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24.07.20 / Kommentar / Das Versagen der Kirchen in Zeiten von „Corona“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30 vom 24. Juli 2020

Kommentar
Das Versagen der Kirchen in Zeiten von „Corona“
Erik Lommatzsch

Bis in diese Tage sind nur wenige prominente Stimmen zu vernehmen, die das Verhalten der Kirchen in der „Corona-Krise“ öffentlich hinterfragen. Eine davon ist diejenige von Christine Lieberknecht. Ihre im Mai geäußerte Kritik hat die ehemalige CDU-Ministerpräsidentin von Thüringen, selbst bis 1990 als evangelische Pfarrerin tätig, nun erneuert. Mit Blick auf den östlichen Teil der Bundesrepublik sagte sie bezüglich der Verantwortung der Kirchen für die Sterbenden, dass die Mehrheit „einsam aus dem Leben schied. Musste das sein? Nein.“ Vor wenigen Tagen meldete sich der populäre Benediktinerpater Anselm Grün zu Wort und formulierte, sehr vorsichtig, man habe „nicht optimal reagiert, auch als Kirche nicht“, und „die Menschenwürde, die Würde des Sterbens ein Stück vernachlässigt“.

Wohl keine Institution hat während der Corona-Krise dermaßen versagt wie die Kirchen. Die Leitungsebenen beider christlicher Konfessionen haben widerspruchslos und unter eklatanter Vernachlässigung ihres Seelsorgeauftrags die Gläubigen in welthistorisch bisher unbekanntem Ausmaß im Stich gelassen. Hatte man sich zu Zeiten des Kulturkampfs gegen staatliche Verordnungen noch zur Wehr gesetzt, so lässt man es heute geschehen, dass sämtliche „Corona-Maßnahmen“ auch das kirchliche Leben lahmlegen. Gottesdienste, Sakramente, Seelsorge, Kranke – alles nicht so wichtig. Wenn die Regierung ein „Kontaktverbot“ verhängt, dann setzen die Kirchenoberen es um. Dann sterben Menschen eben allein, ohne Trost, ohne geistlichen Beistand, egal. Der „Corona-Schutz“ geht vor. Man kann ja den Segen via Bildschirm nutzen, das ist ohnehin moderner und effektiver.

Das Gebot der Bibel

War das Selbstverständnis einmal ein anderes? In der Apostelgeschichte zumindest steht der Satz: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5, 29). Den Oberamtsträgern von heute scheinen derartige Passagen kaum noch präsent zu sein. 

Aber nicht alle Mitarbeiter und Pfarrer sind ihren Leitungen gefolgt. Mancherorts ist noch das Bewusstsein vorhanden, dass Kirche doch etwas anderes ist als ein Kegelverein. Der große Aufstand blieb zwar aus, aber es wurde doch versucht, Restriktionen zu umgehen oder gegen Verbote zu handeln. 

So entzündete ein Thüringer Pfarrer zu Ostern Kerzen in seiner Kirche. Das Gotteshaus war offen, einzelne Gläubige kamen und entzündeten weitere Kerzen. Das war juristisch bereits grenzwertig. Eindeutig überschritten hat derselbe Seelsorger die Vorgaben, als er später in einer weiteren, ebenfalls seiner Zuständigkeit unterliegenden Kirche, sieben Besucher vorfand und spontan das Osterevangelium las sowie mit ihnen das Vaterunser betete. Andere Pfarrer hielten Andachten vor der Kirche, um Auflagen zu umgehen. In Sachsen wird gar über regelrechte „Geheimgottesdienste“ während der „Corona-Krise“ berichtet. Hier zählte auch nicht jeder Friedhofsverwalter die Teilnehmer von Trauerfeiern ab. 

Die Kirchenoberen hingegen fügten sich. Und sie sehen weiterhin keinen Grund für eine Selbstreflexion. Margot Käßmann, noch immer gewichtige Stimme, sind immerhin Versäumnisse aufgefallen: „Wir brauchen christlich vertretbare Regeln, damit niemand in Einsamkeit und Isolation verzweifelt.“ Gleichwohl weist sie darauf hin, dass „neben allen Schwierigkeiten auch viel Gutes“ in der „Corona-Krise“ entstanden sei. Dazu zählt sie beispielsweise eine „neue Dankbarkeit“. In puncto Flugverkehr habe man festgestellt, „wir können sogar gar nicht fliegen, und die Welt dreht sich weiter“. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, hatte schon vor Wochen bemerkt, es dürfe „nie die erste Frage sein: Wie können wir schnellstmöglich wieder ungehindert in unseren Kirchen Gottesdienst feiern?“

Der – katholische – Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hat seine eigene Wahrheit. Er erklärt einfach, die Kirche sei in Krankenhäusern und diakonischen Einrichtungen „absolut zur Stelle gewesen“, und ergänzt, man habe „von Anfang an Livestream-Gottesdienste gefeiert“. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, zieht ganz große Linien: Die Corona-Krise lege nahe, „dass wir ein neues Kapitel des Christentums mitschreiben“. Offenbar eines, in dem die Nähe der Amtsträger zu den Gläubigen nicht mehr wichtig ist und in dem man sich gern manch lästigen biblischen Ballasts entledigt.