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03.07.20 / Mittelmeerraum / Ankaras Griff nach Libyen / Kaum ein Land engagiert sich im Bürgerkrieg derart offensiv wie Erdogans Türkei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27 vom 03. Juli 2020

Mittelmeerraum
Ankaras Griff nach Libyen
Kaum ein Land engagiert sich im Bürgerkrieg derart offensiv wie Erdogans Türkei
Wolfgang Kaufmann

Seit dem vom Westen herbeigeführten Sturz des libyschen Dauermachthabers Muammar al-Gaddafi im August 2011 herrscht in dem nordafrikanischen Land Bürgerkrieg. In diesem stehen sich derzeit vor allem zwei Konfliktparteien gegenüber: die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung der Nationalen Übereinkunft (GNA) unter Fayiz as-Sarradsch in Tripolis und die Gegenregierung des „Abgeordnetenrates“ in Tobruk unter General Chalifa Haftar, die den Osten und Süden Libyens und damit auch die meisten Erdölfelder kontrolliert. 

Mittlerweile ist das Ganze zum Stellvertreterkrieg ausländischer Mächte mutiert. Hinter Haftar stehen Russland, Frankreich, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, während as-Sarradsch die Unterstützung Italiens, des Sudan, der Ukraine sowie schließlich der Türkei hat, die definitiv die Hauptrolle im Ringen um die Vorherrschaft in Libyen spielt. Im April 2019 startete Haftars Libysch-Nationale Armee (LNA) diverse Großoffensiven gegen die Truppen der GNA, und für einige Monate sah alles nach einem Sieg des Warlords aus. 

Dann jedoch vereinbarten der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und as-Sarradsch im November 2019, auf militärischem Gebiet zu kooperieren – dem vorausgegangen war die Anerkennung der Ansprüche Ankaras auf eine riesige Einfluss- und Wirtschaftszone im östlichen Mittelmeer durch die GNA. Daraufhin schickte die Türkei Anfang dieses Jahres Soldaten sowie moderne Waffensysteme wie Kampf- und Aufklärungsdrohnen vom Typ Bayraktar TB2 nach Libyen und verpflichtete darüber hinaus 4000 syrische Söldner für den Kampf gegen Haftar.

Dadurch wendete sich das Blatt ab April 2020 deutlich: Die GNA-Truppen sprengten den Belagerungsring um Tripolis und eroberten Tarhuna, Sabrata und Surman sowie die Luftwaffenbasis al-Watiya – de facto verlor die LNA alle in den vorausgegangenen Monaten besetzten Gebiete. Haftar muss nun sogar befürchten, dass seine Gegner ihm auch die strategisch besonders wichtige Stadt Sirte entreißen. Dieses verstärkte türkische Engagement in Libyen resultiert indes nicht nur aus der Willfährigkeit der 

GNA, was die Unterstützung der Großmachtambitionen Ankaras im Mittelmeer betrifft. 

Erdöllager und Migrantenrouten

Genauso wichtig ist es Erdogan, seinen Einfluss auf dem nordafrikanischen Festland auszubauen, um die dortigen Migrantenströme in Richtung Europa kontrollieren zu können. Denn das bietet ihm noch mehr Erpressungspotenzial gegenüber der EU, dessen Bedeutsamkeit in dem Maße wächst, in dem die Türkei wirtschaftlich ins Trudeln gerät und dadurch unter Devisenmangel leidet. Ansonsten gilt es gleichermaßen zu berücksichtigen, dass Libyen mehr Erdölvorkommen besitzt als jedes andere Land Afrikas.

Deshalb riskiert Ankara jetzt sogar die Konfrontation mit dem NATO-Partner Frankreich. Nachdem der Élysée-Palast der Türkei ein „gefährliches Spiel“ in Libyen vorgeworfen hatte, sprach der Sprecher von Erdogans Außenministerium, Hami Aksoy, Präsident Emmanuel Macron „gesunden Menschenverstand“ ab. Kurz darauf richteten drei türkische Kriegsschiffe demonstrativ ihr Feuerleit-Radar auf eine französische Fregatte, die das von der UN verhängte und für Ankara höchst hinderliche Waffenembargo gegen die libyschen Bürgerkriegsparteien durchsetzen soll.

Während Europa, die USA und selbst Russland angesichts der Corona-Krise mehr oder weniger gelähmt zusehen, wie die Türkei immer stärker auftrumpft und zum wichtigsten Machtfaktor in Libyen avanciert, hat das benachbarte Ägypten nun offenbar beschlossen, den Fehdehandschuh aufzunehmen: „Seid bereit für jede Mission innerhalb und außerhalb der Grenzen“, sagte der ägyptische Präsident Abd al-Fattah as-Sisi vor einigen Tagen beim Besuch einer Luftwaffenbasis weit westlich des Nils. 

Das war die Reaktion auf die Ablehnung seines Friedensplans für Libyen von Anfang Juni, der auch den Abzug aller ausländischen Kämpfer, also auch der syrischen Söldner Ankaras und der türkischen Militärangehörigen, vorsah.