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10.07.20 / Stadtjubiläum / Über sich hinausgewachsen / Freiburg im Breisgau wollte im Juli den 900. Jahrestag seines Stadtrechts feiern – Es fällt wegen Corona aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28 vom 10. Juli 2020

Stadtjubiläum
Über sich hinausgewachsen
Freiburg im Breisgau wollte im Juli den 900. Jahrestag seines Stadtrechts feiern – Es fällt wegen Corona aus
Bettina Müller

Lässt man am Freiburger Münster die Blicke nach oben schweifen, so könnte man annehmen, dass man sich in Sodom und Gomorrha befindet und nicht im Schwarzwald. Etliche in Stein gemeißelte, oft äußerst gruselig anmutende (Phantasie-)Tiere, aber auch Menschen in zum Teil sehr unvorteilhaften Posen, ragen waagerecht und keck an verschiedenen Stellen an den Außenbauwerken hervor. Sie sind als Wasserspeier Teil eines ausgeklügelten Entwässerungssystems, um das altehrwürdige Gemäuer der von zirka 1200 bis 1513 entstandenen Stadtpfarrkirche von Freiburg im Breisgau vor schädlichem Regenwasser zu schützen. 

Über die Entstehung der mitunter auch sehr derben Darstellungen in schwindelerregender Höhe – berühmt ist zum Beispiel der „Hinternentblößer“ mit zwei Köpfen – streiten sich die Fachleute bis heute, weil die Steinmetze kaum etwas Schriftliches hinterlassen haben. So rätselt der Besucher über viele der schauerlichen Wesen, fragt sich, warum der Mensch da oben skelettiert ist und sich verzweifelt an den Schädel fasst, der andere eine Grimasse schneidet oder der da hinten wiederum zwei Köpfe hat. 

Was auch immer die Steinmetze damals zu ihren Kreationen bewegt haben mag, sei es nun, um Geister abzuwehren, zu mahnen, zu verspotten oder den Freiburgern ihre Laster vorzuhalten, die Ergebnisse ihrer Schaffensprozesse sind noch heute in mehr oder weniger gutem oder rekonstruiertem Zustand mit dem Freiburger Münster verschmolzen. 

Ein Fall für die Parapsychologie

Durch ihre Position in luftiger Höhe hat die merkwürdige Mischpoke uneingeschränkte Sicht auf die Stadt im Schwarzwald, der vor 900 Jahren von Herzog Konrad I. von Zähringen und seinem Bruder Berthold III. das Stadt- und Marktrecht verliehen wurde. Und eigentlich müsste man nun noch einen neuen Wasserspeier namens „Corona“ fest am Münster anbringen, denn sie ist daran schuld, dass die an diesem Juli-Wochenende geplanten Jubiläumsfeiern ausfallen müssen. 

Die Wasserspeier wachen seit Jahrhunderten über die viertgrößte Stadt Baden-Württembergs, die mit zu den wärmsten und sonnenverwöhntesten Gegenden Deutschlands gehört. Sollte jemand die merkwürdigen steinernen Gestalten real herumspuken sehen, so empfiehlt sich vor Ort ein Besuch der in Deutschland wohl einzigartigen „Parapsychologischen Beratungsstelle“ in der Hildastraße, die Menschen Hilfestellung leistet, die „ungewöhnliche, paranormale, okkulte oder unerklärliche Erfahrungen gemacht“ haben. 

Die beratungsresistenten Wasserspeier sehen derweil von oben – nicht ungnädig – eine Stadt mit knapp 230.000 Einwohnern, die sich vor allem Ökologie groß auf die Fahne geschrieben hat. Es ist kein Zufall, dass in der „Green City“ das Öko-Institut e.V. ansässig ist, das mittlerweile in Europa führend auf dem Gebiet der sogenannten Nachhaltigkeitsforschung ist. Durch das angenehme Ambiente mit seinen vielen Grünflächen herrscht eine fast mediterrane Atmosphäre, in der man entspannt durch die mittelalterlichen Stadttore wandeln kann, durch die Gassen der Altstadt oder über den Freiburger Wochenmarkt am Münster. 

Ältester Gasthof wird auch 900

Vorsicht ist des Nachts angeraten, und zwar nicht wegen der mysteriösen Wasserspeier. Die „Freiburger Bächle“, künstlich angelegte und vom Fluss „Dreisam“ gespeiste Wasserläufe, die die Altstadt wie ein Netz durchziehen, sollte man besser nicht nach übermäßigem Genuss des Hausbiers aus der in Freiburg beheimateten Ganter-Brauerei überqueren. Viele Höhepunkte der Stadt lassen sich gut mit der „StraBa“, der Freiburger Straßenbahn, erkunden, die zum Beispiel im ältesten Stadtteil „Oberlinden“ an einem der schönsten Plätze Freiburgs vorbeifährt. 

Und schon wieder hat ein Tier das Sagen: Im „Roten Bären“ in Oberlinden aus dem Jahr 1120 befindet man sich im wohl ältesten Gasthof Deutschlands. Abseits der Touristenpfade erreicht man mit der „StraBa“ zum Beispiel aber auch den Stadtteil Günterstal, wo die Schauinslandbahn den Aufstieg auf den Hausberg der Freiburger wesentlich erleichtert. 

Zurück am Hauptbahnhof herrscht zunächst wieder Verwirrung. Wieso sieht die Kirche da hinten aus wie der Limburger Dom? Schließlich ist der doch in Hessen. Tatsächlich wurde die Herz-Jesu-Kirche in den Jahren 1892 bis 1897 stilistisch stark dem imposanten hessischen Vorbild angepasst, auch um den damals neuen Stadtteil „Stühlinger“, in dem sich die Kirche befindet, Prestige zu verleihen. Aufatmen, Erleichterung, alles richtig gemacht: Man ist in Freiburg. 

Wegen den Corona-Maßnahmen hat man das Jubiläumsprogramm abspecken müssen. Einzelheiten dazu unter der Internetadresse www.2020.freiburg.de