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17.07.20 / Frühere Innerdeutsche Grenze / Die Russen kamen nicht / Am Point Alpha bei Fulda schaute die NATO tief in den Osten – Heute schauen Museumsbesucher vorbei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29 vom 17. Juli 2020

Frühere Innerdeutsche Grenze
Die Russen kamen nicht
Am Point Alpha bei Fulda schaute die NATO tief in den Osten – Heute schauen Museumsbesucher vorbei
Nils Aschenbeck

Etwa zu dem Zeitpunkt, als der vormalige Beobachtungsstützpunkt Point Alpha nach der friedliche Revolution von 1989 in ein Museum umgewandelt wurde, wurde unter Historikern und Intellektuellen vom „Ende der Geschichte“ gesprochen, einer Begriffsschöpfung des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama. Der Ost-West-Konflikt war abgezogen wie eine dunkle Regenfront, und nun erwartete der ewige Sonnenschein der liberalen Demokratie die Weltbürger. Stätten der Konfrontation wurden museal. 

Die Umwandlung von Point Alpha in ein Museum, in dem Kinder zwischen historischen Militärlastwagen spielen, schien ein beredter Beleg für Fukuyamas These. Point Alpha in der Nähe der Städte Fulda und Bad Hersfeld ist heute ein Museum des Kalten Krieges – und war eine Beobachtungsstation der US-Amerikaner und der NATO in der nördlichen Rhön, von deren Höhenzug die Beobachter weit in den Osten blicken konnten. Genau hier, an der westlichsten Grenze des Warschauer Pakts, würden die Russen einen Einmarsch durchführen, sollten sie denn einen wagen – so die damalige Prognose der westlichen Militärs, die sich nach dem Ende der DDR und nach Sichtung sowjetischer Planspiele als berechtigt erwies.

Von der Topografie bot das „Fulda Gap“, die „Lücke“, das sich im Süden bis nach Bad Neustadt an der Saale erstreckte, wie kein anderer Bereich im Verlauf der innerdeutschen Grenze die Möglichkeit, mit Panzern ohne topografische Sperren von Ost nach West zu rollen. Damit den Russen hier kein Blitzüberfall gelang, beobachtete die NATO ab 1965 vom Point Alpha und drei weiteren Beobachtungsstützpunkten von Hessen aus rund um die Uhr das Geschehen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhanges. Hätte es einen heißen Ost-West-Konflikt gegeben, hätte er vermutlich hier begonnen. Es wurde sogar in Erwägung gezogen, dass die Russen hier Atomwaffen einsetzen würden.

Neue Posten im Osten

Die Besucher können am Point Alpha bis heute die alten Gebäude besichtigen, in denen US-Soldaten mit Ferngläsern saßen – es scheint, als wenn sie erst gestern abgezogen wären. Auf dem Museumsgelände stehen darüber hinaus restaurierte Armeefahrzeuge. Auch ein paar hundert Meter der alten Grenzbefestigung mit Wachturm auf der einst östlichen Seite sind erhalten, ergänzt um ein neues Ausstellungsgebäude. 

Was Anfang der 1990er Jahre wie ein letztes Zeugnis einer zu Ende gegangenen Epoche schien, das bekommt seit 2008 mehr und mehr unerwartete Aktualität. In Georgien und an der Ostgrenze der Ukraine stehen russische Panzer und sichern militärisch erreichten Geländegewinn. Auf die lange Jahre entmilitarisierte Ostseeinsel Gotland hat Schweden hastig Soldaten geschickt – offenbar in Erwartung russischer Aggressionen. 

Die NATO zeigt in Polen und im Baltikum Präsenz – um nicht zuletzt den Sorgen der östlichen Mitgliedstaaten zu begegnen. Der Kalte Krieg kommt zurück nach Europa, ja, eine Wiederholung der Geschichte scheint manchem möglich. 

Die Ost-West-Beziehungen sind um Jahrzehnte zurückgefallen – in einen neuen Kalten Krieg. Deutschland, so die Meinung mancher Beobachter, rutscht sogar allmählich zurück in Weimarer Verhältnisse. Bei dieser Wiederkehr der Vergangenheit, die man in den euphorischen Monaten nach 1990 vonseiten der Historiker und der Politikwissenschaftler glatt ausgeschlossen hätte, scheint auch das „Fulda Gap“ mit dem Point Alpha eine neue Bedeutung zu gewinnen. Ist es wirklich nur noch ein musealer Ort? Oder werden wir noch den Tag erleben müssen, an dem Beobachtungstürme wie hier hastig reaktiviert werden? 

Point Alpha am Platz der Deutschen Einheit 1 in 36419 Geisa, geöffnet bis 31. Oktober täglich von 8 bis 18 Uhr. Eintritt: 6 Euro. Jährlich finden von April bis Oktober jeweils am ersten Sonnabend des Monats Grenzwanderungen statt. Infos unter Telefon (06651) 919030 oder E-Mail: 

service@pointalpha.com.