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03.07.20 / Eine nervenaufreibende Reise / Drama um ein berühmtes Gemälde – Wie die „Sixtinische Madonna“ des vor 500 Jahren gestorbenen italienischen Renaissancemalers Raffael nach Dresden kam

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27 vom 03. Juli 2020

Eine nervenaufreibende Reise
Drama um ein berühmtes Gemälde – Wie die „Sixtinische Madonna“ des vor 500 Jahren gestorbenen italienischen Renaissancemalers Raffael nach Dresden kam
Wolfgang Kaufmann

Im Jahre 1512 gelang es Papst Julius II. alias Giuliano della Rovere, das in Norditalien eingefallene Heer König Ludwigs XII. von Frankreich in die Defensive zu drängen und die Stadt Piacenza südöstlich von Mailand seinem Kirchenstaat einzuverleiben. 

Das war insofern von Bedeutung, als sich hier auch das Benediktiner-Kloster San Sisto befand, in dem die Reliquien von nicht weniger als 16 Heiligen lagerten, darunter Barbara von Nikomedien und Sixtus II. Der letztere, ein Märtyrerpapst, galt als spiritueller Vorvater von Papst Sixtus IV. beziehungsweise Francesco della Rovere, dem Onkel von Julius II. Dieser witterte daher eine gute Möglichkeit, das Prestige der Familie della Rovere zu heben, indem er der gerade fertiggestellten neuen Klosterkirche von San Sisto ein repräsentatives Madonnen-Bildnis für den Hochaltar stiftete.

Den Auftrag zu dessen Anfertigung erhielt kein Geringerer als Raffaelo Santi, dessen 500. Todestag am 6. April mitten in die Lockdown-Phase fiel und deshalb   nur recht bescheiden gewürdigt werden konnte (siehe PAZ vom 3. April). Die künstlerische Meisterschaft des Malers hatte Julius bereits 1508 dazu bewogen, ihn nach Rom zu holen. Der meist nur Raffael genannte und gerade erst 30 Jahre alte Maler stellte das Bild 1513 fertig. Es zeigte neben der Muttergottes auch noch Sixtus II. – freilich mit den Gesichtszügen von Julius II. – und die heilige Barbara sowie die eigentliche Attraktion des Bildes: zwei Engel am unteren Bildrand.

Das Gemälde hing dann fast zweieinhalb Jahrhunderte in San Sisto, bis im Jahre 1752 der Kunstagent und Philologieprofessor Giovanni Battista Bianconi aus Bologna in dem Kloster auftauchte. Er reiste im Auftrag des Kurfürsten Friedrich August II. von Sachsen beziehungsweise Königs August III. von Polen durch Italien, um ein Werk von Raffael für die Gemäldegalerie in Dresden zu erwerben. Sein Versuch, dem Vatikan die „Madonna di Foligno“ abzukaufen, war allerdings gescheitert. Umso mehr elektrisierte es ihn, als er hörte, dass die Mönche in San Sisto hoch verschuldet waren und deshalb erwogen, ihre Madonna zu veräußern.

Für das Bild verlangten die Benediktinermönche zunächst die unerhörte Summe von 36.000 Scudi Romani. Normalerweise investierte August aber nur maximal 800 bis 1000 Scudi in ein hochwertiges Bild. In langwierigen Verhandlungen gelang es Bianconi, den Kaufpreis auf 24.000 Scudi zu drücken, was immer noch exorbitant viel Geld war – mehr hatte bislang kein Potentat für ein einzelnes Gemälde bezahlt. 

Anschließend entbrannte dann das nächste Ringen, bei dem es um die Ausfuhrgenehmigung ging: Zuerst musste Papst Benedikt XIV. überzeugt werden und anschließend auch der nunmehrige Landesherr, der Herzog von Parma, Piacenza und Guastalla, welcher sich zunächst weigerte, einer „Beraubung solcher Tragweite“ zuzustimmen. Dann machte wiederum der Zoll Probleme, weswegen der Kaufvertrag erst im Januar 1754 unterzeichnet werden konnte, wonach es noch bis zum 1. März dauerte, ehe die „Sixtinische Madonna“ endlich in Dresden ankam. 

Handelt es sich um ein Duplikat?

Bianconi war am Ende seiner nervlichen Kräfte und erhielt für die zweijährige Sisyphus-Arbeit 1000 Scudi. Immerhin besaß August jetzt auch einen „großen Raffael“ und konnte so mit den anderen Fürsten konkurrieren, die gleichfalls als passionierte Sammler teurer Renaissance-Gemälde auftraten.

Doch war das inzwischen in der sächsischen Residenz zu bewundernde Madonnen-Bild tatsächlich mit dem identisch, welches der begnadete Künstler 1512/13 gemalt hatte? Stutzig macht hier der Umstand, dass die Ordensleute in San Sisto erst lange auf Zeit spielten und dann plötzlich recht schnell in den Kauf einwilligten. Lag das wirklich nur an ihrer immer stärker drückenden Geldnot? 

Auf jeden Fall blieb die Altarwand in der Klosterkirche nicht kahl. Dort hing ab 1754 eine angebliche Kopie des Raffaels, welche der aus Piacenza stammende Maler Pietro Antonio Avanzini im Jahre 1730 angefertigt haben soll. Allerdings existieren keinerlei sichere Belege dafür, dass das Bild, welches heute in San Sisto zu sehen ist, wirklich von ihm stammt. 

Und warum sollten die finanziell chronisch klammen Mönche schon 24 Jahre vor dem zunächst keineswegs geplanten Verkauf der Madonna eine mit Sicherheit auch recht kostenintensive Kopie bestellt haben? Könnte es nicht vielmehr sein, dass der Auftrag erst 1752 erging und der Verhandlungsmarathon so lange in die Länge gezogen wurde, bis ein anderer, unbekannt gebliebener Kopist seine Arbeit beendet hatte? Wonach man Bianconi dann das deutlich weniger wertvolle Duplikat unterschob? 

Solcherlei Vermutungen kursierten unter Kennern bereits im 18. Jahrhundert und fanden auch Eingang in das 1901 erschienene Standardwerk „Der Raritätenbetrug“ aus der Feder des österreichischen Strafrechtlers Hans Gross, der als Begründer der wissenschaftlichen Kriminalistik gilt.

Doch damit nicht genug: Die „Sixtinische Madonna“ von Dresden hat sogar noch eine zweite Doppelgängerin, welche nachweislich aus dem 16. Jahrhundert stammt. Sie befindet sich heute in dem 1896 eröffneten Luxus-Hotel „Badrutt’s Palace“ in St. Moritz. Dessen erster Besitzer Johannes Badrutt aus dem Oberengadin will das Bild 1883 im süditalienischen Reggio di Calabria im Stall einer entfernten Verwandten entdeckt haben. Wer sein Maler war, ist nach wie vor ungeklärt, und es wurde bisher ebenso wenig mit aller gebotenen fachmännischen Gründlichkeit untersucht wie die angebliche Kopie in San Sisto. 

Trotzdem besteht man in der sächsischen Landeshauptstadt vehement darauf, im Besitz des Originalgemäldes von Raffael zu sein. Was auch verständlich ist, denn der Beweis des Gegenteils würde die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden noch um einiges härter treffen als der kürzlich erfolgte Juwelenraub im Grünen Gewölbe.

Ausstellung Neben der „Sixtinischen Madonna“ ist in der neu rekonstruierten Gemäldegalerie Alte Meister des Dresdner Zwingers bis 30. August auch die Sonderausstellung „Raffael – Macht der Bilder“ zu sehen. Die Sempergalerie ist täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr geöffnet sowie freitags von 17 bis 20 Uhr, Eintritt: 14 Euro, Online-Kartenverkauf: shop.skd.museum