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03.07.20 / Für Sie gelesen / Identität eines Grenzlandes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27 vom 03. Juli 2020

Für Sie gelesen
Identität eines Grenzlandes
Bodo Bost

In seinem Buch „Grenzland und Erinnerungsland. Die Identität des Elsass im Werk Marie Harts (1856–1924)“ gibt Raphael Fendrich einen interessanten Einblick in die Seele des Elsass. Die Frage nach der Identität des Grenzlandes Elsass und der Elsässer ist seit der Entstehung der Nationalstaaten immer aufs Neue gestellt worden. Seit dem Versuch der französischen Regierung, die Region 2015 durch eine Gebietsverwaltungsreform als politische Größe abzuschaffen, hat diese Frage an Brisanz gewonnen und zu Zugeständnissen der französischen Zentralmacht an die regionale Identität geführt. 

Von daher bietet ein Blick darauf, wie diese Identität entstanden ist, wie es Fendrich in seiner Dissertation versucht zu vermitteln, ein tieferes Verständnis des umstrittenen „Grenzlandes“ zwischen Rhein und Vogesen. Ähnlich wie in Luxemburg, wo sich Deutsche und Franzosen nicht einigen konnten, zu welchem Kulturkreis der Landstrich gehört, hatte im Elsass eine Rückbesinnung auf den eigenen Dialekt eingesetzt, der vor allem ab 1870, nachdem es an Deutschland gefallen war, zu einer eigenen elsässischen Literatur führte. Anthologien und Wörterbücher wurden veröffentlicht, elsässische Theater gegründet, und das Elsässische Museum in Straßburg bemühte sich um den Erhalt der Alltags- und Regionalkultur. 

Vor diesem Hintergrund entstand das Werk der aus einer unterelsässischen Apothekerfamilie in Buchsweiler stammenden Marie Harts, die den Wechsel der staatlichen Zugehörigkeit des Elsass nach dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg sowie die sozialen Folgen wie Vertreibung, Flucht und identitären Wandel in der Bevölkerung in ihrem literarischen Werk verarbeitet hat. Sie war eine der Ersten, die im „Elsässer Ditsch“, also dem als Elsässerdeutsch bezeichneten Dialekt zu schreiben begann. Nach dem Krieg von 1870/71 schlug ihr Herz zunächst französisch, besser gesagt „antipreußisch“. Das änderte sich in der Reichslandzeit, auch bedingt durch ihre Ehe mit einem württembergischen Offizier.

Die Besetzung des Elsass durch die Franzosen 1918 und die Ausweisung von 150.000 Altdeutschen und deutsch gesinnten Alt-Elsässern, zu denen Hart mittlerweile gehörte, bedeuteten einen tiefen Wendepunkt in ihrem Leben. Viele Elsässer identifizierten sich nicht mehr mit den Franzosen, weil sie in den Franzosen von 1918 nicht mehr die von vor 1870 erkannten, die regionale Identitäten respektierten. Hart schrieb in Bad Liebenzell die Erzählung „Üs unserer Franzosezit“. Nach ihrem Tod war Hart in Vergessenheit geraten, bis der ebenfalls aus Buchweiler stammende Maler und Journalist Raymond Piela, der für die Elsässisch-Sendungen des lokalen Radios zuständig war, seit 2004 begann, ihr Werk im Elsass neu zu veröffentlichen. Dies geschah im Kontext einer Renaissance regionaler Identität auch im Elsass. 

Raphael Fendrich: „Grenzland und Erinnerungsland: Die Identität des Elsass im Werk Marie Harts (1856–1924)“, Ergon Verlag, Baden-Baden, 2018, broschiert, 546 Seiten, 68 Euro