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24.07.20 / Weltanschauung / Konservatismus – eine überzeitliche Definition / Vor knapp 100 Jahren legte der Breslauer Anwalt Georg Quabbe einen Vorschlag zur Begriffsbestimmung vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30 vom 24. Juli 2020

Weltanschauung
Konservatismus – eine überzeitliche Definition
Vor knapp 100 Jahren legte der Breslauer Anwalt Georg Quabbe einen Vorschlag zur Begriffsbestimmung vor
Erik Lommatzsch

Was ist eigentlich konservativ? Lässt sich darauf eine allgemeine Antwort formulieren, ohne auf konkrete Stichworte wie Familie, Kirche oder einen Hang zur Monarchie zu verweisen? Was unterscheidet den Konservativen von seinem Gegenstück, außer dass er oftmals schlicht als Feind jeglicher Veränderung gilt? 

Was die großen Theorien betrifft, so liegt die konservative Seite in der Wahrnehmung der Meisten weit abgeschlagen zurück. Allerdings sollte man sich nicht täuschen lassen. Nicht zuletzt von tonangebenden Gesinnungswächtern in Bildungseinrichtungen und Medien gefördert, gehen manche Ideen, geht manches Werk „verloren“ und werden recht erfolgreich der Vergessenheit überantwortet.

Nur wenige dürften heutzutage noch etwas mit dem Namen Georg Quabbe und seinem 1927 veröffentlichten Werk mit dem zunächst etwas rätselhaften Titel „Tar a Ri. Variationen über ein konservatives Thema“ anzufangen wissen. In diesem Buch finden sich erhellende Antworten auf die Frage nach dem Gehalt des Konservatismus.

Quabbe wurde im März 1887 in Breslau geboren. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, ließ er früh große intellektuelle sowie musikalische Begabungen erkennen. Er studierte Rechtswissenschaften, herausragende Benotungen hätten ihm den weiteren Weg gesichert, aber obwohl ihm andere Möglichkeiten offengestanden haben, zog er ein Leben als Zivilrechts-Anwalt in seiner Heimatstadt vor. In Breslau gehörte er zu den Honoratioren und brachte es zu erheblichem Wohlstand, sorgte durch sein ausschweifendes Privatleben aber auch für den einen oder anderen Skandal. 

Seinen ausgeprägten literarischen und geistesgeschichtlichen Neigungen kam er lediglich privat nach. Auf „Tar a Ri“ folgte einige Jahre später ein Werk über Utopien. Zum NS-Staat verhielt er sich nicht entschlossen oppositionell, blieb aber auf Distanz. Dies zeigte sich auch daran, dass er jüdischen Mandanten weiterhin nach Möglichkeit zur Seite stand.

Abgrenzung zum „Fortschritt“

Quabbe selbst verstand sich als Konservativer. Äußerlich sichtbar wurde dies durch die Mitgliedschaft in der DNVP, der Deutsch-Nationalen Volkspartei. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, insbesondere mit dem steigenden Einfluss Al-fred Hugenbergs, rückte der ohnehin im politischen Tagesgeschäft nicht engagierte Anwalt innerlich von der Partei ab.

Nach Kriegsende und der Flucht gen Westen wurde der hinsichtlich einer irgend gearteten Nähe zum Nationalsozialismus völlig unverdächtige Quabbe im Oktober 1946 Generalstaatsanwalt in Hessen. Ein letztes Werk, „Goethes Freunde“, wurde 1949 gedruckt. Im Juli 1950 ist er gestorben.

Wofür steht nun der politische Schriftsteller Georg Quabbe mit dem Buch „Tar a Ri“? Er gehört zu denjenigen, die sich der Herausforderung gestellt haben, den Komplex „Konservatismus“ theoretisch zu umreißen, es nicht bei negativer Abgrenzung zu belassen, sondern ihn positiv mit Inhalten zu füllen. Quabbe betont die Unvollkommenheit seiner Ausführungen, die er als Diskussionsbeitrag verstanden wissen will. Das Rätsel des Titels löst er gleich zu Anfang: Es sei altirisch und heiße so viel wie „Komm, o König!“. Aus „Tar a Ri“ habe sich im 17. Jahrhundert der Begriff „Tory“ entwickelt. Freimütig räumt Quabbe ein, den Titel aus Gründen der Werbewirksamkeit gewählt zu haben. Er selbst war monarchiefreundlich, Monarchie und Konservatismus stellten für ihn jedoch nicht zwingend eine Einheit dar. Republik- oder demokratiefeindlich war er nicht per se, er konstatierte, dass die Demokratie nicht die Herrschaft der Vielen sei, sondern die Herrschaft der Wenigen, welche die Vielen beeinflussen.

Quabbe räumte immer wieder ein, dass seine Darlegungen gefühls- beziehungsweise instinktgeleitete Elemente enthielten. Dem Ganzen liegt ein Weltbild zugrunde, gemäß dem die beiden großen Kräfte, welche er als Konservatismus und als Fortschritt bezeichnet, miteinander um Einfluss ringen, man könnte auch von „rechts“ und „links“ sprechen. Beides seien Idealtypen, die in Reinform nicht vorkämen, jedoch tendiere jeder Mensch, so Quabbe, überwiegend zu einer der beiden Richtungen. Und beide Kräfte seien gleichermaßen notwendig für Existenz und Fortbestand der Welt. Der Fortschritt verhindere, dass das Bestehende erstarre, der Konservatismus verhindere Übertreibungen, radikalen Umsturz und blinde Vernichtung des historisch Gewachsenen. 

Der Konservative sei sich bewusst, so Quabbe, die Überlegungen früherer Autoren aufgreifend, „dass es notwendig ist, der Ungleichheit der Menschen Rechnung zu tragen, das Vergangene schonend zu berücksichtigen“ sowie darauf zu achten, dass menschliches Handeln nicht immer erklärbar sei. 

Auf dieser Grundlage erarbeitet er die Abgrenzung zwischen der konservativen Seite und dem von ihm so bezeichneten Fortschritt, welche er mittels acht Gegenüberstellungen verdeutlicht: 1) der konservative Blick sehe die Geschichte als Kreislauf, der Fortschritt als eine lineare Entwicklung; 2) dem Konservativen diene das sich organisch entwickelnde Leben zum Maßstab, der Fortschritt setze auf abstrakte Wahrheiten; 3) im Staatlichen erkenne der Konservative eine höhere Ordnung, für den Fortschritt handele es sich um Menschenwerk; 4) dennoch wende sich der Konservative gegen eine bewusste Arbeit an der Entwicklung des Staates – der Staat ordne, erziehe aber nicht, eine Funktion, die ihm der Fortschritt zuschreibe; 5) der konservative Blick sei auf das Ganze gerichtet, der des Fortschritts auf das Individuum; 6) der Fortschritt strebe nach Rationalität, während der Konservative das Irrationale gelten lasse; 7) der Konservative blicke auf Autorität, die Freiheit in der Bindung und die Kopplung der Rechte an die Pflichten, der Fortschritt stelle bindungslose Freiheit in den Vordergrund; 8) der Konservative neige zum historisch begründeten Recht, die fortschrittliche Seite zum zweckmäßigen Recht.

Georg Quabbe hat damit bereits vor fast 100 Jahren Thesen vorgelegt, die ein nachvollziehbares, unaufgeregtes und viel zu wenig genutztes Angebot zur Verortung des Konservatismus darstellen.