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03.07.20 / Reiseliteratur / Reise in eine unbekannte Gegend / Der Pole Andrzej Stasiuk fand in den Beskiden, einem Ausläufer der Karpaten und Grenzland zwischen Polen und der Slowakei, eine Heimat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27 vom 03. Juli 2020

Reiseliteratur
Reise in eine unbekannte Gegend
Der Pole Andrzej Stasiuk fand in den Beskiden, einem Ausläufer der Karpaten und Grenzland zwischen Polen und der Slowakei, eine Heimat
Dirk Klose

Auch dieser einsame Winkel gehört zur EU – die Beskiden, der Ausläufer der Karpaten zwischen Polen und der Slowakei. Der polnische Autor Andrzej Stasiuk hat sich diese Gegend zur Heimat gewählt und sie in virtuoser Manier zum Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen und persönlicher Empfindungen gemacht. In jungen Jahren ein enfant terrible der polnischen Literatur, ist er heute so etwas wie deren Senkrechtstarter, der längst auch in westlichen Ländern viele Leser hat. 

In knapp 80 Episoden vergegenwärtigt Stasiuk beispielhaft an seiner Heimat soziale Entwicklungen und Verhaltensweisen seit der politischen Wende in Europa. Die Moderne dringt unaufhaltsam auch in entfernteste Winkel, was sich an früher nie gekannten Supermärkten und Betonburgen zeigt. Daneben aber gibt es die alte traditionelle Welt – Dörfer mit immer weniger Einwohnern, urtümliche Landschaften mit Flussläufen und Tälern, deren Schönheit Stasiuk meisterhaft schildert, ein Grenzland, das heute nicht mehr von den Staatsgrenzen Polens und der Slowakei getrennt wird, sondern nur noch durch die der Ukraine, obwohl ein langes Zusammengehörigkeitsgefühl die Menschen hüben und drüben verbindet.

Und dann nimmt der Autor seine Leser mit in die weite Welt. Zu seinen großen Bucherfolgen gehören Reiseberichte aus Südosteuropa, Russland und Innerasien. Hier sind es Impressionen vom Kaspischen Meer („die materialisierte Ruhe“), vom Altai, vom Ural und schließlich von Kasachstan mit seiner neuen Hauptstadt Astana. Und er findet die früher in keinem Atlas verzeichnete Militärstadt Tschagan, von wo im Kriegsfall russische Atombomber gegen Amerika gestartet wären. Heute ist die Stadt verlassen. Seine Reiseleidenschaft, seine Faszination für die Steppe führt Stasiuk zu dem Fazit: „Es gibt Orte, an denen man das Gefühl hat, am Ende angekommen zu sein. Am Ende des Landes, am Ende der Zeit.“

Diese Mischung aus Realitätssinn und poetischem Ausdruck macht diese Miniaturen so lesenswert. Es herrscht ein freundlich-melancholischer Grundton. Nur gelegentlich wird es giftig, etwa wenn der Autor, in dessen Heimat noch immer eine Fülle von kleinen Holzkirchen, würdig eines UNESCO-Kulturerbes, zu bewundern ist, daneben stehende moderne Kirchen attackiert. Westlichen Lesern klingt es wie eine Bitte um Nachsicht, warum man nie Europäer sein wollte: „Reichte uns doch kaum die Kraft, um unser Polentum, Ungarntum, Slowakentum zu verteidigen. Es nahm uns vollkommen in Anspruch. Für etwas anderes hatten wir keine Zeit.“ 

Andrzej Stasiuk: „Beskiden-Chronik. Nachrichten aus Polen und der Welt“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, gebunden, 304 Seiten, 23 Euro