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10.07.20 / Völkerkunde / Handlanger des Imperialismus? / Um das koloniale Erbe wird heftig gestritten – Der US-Historiker Glenn Penny beschreibt den humanen Geist von Völkerkundlern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28 vom 10. Juli 2020

Völkerkunde
Handlanger des Imperialismus?
Um das koloniale Erbe wird heftig gestritten – Der US-Historiker Glenn Penny beschreibt den humanen Geist von Völkerkundlern
Dirk Klose

In Berlin sind Flughafen (BER) und Schloss (Humboldtforum) auf der Zielgeraden. Während der BER nun wohl wirklich im Oktober starten kann, wird das Humboldtforum Ende des Jahres teileröffnet. Dann werden zahlreiche völkerkundliche Schätze eingezogen sein. Erstaunlich dabei, dass dieser Vorgang eher wütende Reaktionen auslöst. Völkerkundler seien Handlager des Imperialismus, ihre durch Raub und Plünderung ergatterten Objekte müssten zurückgegeben werden, so die Kritiker. 

Das erstaunt etwas, denn gerade die Völkerkundler haben sich, wie der US-Historiker H. Glenn Perry (University of Iowa) zeigt, dem humanen, kosmopolitischen Geist eines Alexander von Humboldt immer verpflichtet gefühlt. Das 19. Jahrhundert war geradezu deren goldenes Zeitalter, wie es in zahllosen Forschungsreisen und Museumsgründungen zum Ausdruck kam. 

Drei herausragende Forscher

Penny nennt drei herausragende Namen: Adolf Bastian (1826–1905) und Felix von Luschan (1854–1924), die das berühmte Museum für Völkerkunde in Berlin gegründet und zum größten seiner Art ausgebaut hatten, sowie Franz Termer (1894–1968), erster Direktor des heutigen Museums für Kulturen und Künste der Welt in Hamburg. Penny erzählt in einem spannenden, mitunter an Karl May erinnernden Stil von deren Forschungsreisen. Sie führten besonders Bastian durch alle Welt mit überwältigenden wissenschaftlichen und materiellen Ergebnissen. Termer war manche Jahre mehr in Guatemala als zu Hause. Und Luschan war 1897 wie ein Spürhund den ersten Benin-Bronzen hinterhergejagt. Er sicherte Berlin in virtuoser Geschäftigkeit den weltgrößten Besitz. 

Die NS-Zeit überstand die Ethnologie halbwegs unbeschadet, weil das Regime an ihr nicht sonderlich interessiert war. Trotz Kriegsverlusten konnte besonders der Westteil Berlins mit den großen Museumstrakten in Dahlem wieder an frühere Größe anknüpfen. Das Humboldtforum wird demnächst Heimat der meisten Objekte. Penny sieht darin eher „nationalistische Symbolik“. Er plädiert für eine Forschungs- und Begegnungsstätte, um die Geschichte der Menschheit gerade in Zeiten der Globalisierung besser begreifen zu können.

Der Ferne wohnt offenbar ein Zauber inne – er trieb schon damals viele Forscher hinaus. Mit Bewunderung verfolgt der Leser deren wissenschaftliche und organisatorische Fähigkeiten (wie mühsam war es, Objekte heil nach Hause zu bringen!) und ihre zutiefst humanen Ziele (Luschan: „Es gibt keine an sich minderwertigen Rassen“). Die Urteile des Autors über das Berliner Schloss mag man einseitig finden. Die Frage ist halt, wie wir mit dem kolonialen Erbe in unseren Museen umgehen wollen. 

H. Glenn Penny: „Im Schatten Humboldts. Eine tragische Geschichte der deutschen Ethnologie“, C.H. Beck Verlag, München 2019, gebunden, 287 Seiten, 26,95 Euro