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03.07.20 / Cholera in Braunsberg / „Gott gebe, dass sie uns bald verlasse“ / Der Braunsberger Arzt Jacob Jacobson bekämpfte aufopferungsvoll die Epidemie von 1831 – Die Stadt setzte ihm ein Denkmal

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27 vom 03. Juli 2020

Cholera in Braunsberg
„Gott gebe, dass sie uns bald verlasse“
Der Braunsberger Arzt Jacob Jacobson bekämpfte aufopferungsvoll die Epidemie von 1831 – Die Stadt setzte ihm ein Denkmal
Bettina Müller

In der letzten Zeit hörte jede Geselligkeit auf, denn du hast keine Idee, wie sehr die Cholera jeden Frohsinn, jede Tätigkeit hemmte, die ganze Stadt in einen Trauerflor hüllte.“ 2020 könnte man in diesen 1848 von Fanny Jacobson, der Ehefrau des Braunsberger Arztes Jacob Jacobson, an ihre Tochter Sara gerichteten Zeilen das Wort „Cholera“ vielerorts durch „Corona“ ersetzen. Die Wörter klingen tatsächlich auch ein wenig ähnlich. Sie sind grausame „Seelenverwandte“, die dennoch unterschiedliche Ursachen haben. Ist Corona eine Viruserkrankung, wird die Cholera durch im Wasser lebende Bakterien verursacht, die starken Durchfall mit Erbrechen bis hin zum Tod auslösen können, wenn der extreme Wasser- und Nährstoffmangel nicht ausgeglichen werden kann.

Fanny Jacobson schrieb damals viele verzweifelte Briefe an Verwandte und Freunde, in denen sie die dramatischen Umstände der mehrmals in Braunsberg wütenden Cholera eindringlich beschrieb, immer auch in der großen Sorge um ihren Ehemann, der sich ohne Rücksicht auf seine eigene Gesundheit der Seuche entgegenstemmte und dennoch viele Menschen nicht mehr retten konnte.

Dramatische Umstände

Im Jahr 1831 war die Cholera Braunsberg von Danzig aus zum ersten Mal gefährlich nahegekommen. Die Prophezeiung von Jacobsons Bruder Ludwig, der als Arzt in Königsberg wirkte, hatte sich bewahrheitet: „Lange werdet auch ihr Braunsberger nicht verschont bleiben.“ 

Die Regierung reagierte schnell, weil man Epidemien verschiedener Arten wie Pest, Cholera, Scharlach und Diphterie schon häufiger erlebt hatte. Zügig bildeten sich Sanitätskommissionen, die beratend tätig wurden, wie es heute unter anderem die Virologen tun. Per Gesetz wurden Maßnahmen angeordnet, deren Nichtbefolgen schlimmstenfalls mit dem Tod durch Erschießen durch Wachposten enden konnte, wenn jemand unberechtigt eine Sperrlinie durchbrach, wie Paragraf 2 des vom König von Preußen herausgegebenen Gesetzes vom 15. Juni 1831 dokumentierte, das über die „Bestrafung derjenigen Vergehen, welche die Übertretung der zur Abwendung der Cholera erlassenen Verordnung“ Auskunft gab. 

Zum Glück ist man heute etwas milder gestimmt und ein Übeltäter zahlt für einen Regelverstoß nicht mehr mit seinem Leben, sondern mit einer hohen Geldstrafe. Die Regierung hatte es mit den Ermländern nicht so einfach. Die Bewohner der überwiegend ländlichen Gegend waren oft stark abergläubisch und der „Pöbel“, wie Ludwig Jacobson an seinen Bruder schrieb – gemeint waren die unteren Schichten der Gesellschaft –, betrachtete Lazarette als „Sitz höllischer Qualen“, scheute sie deshalb wie der Teufel das Weihwasser und verbreitete so das Bakterium weiter. Anordnungen der Ärzte wurden nicht eingehalten, äußere Mittel und Getränke nicht eingenommen, weil viele Menschen glaubten, auf diese Weise vergiftet zu werden. Andererseits wurde versucht, aus der Tragödie Profit zu schlagen und die Angst der Menschen auszunutzen. Angebliche Heilmittel wurden für viel Geld verkauft, so veräußerte der Schuhmacher Hamann aus Danzig-Heubude selbst gebraute „Wundertropfen wider der Cholera“. Dabei hatte jede Gegend ihre ganz eigenen „Heilmittel“. 

Die Königsberger Ärzteschaft schwor auf Senfwein, warme Umschläge und Tinkturen, während es in der Rheinprovinz einen Ansturm auf Kardamom und Wacholderbeeren gab, die man kauen sollte, um sich danach die Hände mit verdünntem Essig zu waschen und am besten auch noch Tabak zu rauchen. 

Heute noch aktuelle Maßnahmen

Maßnahmen, die heutzutage aktuell sind wie nie zuvor, wurden der Bevölkerung auferlegt und so ihre persönliche Freiheit eingeschränkt: Absperrung infizierter Gebiete, Einwanderungskontrollen, Desinfektion, damals noch mit Chlor-Räucherungen. Das Wissen über die Seuche war damals noch äußerst begrenzt, vor allem, was die Ursache anging. Erst 1883 sollte der Bakteriologe Robert Koch als Entdecker des Cholerabazillus gefeiert werden. Weitgehend unbeachtet geblieben war jedoch, dass bereits 1854 der italienische Arzt Filippo Pacini (1812–1883) den Erreger eindeutig nachweisen konnte. 

Die Fachwelt ignorierte seine Entdeckung jedoch sehr lange, weil man sich einig war, dass die Cholera nur über die Luft verbreitet wurde. Erst 1965 wurde Pacini posthum für seine Entdeckung geehrt und der Cholera-Erreger offiziell in „Vibrio cholerae Pacini 1854“ umbenannt, der daran schuld war, dass auch in Braunsberg, wie in vielen anderen ostpreußischen Orten auch, von 1831 bis 1873 mehrere Cholera-Epidemien wüteten. 

Mehrere Epidemien in Ostpreußen

Unermüdlich muss Jacobson damals von Patient zu Patient geeilt sein, wofür er 1853 völlig zu Recht zum Ehrenbürger der Stadt Braunsberg ernannt wurde. Mittlerweile hat die Stadt auf Veranlassung der „Vereinigung der Freunde Braunsbergs“ (Towarzystwa Milosników Braniewa) eine Gedenktafel zu Ehren des verdienstvollen Arztes errichtet, der nur ein Lebensalter von 51 Jahren erreichte, weil er seine eigene Gesundheit zugunsten der Cholera-Kranken zurückstellte. 

Nach Jacobsons Tod kehrte die Cholera 1866 erneut zurück, bei der innerhalb kürzester Zeit allein 264 Mitglieder der katholischen Gemeinde starben. 1873 raffte sie 300 Mitglieder innerhalb von fünf Wochen dahin. Es sollten noch viele Jahre vergehen, bis die Cholera bekämpft war, wenn auch nicht vollständig. Vereinzelt traten immer mal wieder Fälle auf, zum Beispiel 1990 in Rumänien. 

Die Cholera-Epidemien haben das Leben des Braunsberger Arztes Jacobson stellenweise maßgeblich beherrscht und auch er griff gelegentlich zur Feder, um sein Herz auszuschütten: „Eine fürchterliche Zeit, die mir nicht sobald aus der Erinnerung schwinden wird.“ Doch angebracht ist jetzt dieses Schlusswort, ebenfalls aus Jacobsons Korrespondenz: „Nun genug von dieser schaudervollen Zeit.“