19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
10.07.20 / Chronologie einer schicksalhaften Zeit / Vom Versailler Vertrag zur Volksabstimmung in Ost- und Westpreußen – ein Überblick über die Ereignisse vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Sommer 1920

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28 vom 10. Juli 2020

Chronologie einer schicksalhaften Zeit
Vom Versailler Vertrag zur Volksabstimmung in Ost- und Westpreußen – ein Überblick über die Ereignisse vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Sommer 1920
Manuel Ruoff

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Welt im Allgemeinen und Europa im Besonderen neu geordnet. Neue Staaten entstanden, neue Grenzen wurden gezogen. In einigen wenigen Fällen wurde dabei dem Selbstbestimmungsrecht der Völker durch Volksbefragungen mehr oder weniger Rechnung getragen. Derartige Befragungen sah der Versailler Frieden zwischen den Siegermächten und dem Deutschen Reich außer für Nordschleswig und Oberschlesien auch für den zwischen Weichsel und Nogat sowie Ostpreußen gelegenen Teil Westpreußens sowie das südliche Ostpreußen, konkret den Regierungsbezirk Allenstein und den Kreis Oletzko, vor.

Regelungen des Versailler Vertrags

Die Delegation des Deutschen Reiches in Versailles hatte gegen diese Pläne vehement protestiert und argumentierte: „Im südlichen Ostpreußen wird das Vorhandensein einer Bevölkerung von nicht deutscher Muttersprache benutzt, um in diesen Bezirken eine Abstimmung zu fordern. Diese Bezirke werden indes nicht von einer unbestritten polnischen Bevölkerung bewohnt. Der Umstand, dass in einzelnen Gegenden sich die nichtdeutsche Sprache erhalten hat, kann keine Rolle spielen, da diese Erscheinung selbst in den ältesten Einheitsstaaten zu beachten ist; es sei auf die Bretonen, Walliser und Basken verwiesen. Die gegenwärtige Grenze Ostpreußens liegt seit etwa 500 Jahren fest; die fraglichen Teile der Provinz haben allergrößtenteils nie zu Polen oder zu Litauen gehört. Ihre Einwohner stehen den außerhalb der deutschen Grenze befindlichen Völkerschaften infolge einer seit Jahrhunderten verschiedenen Geschichte, einer anders gearteten Kultur und eines anderen religiösen Bekenntnisses fremd gegenüber. Diese Bevölkerung hat, von einer Gruppe landfremder Agitatoren abgesehen, ein Verlangen nach Lostrennung von Deutschland niemals geäußert und ein Grund, die staatlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Gebiete zu ändern, liegt deshalb nicht vor. Das gleiche gilt in Westpreußen für die Kreise Stuhm, Marienburg, Marienwerder und Rosenberg. Der Kreis Marienburg hat 98 von Hundert Deutsche, der Kreis Marienwerder rechts der Weichsel ist ebenfalls fast rein deutsch, Rosenberg hat 93,7 von Hundert Deutsche. Es gibt in Polen Kreise, in denen der Prozentsatz der deutschen Bevölkerung höher ist als zum Beispiel der Prozentsatz der polnischen Bevölkerung im Kreise Rosenberg. Das Vorhandensein so kleiner Minoritäten ist nach dem Programm des Präsidenten Wilson kein Grund zur Anzweifelung des nationalen Charakters eines Gebietes; andernfalls würde das Programm zur Auflösung jeglicher Staatsordnung führen.“ 

Der Protest nützte jedoch nichts, und vor 100 Jahren, am 11. Juli 1920, kam es zeitgleich zu Abstimmungen im westpreußischen Abstimmungsgebiet Marienwerder und im ostpreußischen Abstimmungsgebiet Allenstein, ob diese Gebiete fürderhin zu Polen oder Ostpreußen gehören sollten. Stimmberechtigt waren alle Erwachsenen, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten und entweder in einem der Abstimmungsgebiete lebten oder von dort stammten. Eine Abstimmung war nur innerhalb des Abstimmungsgebietes möglich. Um zu verhindern, dass die Ordnungsmacht Einfluss auf das Ergebnis der Abstimmung nahm, hatten die deutschen Truppen und Behörden die Abstimmungsgebiete vor der Abstimmung zu verlassen. Die Abstimmungsgebiete wurden für die Abstimmungszeit jeweils einem Ausschuss unterstellt, der aus fünf von den alliierten und assoziierten Hauptmächten ernannten Mitgliedern bestand. Diese Ausschüsse waren mit allgemeinen Verwaltungsbefugnissen ausgestattet und sollten die Abstimmung in die Wege leiten sowie eine freie, unbeeinflusste und geheime Stimmenabgabe sicherstellen.

Am 13. Oktober und 4. November 1919 gab es relativ gute Nachrichten für die Deutschen. Am 13. Oktober bestimmten die Sieger, dass im südlichen Ostpreußen die Briten und in den westpreußischen Kreisen die Italiener das Kommando über die alliierten Truppen haben sollen. Und am 4. November wurde bestimmt, dass diejenigen Mächte, welche die Kommandogewalt haben, auch an der Spitze der jeweiligen Kommission stehen. In keinem der Abstimmungsgebiete dominierten somit die parteiischen Franzosen. Damit war eine wichtige Voraussetzung für eine faire Abstimmung gegeben.

Auszug von Militär und Verwaltung

Im Februar 1920 wurde es dann ernst. Am 1. Februar zog sich die Reichswehr aus den Abstimmungsgebieten zurück. Am 14. beziehungsweise 17. Februar übernahmen die interalliierten Kommissionen in Allenstein und Marienwerder die Häuser der jeweiligen Regierungspräsidenten und die Verwaltung. In Allenstein führte der britische Vorsitzende das Ressort Inneres und Eisenbahn, der Franzose übernahm die Justiz und der Italiener die Finanzen, das Sozialwesen sowie den Post- und Telegrafendienst. Der Japaner blieb ohne Ressort. In Marienwerder übernahm der italienische Vorsitzende das Innere, der Franzose übernahm die Finanzen, der Japaner die Justiz und der Brite Verkehr und Handel.

Die Regierungspräsidenten mussten die Abstimmungsgebiete verlassen. Dafür wurde seitens des Reiches und Preußens für die beiden Abstimmungsgebiete je ein Reichs- und Staatskommissar ernannt. Für Allenstein war das der Freiherr Wilhelm von Gayl und für Marienwerder erst der Regierungsrat Hans Kutter und nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch dann der Graf Theodor von Baudissin. Über die Funktion der Kommissare schrieb jener in Allenstein: „Dem deutschen Kommissar war eine Doppelaufgabe gestellt: Er hatte die deutschen Belange gegenüber der Kommission und den Polen zu wahren, aber auch der Kommission aufklärend und beratend zu helfen sowie ihren Verkehr mit den deutschen Regierungsstellen außerhalb des Gebietes zu vermitteln. Er war nicht einseitiger Interessenvertreter wie der polnische Generalkonsul, sondern durch ein entsprechendes Abkommen organisch mit der Kommission verbunden.“ 

Die Landräte und Bürgermeister sowie die Beamten durften bleiben, wurden allerdings zur Loyalität gegenüber den interalliierten Kommissionen verpflichtet. Zur zusätzlichen Kontrolle richteten die alliierten Kommissionen in jedem Kreis eine Nebenstelle ein. 

Während der Herrschaft der interalliierten Kommissionen durften sowohl Polen als auch Deutsche Wahl- beziehungsweise Abstimmungskampf machen. Die Polen hatten den Vorteil, dass Warschau sie mit großem Engagement unterstützte und dass die Franzosen für sie Partei ergriffen. Die Deutschen hatten den Vorteil, dass sie im Kampf auf einheimische Kräfte zurückgreifen konnten und dass sie die preußische Stärke des Organisationstalentes besaßen.

Wahlkampf für die Heimat

Da die Deutschen fürchten mussten, dass sie nach der Machtübernahme der Alliierten in ihrer Arbeit behindert werden könnten, begannen sie frühzeitig mit der Organisation. Am 25. März 1919 gründeten Deutsche den „Arbeitsausschuß Allenstein gegen die Polengefahr“. Da nun anderswo ein „Ostdeutscher Heimatdienst“ gegründet wurde und die Allensteiner eine Zersplitterung verhindern wollten, übernahmen sie den Namen und benannten sich von „Arbeitsausschuß Allenstein gegen die Polengefahr“ in „Bezirksstelle Allenstein des Ostdeutschen Heimatdienstes“ um. Diese Bezirksstelle Allenstein wurde zur Zentrale des Ostdeutschen Heimatdienstes. An der Spitze der Bezirksstelle stand ein vierköpfiger Vorstand. Mit deutschem Organisationstalent und deutscher Gründlichkeit wurde für jede Kreisstadt eine Kreisstelle samt Kreisstellenleiter geschaffen. 

Geradezu konspirativ stellte man sich darauf ein, während der Kommissionsherrschaft auf das Schlimmste diskriminiert und verfolgt zu werden. So erhielten wichtige Funktionsträger gleich mehrere Stellvertreter, damit ein Amt nicht verwaiste, falls die interalliierte Kommission sie des Abstimmungsgebietes verweisen sollte. Auch wurden schon Exilorte jenseits der Abstimmungsgebietsgrenze bestimmt, wo sich die von der Kommission ausgewiesenen Funktionsträger sammeln sollten. Des Weiteren wurde ein Nachrichtendienst mit Läufern organisiert, um die Verbindung zwischen Funktionsträgern im Exil und den Kreisstellen aufrechtzuerhalten. Zum Glück für die Deutschen war die interalliierte Kommission fair genug, dass die Vorsichtsmaßnahmen sich als überflüssig erwiesen. Als Sprachrohr wurden die „Ostdeutschen Nachrichten“ gedruckt. Für die masurisch sprechende Minderheit gab es in Masurisch den „Preußischen Volksfreund“. Als Massenorganisation, um einmal diesen DDR-Begriff zu verwenden, wurde der „Masuren- und Ermländerbund“ gegründet. Das Ziel war es, mit den Heimatvereinen die gesamte deutschgesinnte Bevölkerung zu erfassen, was wohl in hohem Maße auch gelang.

Das Meisterstück des Ostdeutschen Heimatdienstes war jedoch die Rückführung der Abstimmungsberechtigten aus dem Reich. Die Polen ahnten zumindest, was ihnen bei einer Abstimmung der ortsansässigen Bevölkerung blühen würde. Mit der Begründung, dass die germanisierten Masuren erst einmal „reeducated“ werden müssten, forderten sie erst 150 und dann zumindest fünf Jahre polnische Herrschaft vor einer Abstimmung. Als dieser Vorschlag in Paris keine Mehrheit fand, versuchten sie mit Stoßtrupps Unruhen zu provozieren, auf dass die Abstimmungen abgesagt werden. Die deutsche Mehrheitsbevölkerung ließ sich nicht provozieren, sodass auch dieser polnische Versuch scheiterte.

Logistische Meisterleistungen

Erfolgreich waren die Polen jedoch mit dem Versuch, den Willen der ansässigen Bevölkerung zu verwässern. Sie argumentierten, dass Preußen Polen aus dem Abstimmungsgebiet vertrieben habe und deshalb nicht nur die Ortsansässigen, sondern auch die im Abstimmungsbiet Geborenen mit mittlerweile anderem Wohnort abstimmen dürfen müssten. Mit dieser Forderung setzten sich die Polen durch, doch erwies sich dies als Bumerang. Denn nun organisierte der Ostdeutsche Heimatdienst einen großen Besucherstrom von ins Reich, vor allem in den Ruhrpott, Ausgewanderten hin in das jeweilige Abstimmungsgebiet. Als Helfer im Reich ist neben der Deutschen Reichsbahn der 1919 gegründete Deutsche Schutzbund für die Grenz- und Auslandsdeutschen zu nennen.

Zur Ermittlung und Verwaltung der Adressen der Ausgewanderten schuf der Ostdeutsche Heimatdienst eine eigene Abteilung für Volksabstimmung. Um die Daten vor den Alliierten zu sichern, hatte diese Abteilung ihren Sitz außerhalb des Abstimmungsgebietes, in Karlshof bei Rastenburg. Um an die Auswanderer und deren Organisationen besser heranzukommen, baute der Ostdeutsche Heimatdienst Dienststellen im Reich auf, nicht zuletzt in der Reichshauptstadt Berlin.

Im Ergebnis konnten 128.000 ausgewanderte Südostpreußen zur Stimmabgabe in ihrer alten Heimat mobilisiert werden. Fahrscheine wurden den Abstimmungswilligen ebenso zur Verfügung gestellt wie Reiseverpflegung, Reiselektüre und Quartiere. 

Breite Solidarität

Die Bewohner des Abstimmungsgebietes erwiesen sich als fantastische Gastgeber. Für die Gäste wurden von den Heimatvereinen kulturelle Veranstaltungen und Volksfeste organisiert. An den größeren Bahnhöfen gab es Meldestellen, von denen Schüler die Gäste zu ihren Quartieren brachten. Die Meldestelle am Bahnhof Allenstein war Tag und Nacht besetzt. Tagsüber verrichteten Mädchen den Dienst, des Nachts über ältere Schüler, die dafür länger aufbleiben durften.

Da absehbar war, dass die Polen versuchen würden, den Strom aus dem Reich zum Abstimmungsgebiet am Korridor zu behindern, wurde dem Seeweg der Vorzug gegeben. Der damals gegründete Seedienst Ostpreußen ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Der Strom war jedoch derart groß, dass auch der Landweg durch den Korridor benutzt werden musste. Prompt versuchten die Polen, die Abstimmungswilligen durch Schikanen aufzuhalten. 

Am 2. Juli 1920 berichtete der britische Vorsitzende der interalliierten Kommission für das südliche Ostpreußen dem Foreign Office: „Trotz des Protestes der Alliierten Verbindungskommission in Konitz ist mehr als 700 Personen in den ersten beiden Wählerzügen die Durchfahrt durch das polnische Gebiet verweigert worden. Als Grund für diese Maßnahme wird von den polnischen Behörden angegeben, dass die Identität ungenügend ausgewiesen war, was angesichts dieser großen Menge von Reisenden unwahrscheinlich erscheint.“

Die Bemühungen der Polen

Dieses war allerdings nicht die einzige Methode, in der von polnischer Seite versucht wurde, auf die Abstimmung Einfluss zu nehmen. Auch auf polnischer Seite organisierte man sich für den Wahlkampf. Im Juni 1919 entstand in Warschau das Masurische Abstimmungskomitee. An dessen Spitze stand Julius (Juliusz) Bursche. Bursche war Generalsuperintendent der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen und Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirchen in Polen. Auf der Pariser Friedenskonferenz hatte er sich für eine sofortige Übertragung des Ermlands, Masurens und Westpreußens an die Republik Polen ohne vorherige Abstimmung stark gemacht. Nun da es gegen seinen Willen zur Abstimmung zumindest in einem Teil der Region kam, versuchte er das Seinige, dass Polen als Sieger aus dieser hervorging. 

Ebenfalls dem Ziel, Wahlkampf für Polen zu machen, verschrieben sich der im November 1919 in Warschau gegründete Masurische Volksbund und das Ermländische Abstimmungskomitee. Der Versuch, einen paramilitärischen Masurischen Sicherheitsdienst aufzubauen, scheiterte am Mangel an ausreichend Personal und Geld. Die polnische Regierung bemühte sich zwar nach Maßen, auf die Entscheidungen in den Abstimmungsgebieten Einfluss zu nehmen, aber ihre Mittel waren aufgrund des damaligen Krieges gegen die Sowjets beschränkt. 

Das, was die polnische Regierung tat, kam nicht immer der polnischen Sache und Seite zugute. So schrieb Sir Ernest Amelius Rennie, der Vorsitzende der interalliierten Kommission im Abstimmungsgebiet Allenstein: „Das Vorgehen polnischer Agenten, welche in diesem Gebiet fremd sind, wird laut Bericht mit Missgunst von ansässigen Polen betrachtet, und es wird erwartet, dass sie die deutschsprechende Bevölkerung reizen, ohne der polnischen Seite zu nützen.“

Im Abstimmungsgebiet Marienwerder kämpften auf polnischer Seite der Preußisch-Polnische Bund und der Bund der Volksgesellschaften. An bedeutenden Exponenten der polnischen Seite sind der erste Vorsitzende des 1922 gegründeten Bundes der Polen in Deutschland, Graf Stanislaus (Stanislaw) von Sierakowski, samt dessen Ehefrau Helena aus Groß Waplitz sowie Witold und Kazimierz von Donimirski aus Buchenwalde/Hohendorf und Klein Ramsen zu nennen.

Und auch im Abstimmungsgebiet Marienwerder wirkte der Einfluss des polnischen Nachbarn nicht immer im Sinne der polnischen Sache. So schrieb der Landsmann von Rennie und Vertreter ihres Landes in der interalliierten Kommission im Abstimmungsgebiet Marienwerder, Henry Beaumont, am 10. März 1920 an das Foreign Office: „Unser Aufenthalt in diesem Bezirk war schon ausreichend lang, um alle Mitglieder dieser Kommission zu überzeugen, dass das Ergebnis der Abstimmung eine von vornherein feststehende Entscheidung ist und dass die überwältigende Mehrheit der Einwohner für Deutschland stimmen wird. Abgesehen von Stammesempfindungen haben die Provokationen, die Unterdrückungen und die Intoleranz der polnischen Behörden in dem kürzlich von ihnen besetzten Gebiet einen kläglichen Eindruck auf die Meinung nicht nur der Deutschen, sondern aller unparteiischen Beobachter hervorgerufen.“ Und im darauffolgenden Monat, am 19. April 1920, schrieb Beaumont dem Deutschlandexperten im Foreign Office Sir Eyre Crowe: „Wir kamen alle als Sympathisanten Polens her, aber seitdem wir die Dinge aus unmittelbarer Nähe gesehen haben, haben wir alle – einschließlich der Franzosen – unsere Ansichten geändert.“ 

Der Tag der Abstimmung

Am 11. Juli 1920 war es dann also soweit. In beiden Abstimmungsgebieten fand die Abstimmung statt. Das Abstimmungsprocedere ist insofern interessant, da es ohne Kreuzchen ablief. Vielmehr kamen zehn Zentimeter breite und acht Zentimeter hohe Stimmzettel zum Einsatz. Wenn man für Ostpreußen stimmen wollte, dann ging man vor der Wahl zu den Deutschen und ließ sich von denen einen entsprechenden Zettel geben, auf dem in Deutsch wie Polnisch „Ostpreußen (Prusy Wschodnie)“ stand. Wenn man hingegen für Polen stimmen wollte, dann ging man zu den Polen und ließ sich einen entsprechenden Zettel schenken, auf dem in Deutsch und Polnisch „Polska – Polen“ stand. Mit dem zuvor beschafften Zettel ging man dann am 11. Juli in das Wahllokal, ließ sich einen Wahlumschlag geben, ging in den sogenannten Isolierraum, steckte den Zettel in den Umschlag, kam wieder heraus und steckte den Umschlag samt Zettel in die Wahlurne.

Für die Abstimmung im südlichen Ostpreußen hatten sich 425.305 Abstimmungsberechtigte eintragen lassen. Davon waren 37 Prozent im Abstimmungsgebiet geborene Auswanderer. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei 87 Prozent, bei den Ortsansässigen gar bei 96 Prozent. Von den abgegebenen Stimmen entfielen knapp über zwei Prozent auf Polen. Die restlichen fast 98 Prozent stimmten für den Verbleib bei Ostpreußen. 

Im Abstimmungsgebiet Marienwerder war das Ergebnis ähnlich überzeugend wie in Allenstein. Hier stimmten knapp acht Prozent für Polen und über 92 Prozent für Ostpreußen.

Kleinere Abtretungen

Obwohl mehr als neun von zehn der westpreußischen Abstimmenden für Ostpreußen gestimmt hatten, kam das westpreußische Abstimmungsgebiet nicht vollständig zu Ostpreußen. Am 12. August 1920 entschied die Botschafterkonferenz der alliierten und assoziierten Hauptmächte in Paris, dass die fünf Dörfer Neu-Liebenau, Kramershof, Außendeich, Johannisdorf und Kleinfelde zu Polen kamen. Vom südostpreußischen Abstimmungsgebiet wurden für Polen die drei Dörfer Nappern, Lobenstein und Groschken abgetrennt. 

Nach dem planmäßigen Abzug der interalliierten Kommissionen und ihrer Truppen übernahmen der preußische Innenminister für Preußen und der Vizekanzler für das Reich am 19. und 20. August 1920 die in der beschriebenen Weise etwas verkleinerten Abstimmungsgebiete wieder unter deutsche Verwaltung.


b Dr. Manuel Ruoff ist Redakteur der Preußischen Allgemeinen Zeitung und dort verantwortlich für die Geschichtsseiten.

www.paz.de