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10.07.20 / Ein deutscher Jahrestag / Das Plebiszit der Ost- und Westpreußen am 11. Juli 1920 und die zarte Pflanze des Selbstbestimmungsrechts der Völker

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28 vom 10. Juli 2020

Ein deutscher Jahrestag
Das Plebiszit der Ost- und Westpreußen am 11. Juli 1920 und die zarte Pflanze des Selbstbestimmungsrechts der Völker
Manfred Kittel

Auf dem Stimmzettel hatte man sich im Juli 1920 nur zwischen Polen und Ostpreußen zu entscheiden, nicht zwischen Polen und Deutschland. Die Regierung in Warschau hatte gehofft, Ostpreußen so im Falle einer Abstimmungsniederlage – ähnlich wie Danzig – zumindest noch als eine Art Freistaat vom Deutschen Reich abspalten zu können. Das Wort „Deutschland“ stand deshalb, wie gesagt, im Juli 1920 gar nicht auf dem Stimmzettel. Aber: Alle Menschen in Ost- und Westpreußen wussten genau, dass sie für den Verbleib ihrer Heimat beim Deutschen Reich stimmen würden, wenn Sie in der Wahlkabine das Wort „Ostpreußen“ ankreuzten. Und so kam es dann auch – mit den bekannten Ergebnissen. 97,5 Prozent beziehungsweise 92,4 Prozent in den beiden ost- beziehungsweise westpreußischen Abstimmungszonen für den Verbleib bei Deutschland. 

Beschränkte Sicht auf die Geschichte

Heute gehören diese Gebiete gleichwohl zu Polen, zu einer – zwischenzeitlich Gottseidank demokratischen – polnischen Republik. Der Grund dafür ist die von Stalin geforderte und von der Potsdamer Konferenz der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs im Sommer 1945 beschlossene Westverschiebung Polens. Der Wunsch Moskaus nach Reparationen war nach Hitlers mörderischem Vernichtungskrieg historisch erklärbar: Nur weshalb musste es unbedingt so viel Land sein? Die große Sowjetunion litt zwar an sehr vielem, an einem Mangel an Land aber doch gewiss nicht. Nach Hitlers Krieg war es Moskau allerdings ein Leichtes, für eine polnische Westverschiebung zu Gunsten Sowjetrusslands die Zustimmung der Westmächte zu erhalten. Und so kam schließlich auch der Süden Ostpreußens trotz seines „demokratischen Bekenntnisses zu Deutschland“ von 1920 (Walter Hubatsch) und obwohl er großenteils seit dem Frieden vom Melnosee 1422 über 500 Jahre lang Teil des Deutschordensstaates, Preußens und des Deutschen Reiches gewesen war, doch noch zu Polen – damals freilich zu einem kommunistischen Nachkriegspolen. 

Unter normaleren Umständen hätte ich dieser Tage auf der Reise nach Allenstein mit meiner Familie auch an der Wolfsschanze Station gemacht, in Erinnerung an ein anderes historisches Datum, an den 20. Juli 1944 und die mutige Tat des Grafen Claus von Stauffenberg. Was ein gesamtdeutsch denkender Mann wie Stauffenberg wohl zu der aktuellen Diskussion um den 8. Mai 1945 sagen würde? Denn es ist ja schon eine arg beschränkte Perspektive, diesen Tag allein auf den Nenner der sogenannten „Befreiung“ zu reduzieren, historisch-politisch, geographisch beschränkt, nämlich ganz und gar westdeutsch beschränkt. Sicherlich, für den Westen Deutschlands stimmt es weitgehend. Der 8. Mai 1945 bedeutet hier nicht nur die Befreiung der KZ-Opfer, er bot auch die Chance, unter der konservativen Staatsführung Konrad Adenauers den besten Staat der deutschen Geschichte aufzubauen. 

Aber: Für das alte Ostpreußen, für Schlesien, für die meisten der jahrhundertealten Staats- und Siedlungsgebiete der Deutschen im Osten war dieser 8. Mai 1945 eben alles andere als ein Tag der Befreiung. Es war der Tag der Vernichtung. Deshalb sprach unser erster Bundespräsident Theodor in diesem Kontext völlig zu Recht davon, dass die Deutschen „erlöst und vernichtet in einem“ gewesen seien. Und auch für die Völker jenseits des bald niedergehenden Eisernen Vorhangs, die nur vom braunen in den roten Totalitarismus wechselten, von Ungarn bis zum Baltikum, konnte von Befreiung doch keine Rede sein.

Die beschränkten Perspektiven deutscher Erinnerungskultur haben, denke ich, nicht zuletzt damit zu tun, dass man Ereignisse wie zum Beispiel diesen 11. Juli 1920 außerhalb der Landsmannschaften heute oft so gar nicht mehr auf dem Schirm hat. Und das gilt auch für andere Ereignisse, die daran erinnern, dass zur Singularität der NS-Zeit eben auch der singuläre Gebietsverlust gehört, der für Deutschland darauf folgte. Wie weit das heute alles weg ist, sei an einer Episode veranschaulicht.

Propaganda beider Seiten

Heute löst bei vielen Deutschen, vor allem wenn sie fußballbegeisterte Anhänger des FC Bayern München sind, der in Polen verbreitete Name Lewandowski die wärmsten Gefühle aus. 1920 war das überhaupt nicht so. Der Herr Lewandowski von damals hieß auch nicht Robert wie der Bayern-Stürmer von heute , sondern Zenon. Dieser Zenon Lewandowski war in der Zeit vor der Abstimmung einer der eifrigsten Propagandisten für die polnische Seite, später dann erster Generalkonsul in Allenstein. 1919 hatte er bereits die sogenannte Masuren-Deputation der polnischen Regierung in Paris angeführt, mit der die Siegermächte des Ersten Weltkriegs davon überzeugt werden sollten, dass die masurischen Kleinbauern wegen ihres altpolnischen Dialekts vom vermeintlichen „deutschen Joch“ befreit werden müssten. 

Eng an Zenon Lewandowskis Seite damals: der Generalsuperintendent der sehr, sehr kleinen Evangelischen Kirche Polens. Der hätte die evangelischen Masuren gern eingemeindet, um seine kleine Herde wenigstens etwas zu vergrößern. Deshalb unterschrieb er im April 1919 den legendären Aufruf „An unsere masurischen Brüder“. „Fürchtet euch nicht“, so hieß es in dem Aufruf, „die Vereinigung mit Polen verbürgt euch nicht nur geringere Steuern, weil ihr nicht die Kosten des (Welt-)Krieges zu zahlen haben werdet, den die … Deutschen so schmählich verloren haben“. Weiter war in dem Aufruf zu lesen: „Überall werdet ihr unsere teuren polnischen Laute, polnische Sitte, polnische Schulen, Ämter haben, zugleich polnische Predigten in der Kirche“; also: „Stimmt alle für Polen“. 

Deutscherseits hielt man dem – etwa im Masurischen Heimatkalender – den ideellen Wert der Treue zum Vaterland entgegen. In einem ABC für das Abstimmungsgebiet hieß es zudem, es sei doch einfach wahr, dass Polen in der Kultur „hinter uns zurückstehet“. Fast zwei Drittel in Polen könnten weder lesen noch schreiben; die große Masse lebe in Elend und Schmutz. Man solle sich nur einmal die polnischen Dörfer und Städte ansehen. Wasserleitung und Kanalisation, die es in Deutschland selbst in kleineren Städten schon gebe, seien in Polen nach wie vor „unbekannte Dinge“. Und bei Seuchen würden die Menschen zu Tausenden sterben. Wo selbst solche Argumente nicht richtig zogen, da half gegebenenfalls ein kräftiger Schluck aus einem Vorrat von mehreren 100.000 Litern Schnaps etwas nach, den der ostpreußische Oberpräsident von Batocki während des Plebiszit-Wahlkampfs heimlich ins Abstimmungsgebiet hatte schmuggeln lassen.

Von größter Bedeutung war vor allem der sogenannte Ostdeutsche Heimatdienst. Er unterhielt Filialen in allen Kreisen des Abstimmungsgebietes. Die gesamte lokale Elite von den Pfarrern über die Gerichtsräte bis zu den Schuldirektoren war im Heimatdienst versammelt, um für die deutsche Sache zu werben. Übrigens nicht selten auch in polnischer Sprache. Ich erinnere nur an das bekannte Gedicht des Bauern Johann Gwiasda „Protest naprzeciw Polakom“. Weil aber gerade die jüngeren Masuren meist schon nicht mehr Polnisch lesen konnten, ging umgekehrt die polnische Propaganda auch dazu über, ihre politischen Positionen in deutschsprachigen Flugblättern zu verteilen. 

Ausschlaggebende Faktoren

Der polnischen Seite fehlte es allerdings vor allem auch an hinreichend zahlreichen Vertrauensleuten vor Ort. Die Einheimischen waren für die Sache Warschaus oft nur gegen Geld zu gewinnen; ansonsten kamen die meisten Propagandisten aus Polen selbst. Speziell im östlichen Masuren blieb die propolnische Organisation deshalb ganz schwach. Später ist manchmal das Argument zu hören gewesen, dass angesichts einer Wahlbeteiligung von 88 Prozent die restlichen 12 Prozent fast ausschließlich propolnische Bürger gewesen seien: Polen, die vom Psychoterror der deutschen Seite und von einzelnen Gewalttaten nur derart eingeschüchtert gewesen seien, dass sie sich nicht mehr trauten, zur Wahl zu gehen. Selbst dann wären jedoch die summa summarum maximal 15 Prozent Stimmen für Polen immer noch eine kleine Minderheit gewesen. Die Zahl ist jedenfalls umso erklärungsbedürftiger, wenn man die Warschauer Argumentation von damals kennt, dass es sich bei den Masuren einfach nur um oberflächlich germanisierte Volkspolen handeln würde. 

Um das klare prodeutsche Ergebnis der Volksabstimmung zu verstehen, braucht es meines Erachtens aber gar keine besondere Interpretationskunst. Zunächst einmal ist zu sehen, dass aus der Perspektive des Sommers 1920 eigentlich beide Länder, Deutschland wie Polen, ziemlich riskante Vaterländer waren, alles andere als besonders attraktiv. Weimar-Deutschland würde die Reparationen für den Krieg des fahnenflüchtigen Kaisers bezahlen müssen. Die Revolution von 1918/19, den Kapp-Putsch vom März 1920 hatte das Land gerade eben erst hinter sich. 

Und Polen? Warschau durfte sich zwar als Sieger des Ersten Weltkriegs fühlen, dem das Land seine staatliche Wiederauferstehung nach über 100jähriger Teilung verdankte. Aber aktuell war damals völlig unklar, wie der polnische Krieg gegen Sowjetrussland ausgehen würde. Zeitweilig drohte die komplette Besetzung Polens durch die Rote Armee. Als am 11. Juli 1920 in Ost- und Westpreußen gewählt wurde, war die Schlacht bei Warschau noch nicht geschlagen. Das Wunder an der Weichsel, das militärisch die Wende bringen sollte, fand erst einige Wochen später, im August 1920, statt. Stand also im Falle einer Mehrheit für Polen beim Plebiszit nicht sogar zu befürchten, dass die wehrfähigen Männer Masurens erneut in einen Krieg würden ziehen müssen? So gesehen waren damals weder Polen noch Deutschland erste Wahl. 

Das heißt aber auch, dass eben nicht kurzfristiges Kalkül, sondern die längerfristigen politischen Grundüberzeugungen der Masuren den Ausschlag geben sollten. Und hier war entscheidend, dass im Ergebnis eines halben Jahrtausends der Zugehörigkeit Masurens zu verschiedenen deutschen Staatsgebilden das nationale Bewusstsein auch sehr klar nach der deutschen Seite hin ausschlug. Man hat dabei auch zu berücksichtigen, dass nationales Denken damals oft noch sehr stark mit religiös-konfessionellem Denken zusammenhing. Evangelisch, das hieß in Masuren oft einfach auch: preußisch/deutsch. Und das war unter Umständen viel ausschlaggebender als die ethnische Herkunft. Allerdings sollte man auch nicht übersehen, dass selbst im Allensteiner Land, das ja nicht zum Ordensstaat, sondern zum katholischen Ermland gehört hatte, zwar nicht gleich 95 Prozent, aber immer noch ca. 85 Prozent für Deutschland bzw. für Ostpreußen votiert hatten, in der Stadt Allenstein sogar um die 98 Prozent. 

Das Selbstbestimmungsrecht 

der Völker

Ethnische Herkunft, sprachlich-konfessionelle Situation, historische Strukturen, mehr oder weniger objektive Faktoren oder subjektives politisches Bewusstsein, das alles waren mögliche Gründe einer Wahlentscheidung am 11. Juli 1920 – bei jedem Bürger individuell in einem etwas anderen, spezifischen Mischungsverhältnis. Damit sind wir bereits mittendrin in der Frage nach Sinn und Zweck des sogenannten Selbstbestimmungsrechts der Völker; eines Rechts, das damals nach dem Ersten Weltkrieg erst so richtig in Mode kam. 

Der wirtschaftlich stärkste Staat der Siegerkoalition, bald auch militärisch der stärkste, waren die USA. Ihr Präsident Woodrow Wilson hatte den Eintritt der USA in den Krieg nicht zuletzt als Kampf gegen die Autokratie und Despotie der Mittelmächte, Deutschland und Österreich-Ungarn, legitimiert. Die innere Demokratisierung Mittel- und Osteuropas wäre insofern ein sehr plausibles und auch ein ausreichend großes Friedensziel gewesen. 

Das Problem für Wilson war nur, dass ihm Wladimir Iljitsch Lenin, der Führer der russischen Oktoberrevolution, 1917 zuvorkam. Um die vom Zaren unterdrückten Völker und Volksgruppen von Finnland bis in den Kaukasus mittelfristig für die kommunistische Revolution zu gewinnen, hat Lenin ihnen das Blaue vom Himmel herunter versprochen. In mehreren Dekreten vom November 1917 wurde den in Russland lebenden Völkern das „freie Selbstbestimmungsrecht“ verheißen, einschließlich des Rechts auf „Absonderung und Bildung eines selbständigen Staates“. Lenin beschränkte sich auch nicht auf die Völker des Zaren, er dehnte dieses Selbstbestimmungsrecht in einer großen Kampfansage an die westlichen Demokratien auf alle Völker dieser Welt aus.

Wilson erkannte rasch, wie gefährlich und wie ansteckend Lenins Parole vom Selbstbestimmungsrecht sein konnte. Der US-Präsident versuchte deshalb, den Begriff des Selbstbestimmungsrechts jetzt selbst zu besetzen – erstmals in einer Rede vor dem US-Kongress im Februar 1918: Selbstbestimmung, das sei mehr als eine leere Phrase. Völker und Provinzen, so Wilson, würden künftig nicht mehr von einer Staatshoheit in eine andere herumgeschoben, so als ob es sich bloß um Gegenstände oder Steine in einem Spiel handeln würde.

Das Recht der Sieger

Das klang überzeugend. Doch die berühmten 14 Punkte, die Wilson schon einige Wochen vorher, im Januar 1918, verkündet hatte, waren in hohem Maße widersprüchlich. Das Gegenteil von Selbstbestimmungsrecht am Kriegsende ist das alte Siegerrecht, das bis dahin noch nach jedem Krieg letztlich vom Gewinner reklamiert worden war. Und von diesem Siegerrecht, das zeigten auch die 14 Punkte Wilsons, wollten oder konnten selbst die demokratischen Gralshüter in Washington nicht ganz lassen.

Wilson hatte dem neuen Polen einen freien und sicheren Zugang zur Ostsee versprochen. Im gleichen Atemzug hatte er aber betont, dass nur von unbestritten polnischer Bevölkerung bewohnte Gebiete dem neuen Staat angehören sollten. Das traf jedoch für die Bevölkerung des gemeinten Gebietes, also für Westpreußen, den späteren „polnischen Korridor“ zur Ostsee, gerade nicht zu. Ein guter Kenner der historisch-politischen und ethnischen Verhältnisse dort, der sozialdemokratische Abgeordnete Ledebour, ging z.B. davon aus, dass bei einem fairen Plebiszit das nördliche Westpreußen für Deutschland optiert hätte. Aber damit wäre dann ein sicherer polnischer Ostseezugang gar nicht möglich gewesen, wie ihn Wilson gleichzeitig versprochen hatte. 

Deswegen hat in der Region Danzig eine Volksabstimmung auch nie stattgefunden. Anders im östlichen Westpreußen und im südlichen Ostpreußen. Aber diese Abstimmungszonen hatten auch insofern Glück, als sie für einen breiten polnischen Ostseezugang weniger unentbehrlich waren. Widersprüchlichkeiten wie diese lassen nachvollziehbar werden, weshalb US-Außenminister Lansing von Anfang an gewarnt hatte: „Die Formel [vom Selbstbestimmungsrecht] ist mit Dynamit geladen. Sie wird Hoffnungen wecken, die nie verwirklicht werden können. Ich fürchte, sie wird Tausende von Leben kosten … Welche Katastrophe, dass die Formel jemals ausgesprochen wurde“. 

Vertane Chancen

Hätte man die Grenzen damals wirklich nach dem freien Willen der Völker gezogen, dann hätte das Sudetenland mehrheitlich gegen die Eingliederung in einen künstlichen tschechoslowakischen Nationalstaat votiert. Österreich hätte sich, wie bis 1866 nahezu ein Jahrtausend lang, wieder mit Deutschland verbunden. Und das nördliche Westpreußen wäre kaum polnisch geworden etc. Aber das hätte natürlich dann das militärische Ergebnis des Ersten Weltkriegs vollkommen auf den Kopf gestellt: So funktioniert Politik nicht. 

Den Friedensmachern wird man wohl auch kaum vorwerfen können, dass sie es soweit nicht kommen ließen. Was man freilich kritisieren kann, ist, dass sie sich gerade angesichts der ganzen Vorgeschichte von Wilsons Selbstbestimmungs-Predigten nicht wenigstens zu einem besseren Kompromiss bereitfanden. Ein Kompromiss wäre z.B. gewesen, das junge Selbstbestimmungsrecht derart zu definieren, dass es sich unter bestimmten politisch-historischen Gegebenheiten auch innerhalb eines bestehenden Staatswesens durch Autonomie verwirklichen kann. Das hätte bedeutet: autonome Regionen, damals schon, für die Südtiroler, oder auch für die Sudetendeutschen, eine böhmische Schweiz am besten etc. 

Gefährliche Wissenslücken

Ich habe eingangs die Episode von Zenon Lewandowski erzählt. Den muss man heute nicht mehr unbedingt kennen. Aber bei vielen Veranstaltungen zum Thema Vertreibung bin ich – auch während meiner Zeit als Gründungsdirektor der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung – leider selbst bei Jungakademikern immer wieder auf noch ganz andere Wissenslücken gestoßen. Es gibt z.B. tatsächlich Leute, die meinen, Ostpreußen oder Hinterpommern seien seinerzeit überhaupt erst durch Hitler erobert worden und mussten deshalb 1945 auch wieder abgegeben werden. Da fragt man sich schon, ob in der berühmten deutschen Vergangenheitsbewältigung wirklich immer die richtigen Schwerpunkte gesetzt worden sind? Jedenfalls ist es deshalb umso wichtiger, dass auch aus der Zivilgesellschaft heraus Erinnerungsorte wie dieser 11. Juli 1920 weiterhin gepflegt werden. 


• Prof. Dr. Manfred Kittel ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Von 2009 bis 2014 war er Gründungsdirektor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin. Kittel ist Vorsitzender des Beirats am Haus des Deutschen Ostens in München, Mitglied der Preußischen Historischen Kommission und Mitherausgeber des Europäischen Journals für Minderheitenfragen. Zu seinen Arbeiten gehört u.a. „Vertreibung der Vertriebenen? Der historische deutsche Osten in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik (1961–1982)“ (Oldenbourg 2007). 

www.uni-regensburg.de 


Der Text ist die leicht bearbeitete Fassung des Vortrags zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Ost- und Westpreußen. Den Originalvortrag finden Sie als Videodatei unter www.paz.de/volksabstimmung.