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10.07.20 / Die Identität der Masuren / Die Volksabstimmung in Masuren und Ermland 1920 aus Sicht einer Volksgruppe, die zwar größtenteils polnischer Abstammung war, gleichwohl zu fast 100 Prozent für Deutschland stimmte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28 vom 10. Juli 2020

Die Identität der Masuren
Die Volksabstimmung in Masuren und Ermland 1920 aus Sicht einer Volksgruppe, die zwar größtenteils polnischer Abstammung war, gleichwohl zu fast 100 Prozent für Deutschland stimmte
Krzysztof Jachimowicz

Bevor wir das Thema der Volksabstimmung berühren, muss zunächst erklärt werden, wer die Masuren waren. Ostpreußen war ein altes Kolonialland, durch den Deutschen Orden im Mittelalter erobert und besiedelt. Die einheimische Bevölkerung, die Pruzzen, wurde ab dem 13. Jahrhundert unterworfen, zwangsgetauft, aber nicht aufgerieben, obwohl sie sich in mehreren Aufständen gegen die Ordensbrüder erhoben. 

Da das Land dünn besiedelt war, begann der Orden mit einer planmäßigen Besiedlung mit niederdeutschen Siedlern. In der gleichen Zeit aber begann der Zufluss aus dem benachbarten Polen, und zwar aus Masowien. Diese drei verschiedenen Stämme – Pruzzen, die zu den Baltenvölkern gehörten, germanische Niederdeutsche und slawische Polen – sind dann zu einer ziemlich einheitlichen Ethnie zusammengewachsen: die Masuren. Da die Siedler aus Polen am zahlreichsten waren, haben sie dem Masurenvolk eine überwiegend polnische Prägung verliehen. Die Polen selbst sind auch aus mehreren Stämmen im Mittelalter entstanden, deshalb war diese Entwicklung auch ähnlich. Die Masuren sprachen bis zu ihrem Untergang einen polnischen Dialekt.

Die Bedeutung des Glaubens

Nachdem der letzte Hochmeister in Preußen, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, 1525 den evangelischen Glauben angenommen hatte und das Deutschordensland ein weltliches Fürstentum wurde (das Herzogtum Preußen, ein Lehen der polnischen Könige bis zum Frieden von Wehlau 1657), mussten auch die polnischstämmigen Masuren nach der später zum Leitgedanken des Friedens von Münster (1648) gewordenen Parole „cuius regio eius religio” (wessen das Gebiet, dessen die Religion) evangelisch werden. Seitdem war die in der Mitte des 15. Jahrhunderts festgelegte und bis 1945 bestehende Grenze Ostpreußens auch eine konfessionelle Trennlinie zwischen den masurischen und polnischen Nachbarn. Seit dieser Zeit waren die Wege beider Völker völlig getrennt. Diese Trennung wurde dann durch die weitere Geschichte vertieft. Die Masuren waren auf dem besten Wege, ein eigenes Volk wie zum Beispiel die Kaschuben zu werden, die historische Entwicklung hat dies jedoch zunichte gemacht. 

Die evangelische Kirche in Preußen hatte bis 1918 einen ähnlichen Aufbau wie ihn bis heute die anglikanische Kirche hat. An der Spitze stand der König, später der Kaiser als summus episcopus – das Oberhaupt der Landeskirche. Für Masuren bedeutete dies, dass die Kirche und der König dasselbe waren. Ein guter Christ musste zugleich ein treuer Untertan sein. Deshalb auch konnten die katholischen Polen in dieser Hinsicht die evangelischen Masuren nicht verstehen – und umgekehrt die Masuren die katholischen Polen nicht, die einer universellen Kirche angehörten.

Würde man sich in die Zeit um 1900 etwa nach Posen und Königsberg versetzen können, würde man kaum Unterschiede feststellen. Auf den Straßen (in Königsberg als Provinzhauptstadt lebten sehr viele Masuren, es gab sogar eine masurische Studentenverbindung an der Albertus-Universität namens „Masovia”) wurde Deutsch und Polnisch gesprochen, man konnte polnische und deutsche Zeitungen kaufen. Der wichtigste Unterschied zwischen Polen und Masuren war die Konfession. In Großpolen war in der Regel der Pole katholisch, und der Deutsche evangelisch; in Masuren war der Deutsche oftmals katholisch und der polnischstämmige Masure so gut wie immer evangelisch. Für die Gesinnung waren diese Unterschiede gravierend.

Im Ersten Weltkrieg hat das Masurenland die volle Wucht und die Grausamkeiten der russischen Offensive vom Spätsommer 1914 zu spüren bekommen. Die Masuren waren es auch, die zusammen mit den Soldaten aus dem Westen des Reiches den Feind vor Tannenberg und an den Masurischen Seen vernichtend geschlagen haben. Dieser Sieg bedeutete in den Augen der Masuren eine Geleichberechtigung mit den übrigen Deutschen. Der deutsche Staat war auch stets dabei, wenn es darum ging, die Kriegswunden zu heilen. Partnerstädte aus dem Westen, die Staatskasse und Privatleute halfen, das verwüstete Land wiederaufzubauen, und zwar trotz des noch tobenden Krieges. Auch der Zusammenbruch des Kaiserreichs im November 1918 hat den Glauben der Masuren an den deutschen Staat nicht erschüttert. 

Sprachliche Unterschiede

Die durch die allierten Siegermächte verordnete Volksabstimmung in den südlichen Kreisen Ostpreußens war für den 11. Juli 1920 angesetzt worden. Die Einwohner sollten nur eine Frage beantworten – ob sie bei Ostpreußen verbleiben oder zur Republik Polen kommen wollten. Man nahm als Grundlage dafür die Daten der Volkszählung vom Jahre 1910. Die Abstimmung sollte in Masuren und Ermland stattfinden. Das Ermland war seit dem zweiten Frieden von Thorn 1466 bis zur ersten Teilung Polens 1772 ein polnisches Land gewesen und vorwiegend katholisch. Wie wir gleich sehen werden, spielte die Konfession der Befragten beim Ergebnis der Abstimmung die Hauptrolle, nicht die Sprache und nicht die nationale Identität. 

Zur Verdeutlichung der Situation sollen hier nur wenige Zahlen genannt werden. Im Jahre 1910 sprachen im Kreise Lyck 25.755 Einwohner Polnisch/Masurisch und 27.139 Deutsch, im Kreise Oletzko 12.398 Polnisch/Masurisch und 24.562 Deutsch, im Kreise Neidenburg 20.075 Polnisch/Masurisch und nur 10.779 Deutsch, im Kreise Johannisburg 33.344 Polnisch/Masurisch und 16.379 Deutsch. Dafür im Ermland – etwa im Kreis Allenstein 33.286 Einwohner Polnisch/Masurisch und 24.562 Deutsch sowie im Kreis Rößel 6.560 Polnisch/Masurisch und 43.189 Deutsch.

Die Propaganda der Polen

Man darf aber auch nicht aus den Augen lassen, dass etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die masurische Mundart immer mehr aus dem Gebrauch verschwand. Kurz vor dem Untergang Ostpreußens gab es nur noch Wenige, welche diese Sprache noch gebrauchten. Das heißt also, dass 50 Jahre früher die Zahlen der polnisch/masurisch sprechenden Bevölkerung noch viel größer gewesen sind.

Die polnische Wahlpropaganda hat jedoch die Masuren verkannt. Man ging von den Erlebnissen des Ende 1918/Anfang 1919 durch den Frieden von Trier beendeten und für Polen siegreichen Posener Aufstands aus. Man ging von dem Standpunkt aus, wer Polnisch spricht und polnischen Blutes ist, wird unbedingt für Polen stimmen. Als Wahlagitatoren kamen nach Masuren fast ausschließlich katholische Patrioten aus Großpolen, nicht selten auch katholische Priester. Einen evangelischen einfachen Bauern (die Masse der Masuren waren Bauern) konnte jedoch nichts mehr verärgern als die Aussicht, vielleicht katholisch werden zu müssen. 

Auch von der deutschen Seite wurde die Wahlpropaganda sehr intensiv betrieben, nicht selten gab es sogar Ausschreitungen. Letztlich hat jedoch vor allem die polnische Propaganda nicht viel genützt, da im Unterschied zu den polnischen Einwohnern des Posener Landes der evangelische Masure polnischer Abstammung genauso ein Preuße war wie sein deutscher Nachbar. 

Die Abstimmungsergebnisse haben letztlich beide Seiten überrascht. In den fast rein masurischen Landkreisen wurden nahezu alle Stimmen für Ostpreußen abgegeben. In den oben aufgeführten ostpreußischen Kreisen sahen die Ergebnisse folgenderweise aus: Im Kreise Lötzen stimmten für Ostpreußen 99,9 und für Polen 0,03 Prozent der Wahlteilnehmer, im Kreise Johannisburg für Ostpreußen 99,9 und für Polen 0,04 Prozent, im Kreise Neidenburg für Ostpreußen 98,5 und für Polen 1,46 Prozent, im Kreise Oletzko 99,9 Prozent für Ostpreußen und für Polen sogar nur 0,007 Prozent. Im katholischen Ermland waren die Wahlergebnisse für Polen deutlich besser: Im Kreis Allenstein sind für Ostpreußen 86,53 und für Polen 13,4 Prozent abgegeben worden und im Kreis Rößel für Ostpreußen 97,90 und für Polen 2,10 Prozent der Stimmen. Insgesamt sind in ganz Ostpreußen für das Verbleiben im Deutschen Reiche 363.202 und für Polen 7.980 Stimmen abgegeben worden. 

Nach der Volksabstimmung haben sich sehr viele Politiker und Wissenschaftler mit dieser Geschichte und dem Thema befasst – aber fast ausschließlich aus einem nationalen und nicht aus dem kulturellen und konfessionellen Blickpunkt. Dabei waren letztere Aspekte – wie die oben genannten Zahlen zeigen – ausschlaggebend. 

Das Ende der Masuren

Als 25 Jahre nach der Volksabstimmung die Provinz Ostpreußen mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterging, haben die Masuren dies als eigene Volksgruppe nicht überlebt. Diejenigen, die in der Heimat verblieben sind, sind dann durch die Maßnahmen der kommunistischen Regierung endgültig zu den Deutschen geworden. Wie es der Historiker Bernd Martin in seinem Buch „Masuren, Mythos und Geschichte“ schreibt: „Was die brandenburgisch-preußische Regierung in vierhundert Jahren nicht vollbracht hat, nämlich aus den Masuren bewusste Deutsche zu machen, hat die kommunistische Regierung in nur vierzig Jahren getan“. Heute fühlen sich sowohl die in der Heimat als auch im Westen lebenden Masuren nur noch als Deutsche.


b Krzysztof Jachimowicz (Christoph Freiherr v. Jachimowicz) entstammt einer deutsch-russisch-französisch-polnischen Familie, die väterlicherseits seit 1648 in Ostpreußen ansäßig ist. Nach einem Magisterstudium an der Danziger Universität ist er seit 2007 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum von Danzig. Seit 2008 ist er aktives Mitglied im Bund Junges Ostpreußen (BJO) und seit 2015 Vorstandssekretär der Danziger Deutschen Minderheit (DDM). 

www.muzeumgdansk.pl


Der Text ist die leicht bearbeitete Fassung des Vortrags zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Ost- und Westpreußen. Den Originalvortrag finden Sie als Videodatei unter www.paz.de/volksabstimmung.