Provinz
Ostpreußen hat für das Werden und Sein der heutigen Bundesrepublik sowie des westlich-europäischen Kulturverständnisses eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Daran zu erinnern ist eine der wichtigsten Aufgaben des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg
Joachim Mähnert

Warum gibt es in Lüneburg ein Ostpreußen-Museum“ lautet eine der häufigsten Fragen, welche die Mitarbeiter im Ostpreußischen Landesmuseum tagtäglich hören. Die Frage ist durchaus berechtigt, liegt doch die traditionsreiche Hansestadt ca. 800 Kilometer westlich von Königsberg. Zunehmend aber häufen sich Anfragen, die erkennen lassen, wie wenig gerade die Jungen überhaupt noch über die einst östlichste Provinz im Deutschen Reich wissen. 75 Jahre nach Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung mag dies kaum überraschen – wer noch über eigene Erinnerungen an ein deutsches Ostpreußen verfügt, ist heute im fortgeschrittenen Alter. Besorgniserregend aber ist, dass seit Jahrzehnten die früheren preußischen Ostprovinzen keine nennenswerte Rolle in der hiesigen Erinnerungskultur oder in der schulischen Vermittlungsarbeit spielen, und auch das Öffnen der Grenzen nach Osten vor dreißig Jahren hat daran wenig verändert.

Für ein Land, das sich selbst gern als Kulturnation versteht, wird man dies als Armutszeugnis interpretieren dürfen. Schon 1972 schrieb der Danziger Günter Grass an seinen Freund Willy Brandt: „Ein Volk, das durch Krieg und Kriegsschuld mehr als drei Provinzen verliert, ist geschlagen und hat Verlust erlitten; ein Volk jedoch, das aus freien Stücken darauf verzichtet, einen Teil der kulturellen Substanz jener verlorenen Gebiete zu sammeln, zu retten und abseits vom üblichen musealen Denken andernorts öffentlich, das heißt weiter wirksam zu machen, ein solches Volk versagt erbärmlich vor sich und seiner eigenen Kultur“. 

Der kulturelle Reichtum des Ostens

Grass wusste nur zu gut, welch kulturhistorischer Reichtum mit dem „deutschen Osten“ verbunden ist. Allein Ostpreußen, als erstes protestantisches Land, als Wirkungsort von Nikolaus Kopernikus und Immanuel Kant, als Ausgangspunkt der Befreiungskriege, als Herkunftsland von Persönlichkeiten und Künstlergrößen wie Johann Gottfried Herder, E.T.A. Hoffmann, Lovis Corinth und Käthe Kollwitz, erwächst für das Werden und Sein der heutigen Bundesrepublik, ja des westlich-europäischen Kulturverständnisses, eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Daran zu erinnern ist eine der wichtigsten Aufgaben des 1987 eröffneten, institutionell von Bund und Niedersachsen finanzierten Ostpreußischen Landesmuseums. 

Dieses hat sich nach seiner Wiedereröffnung 2018 vollständig neu aufgestellt und konnte sich so auf die gegenwärtigen Herausforderungen einstellen. Denn es ist weltweit das einzige Museum mit dem Auftrag, Geschichte, Kunst, Kultur und Landschaft Ostpreußens möglichst vollständig abzubilden – eine Aufgabe, die sich in den verschiedenen Bundesländern üblicherweise mehrere Museen teilen. Niedersachsen etwa hat sechs Landesmuseen. Das Ostpreußenmuseum, auf sich allein gestellt, muss dagegen spartenübergreifend und interdisziplinär arbeiten. Seine Dauerausstellung ist entsprechend gegliedert in eine historische Abteilung, die von den Prußen und dem mittelalterlichen Ordensstaat bis in die Gegenwart führt und nicht zuletzt ein großes Modul zu Flucht, Vertreibung, Ankunft und Integration aufweist. 

Eine eigene Abteilung „Bildende Kunst“ widmet sich der Königsberger Kunstakademie sowie der Künstlerkolonie Nidden und zeigt auch bedeutende Werke von Käthe Kollwitz und Lovis Corinth. Das Kunsthandwerk spielt insbesondere in der Abteilung „Bernstein – das Gold der Ostsee“ eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt wird die einzigartige Landschaft Ostpreußens in mehreren naturkundlichen Abteilungen thematisiert, darunter die besondere Bedeutung der Jagd sowie das Trakehner Pferd. Gänzlich neu ist eine eigenständige Deutschbaltische Abteilung. Diese Vielfalt an Themen hat einen großen Vorteil: Die Ausstellungen sind abwechslungsreich, hier findet jedes noch so unterschiedliche Interesse einen passenden Anknüpfungspunkt.

Natürlich kann dabei nur ein kleiner Bestand aus der über Jahrzehnte gewachsenen Sammlung präsentiert werden, die unter anderem viele tausend Gemälde und Grafiken umfasst. Die reiche Auswahl ermöglicht viele Sonderausstellungen, die nicht nur in Lüneburg, sondern auch im Bundesgebiet und in Ostpreußen selber gezeigt werden. Nicht selten sind pro Jahr über 1.000 originale Exponate im Leihverkehr zu managen. Damit erfüllt das Museum zudem die wichtige europäische Aufgabe, im länderübergreifenden Kulturdialog an ein gemeinsames Erbe zu erinnern. Ostpreußens Kultur „gehört“ den Heimatvertriebenen genauso wie den heutigen Bewohnern der Region, die sich selbstverständlich für die Geschichte ihrer Städte und Landschaften interessieren, auch wenn sie bis 1945 deutsch waren. Zahlreiche Kooperationen wie Ausstellungen, Studienreisen oder gemeinsame Schulklassenbesuche werden daher mit den fünf Partnerländern des Museums – Russland, Polen, Litauen, Lettland und Estland – alljährlich im Sinne der Verständigung und des gegenseitigen Verständnisses umgesetzt. 

Herausforderung Generationswechsel

Außerhalb Deutschlands gibt es keine vergleichbare Einrichtung wie das Lüneburger Landesmuseum. Auch wenn in Russland, Polen und Litauen das deutsche Kulturerbe durchaus museal dargestellt wird, denkt man eher regional und in den Grenzen nach 1945, fokussiert also weniger auf den über Jahrhunderte gewachsenen Kulturraum von ganz Ostpreußen. Dem Ostpreußischen Landesmuseum erwächst damit ein Alleinstellungsmerkmal, dessen Arbeit umso wichtiger wird, je weniger die Zeitzeugen werden.

Der Generationenwechsel ist angesichts der gewaltigen Lücken in den schulischen Lehrplänen eine der wesentlichen Herausforderungen für die Erinnerungsarbeit des Museums. Die neue Dauerausstellung will daher vor allem Familien, besonders Großeltern mit ihren Enkelkindern, ansprechen und für das Land und sein Schicksal interessieren. Die Vielfalt an Themen garantiert einen abwechslungsreichen Besuch; zudem gibt es zahlreiche Mitmachangebote und Medienstationen. Ein eigener Familienpfad mit „Ingo, dem Fischotter“ richtet sich speziell an Kinder und führt kindgerecht durch die verschlungene Kulturgeschichte Ostpreußens.

Noch bis zum 25.10.2020 ist die Sonderausstellung „Sielmann!“ über Leben und Wirken des beliebten, in Ostpreußen aufgewachsenen Tierfilmers Heinz Sielmann zu sehen. Es ist eine „Entdeckerausstellung“ – viele der spannenden Inhalte sind nur mit Entdeckerlinsen erlebbar, das reiche Naturgeschehen will erkundet werden. Ein lohnender Spaß für die gesamte Familie, der auch unter den vielen derzeitigen Corona-Auflagen sichergestellt ist. 

Ein Anbau für Königsberg und Kant

Spannend werden die kommenden Jahre: Eine weitere, auch bauliche Erweiterung ist geplant, um die umfangreichen Sammlungen des Museums Stadt Königsberg präsentieren zu können und dem berühmtesten und wichtigsten Ostpreußen, Immanuel Kant, erstmals in Deutschland eine eigene, ständige Präsentation zu widmen. Der international verehrte, wohl wichtigste Denker der Moderne wird viele neue Besuchergruppen erschließen, die sich über den Philosophen, aber auch über seine Heimatstadt am Pregel informieren werden. 

Ostpreußen – das Land der dunklen Wälder und kristall‘nen Seen, das Land von Elch und Storch, Haff und Nehrung! Wer die einzigartige Schönheit der Landschaft genießen will, sollte dort Urlaub machen. Wer aber das reiche Kulturerbe, die oft dramatische Geschichte in einzigartigen Zeugnissen erleben will, wird um eine Reise nach Lüneburg nicht umhinkommen. 

Und warum nun findet sich ein Ostpreußenmuseum ausgerechnet im kleinen Lüneburg? Schon 1958 haben sich hier weitsichtige Ostpreußen um den Erhalt ihres Kulturerbes bemüht und mit dem von Hans-Ludwig Loeffke geleiteten „Ostpreußischen Jagdmuseum – Wild, Wald und Pferde“ ehrenamtlich eine nicht unbedeutende Sammlung sowie einen weiten Unterstützerkreis aufgebaut, weshalb bei der Standortdiskussion eines öffentlich finanzierten Landesmuseums Lüneburg den größten Erfolg versprach. Wie wir heute wissen, war es eine gute Entscheidung. 

b Dr. Joachim Mähnert ist Historiker 

und seit 2009 Direktor des Ostpreußischen Landesmuseums. 

www.ostpreussisches-landesmuseum.de