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10.07.20 / Schwarzgewaschener Franz / Filmtheater öffnen langsam wieder – Nach drei Anläufen kommt „Berlin Alexanderplatz“ in die Kinos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28 vom 10. Juli 2020

Schwarzgewaschener Franz
Filmtheater öffnen langsam wieder – Nach drei Anläufen kommt „Berlin Alexanderplatz“ in die Kinos
Harald Tews

Ist es ein Sakrileg, die Figur des Franz Biberkopf mit einem Schwarzafrikaner zu besetzen? In seinem 1929 erschienenen Roman „Berlin Alexanderplatz“ hat Alfred Döblin den aus dem Tegeler Knast entlassenen Romanhelden, der im Bemühen, ein „anständiger Mensch“ zu werden, durch das Berlin der 1920er Jahre schlingert, als blonden, pummeligen Germanen geschildert. Genauso erkannte man ihn in den ersten beiden Verfilmungen wieder: 1931 wurde er von Heinrich George verkörpert und 1980 in Rainer Werner Fassbinders 14-teiliger TV-Serie von Günter Lamprecht.

In den kunterbunten 2020er Jahren aber ist alles anders. In einer Hollywood-Neuverfilmung von „Arielle, die Meerjungfrau“, die auf Hans Christian Andersens Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ basiert, wird die dunkelhäutige Schönheit Halle Berry die sehr dänische Nixe spielen. Umgekehrt wird es ein Problem, wenn hellhäutige Akteure Indianer und Asiaten spielen oder – um Himmels Willen! – sich schwarze Schuhcreme ins Gesicht schmieren, um Othello zu mimen.

Das „Red-, Yellow- oder Blackfacing“ – je nach angeeigneter Hautfarbe – ist in der Unterhaltungsindustrie längst tabu. Das Reizwort, das die Empörungsmaschine des überempfindlichen Moralbürgers jetzt anwirft, lautet „Whitewashing“: die kulturelle Aneignung der Weißen von nicht-weißen Eigenschaften und Traditionen. Wer europäischer Abstammung ist, darf keine 

Dreadlock-Frisur, keinen Kimono oder zu Fasching keine Indianerhaube tragen.

Von „Blackwashing“ war bislang nicht die Rede. Dabei sind Afroamerikaner in Anzügen, also der Herrenmode europäischer Kultur, völlig normal. Und das sollte es auch bleiben, solange man umgekehrt bei der Debatte um „kulturelle Aneignung“ endlich einen Gang zurückschaltet.

Heute wird sich kaum jemand darüber aufregen, dass der Franz Biberkopf von einem Schauspieler aus dem afrikanischen Staat Guinea-Bissau verkörpert wird. Welket Bungué heißt er, ist in Portugal aufgewachsen, lebt aber inzwischen in Berlin und wirkt mit seiner athletischen Figur eher wie ein Zehnkämpfer denn ein Prekariatsarbeiter. Um das Klischee einer multikulturellen Welt auf die Spitze zu treiben, ist dieser erst Francis, dann Franz genannte Beau ein Immigrant, der es übers Mittelmeer bis nach Berlin geschafft hat, dort in einer Asylunterkunft haust und vom windigen Menschenfänger Reinhold auf die schiefe Bahn gebracht wird, wobei er nach einer Diebestour bei einem Unfall den Arm verliert.

Berlin bleibt Nebensache

Soweit lassen sich tatsächlich Handlungsparallelen zum Roman erkennen, von einer Romanverfilmung kann man aber nicht sprechen. Von einer Verballhornung aber auch nicht. Regisseur und Autor Burhan Qurbani, in Deutschland als Sohn afghanischer Flüchtlinge aufgewachsen, der 2015 in „Wir sind jung. Wir sind stark“ die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen pflichtbewusst dramatisierte, hatte als Schüler Döblins Roman gelesen und seither die Idee verfolgt, Motive des Buches für einen Film zu verwenden.

Um es klar zu sagen: Qurbani interessiert sich für Berlin nicht die Bohne. Das, was die Modernität des Romans ausmacht, nämlich die Schilderung des quirligen Großstadtlebens durch die Verwendung der von John Dos Passos und James Joyce eingeführten Stilmittel wie Montagetechnik oder Innerer Monolog, spielen in diesem Film überhaupt keine Rolle.

Geschadet hätte es nicht, sonst hätte die dreistündige Spielfilmzeit abwechslungsreicher gestaltet werden können. So hockt dieser dunkelhäutige Franz leicht lethargisch auf einer Baustelle, in der Wohnung seiner Prostituierten Mieze oder dem Drogenumschlagplatz vom Volkspark Hasenheide. Allzu knüppeldick drückt Qurbani dem Publikum aufs Auge, wie aus diesem Francis/Franz ein anständiger Mensch hätte werden können, wenn man ihm nur die Chance dazu gegeben hätte. Unterstützt wird das mit Off-Kommentaren, die sich an die Kapitelanfänge in Döblins Roman anlehnen.

Und trotzdem funktioniert die Idee, aus Franz Biberkopf zeitgeistgemäß einen schwarzen Asylsucher zu machen, ganz gut. Das liegt vor allem an der sensiblen Ensembleführung. Die Kamera ist immer dicht dran an den Emotionen und Handlungen der Figuren. Heimlicher Star ist dabei Albrecht Schuch, der den Kleinganoven Reinhold mit mephistophelischen Verrenkungen spielt. Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises wurde er für die beste männliche Nebenrolle geehrt, der Film selbst kam nach Nora Fingscheidts „Systemsprenger“ auf Platz zwei.

Nach drei coronabedingten Verlegungen des Kinostarts könnte dieser schwarzgewaschene „Berlin Alexanderplatz“ vom 16. Juli an die Nummer eins in den Kinocharts zu werden. Für die Zukunft des Kinos muss man nach allmählicher Wiedereröffnung der Säle trotz Pflicht zum Abstandhalten nicht ganz schwarzsehen.